Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2017
Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2017 | 19 Kammerversammlung Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein Für den ärztlichen Dienst in den Krankenhäusern forderte der Kammerpräsident eine Mindestper- sonalregelung, wie sie für die Pflege in besonders pflegeintensiven Bereichen, Intensivstationen und für den Nachtdienst ab 2019 kommen soll. „Solche Personaluntergrenzen brauchen wir auch im ärzt- lichen Dienst, denn die Stellenpläne sind vielfach auf Kante genäht, mehrere Tausend Arztstellen sind unbesetzt. Zusätzliche Belastungen drohen durch ein überbürokratisches Entlassmanagement. Den Kolleginnen und Kollegen fehlt einfach die Zeit für eine individuelle Patientenversorgung, für eine strukturierte Weiterbildung und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Privatleben und Beruf. Das dürfen Politik und Krankenhäuser nicht länger ignorieren!“, sagte Henke. Nach seinen Worten gerät die ärztliche Selbstver- waltung auf EU-Ebene immer wieder unter Recht- fertigungsdruck, obwohl der Lissabon-Vertrag den einzelnen Staaten die Kompetenz für Gesundheits- politik zuschreibt. Jüngstes Beispiel sei das soge- nannte Dienstleistungspaket, das die Europäische Kommission im Januar 2017 im Rahmen ihrer so- genannten Binnenmarktstrategie vorgelegt hatte. Danach sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, neue oder zu ändernde Berufsvorschriften noch vor dem Erlass daraufhin zu prüfen, ob sie un- ter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und hinsicht- lich ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb ge- rechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig sind. Davon betroffen wäre auch die Rechtsetzung durch die Heilberufskammern. „Für uns wehren sich die Bundesärztekammer und der Verband der Freien Berufe entschieden gegen diesen Richtlinienvor- schlag der EU-Kommission zur Verhältnismäßig- keitsprüfung“, sagte Henke, „er verstößt unseres Erachtens gegen das Subsidiaritätsprinzip und missachtet den Gestaltungsspielraum der Mitglieds- staaten in der Gesundheitspolitik. Erhebliche Mehr- kosten und Verzögerungen etwa bei der Umsetzung berufsrechtlicher Regelungen sind zu befürchten.“ Konzernähnliche Strukturen In der Diskussion über den berufs- und gesund- heitspolitischen Bericht des Präsidenten berichtete Dr. Sabine Marten (Düsseldorf), dass ein Unterneh- men inzwischen fast alle nephrologischen Sitze in Düsseldorf aufgekauft hat, darüber hinaus auch Sit- ze in der Umgebung. Gegenüber konzernähnlichen Strukturen seien die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen nicht mehr konkurrenzfähig. „Ohne sehr rasche Änderungen wird die niedergelassene Versorgung in einigen Fachrichtungen und Regio- nen praktisch ausschließlich in der Hand einzelner großer Gesellschaften und Konzerne sein“, warnte Marten. Nach Angaben von Dr. Sven Dreyer (Düsseldorf) gibt es in der Landeshauptstadt nur noch zwei unabhängige nephrologische Praxen: „Das ist die völlig falsche Richtung. Wir haben schon im Kran- kenhaussektor nicht nur positive Erfahrungen mit privaten Trägern gemacht“, sagte Dreyer. Auch Privatdozent Dr. Johannes Kruppenbacher (Bonn) sprach sich gegen eine „Industrialisierung der Medizin“ aus. Als Laborarzt mache er jedoch die Erfahrung, dass die Kolleginnen und Kollegen das finanzielle Risiko der Nachfolge in seiner Praxis angesichts schwankender Vergütungen scheuen. „Die großen Industrien können das Risiko leicht eingehen“, sagte Kruppenbacher, „für die Kollegen müssen wir Strukturen schaffen, die eine Übernah- me in Eigenständigkeit wieder ermöglichen.“ In ihrer Nachbarstadt seien die beiden radiologi- schen Sitze aufgekauft worden „mit dem Ergebnis, dass es zurzeit überhaupt keine radiologische Ver- sorgung mehr in dieser kleinen Stadt gibt“, sagte Barbara vom Stein (Burscheid). Der Stadt sei mitt- lerweile nur noch ein halber Sitz zugeordnet, aber de facto finde keine Tätigkeit mehr statt. „So sieht medizinische Versorgung im ländlichen Bereich aus, wenn eine Konzernbildung stattfindet“, sagte vom Stein. Gleichzeitig würden auch orthopädische und chirurgische Sitze aufgekauft „mit dem Ziel, die radiologischen Institute mit Zulieferern zu be- stücken“. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens werde die ärztliche Versorgung nicht unbedingt verbes- sern, sondern im Gegenteil substituieren, befürch- tet Wieland Dietrich (Essen). Nach seiner Über- zeugung ist die Digitalisierung ein „Scheinriese“, der wesentliche Treiber für den „Hype“ um die Digitalisierung seien lukrative Geschäftsaussichten für die IT-Branche. In den Aufbau der Telematik- Infrastruktur seien inzwischen „viele Milliarden versenkt worden“, ohne dass ein Nutzen für die Pa- tienten erkennbar sei. Dr. Christiane Groß (Wup- pertal) hält es für eine ärztliche Aufgabe, die Kom- petenz der Patientinnen und Patienten im Umgang mit Gesundheits-Apps zu stärken. „Wir müssen uns darum bemühen, dass sie erkennen, welche Apps sinnvoll sind und welche nicht – weil sie zum Bei- spiel einem Geschäftsmodell dienen, von denen eine Versicherung profitieren will.“
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