Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2017
32 | Jahresbericht 2017 Ärztekammer Nordrhein Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik Der Start ins Leben – nicht immer ist er unbeschwert Auf dem 6. Kammerkolloquium zur Kindergesundheit am 29. April 2017 diskutierten Experten mit den rund 150 Teilnehmern im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft, wie durch eine systematische Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe eine wachsende Verantwortungsgemeinschaft für Familien entstehen kann. Vorbereitet hatte das Kolloquium der Ausschuss Öffentliches Gesundheitswesen, Suchtgefahren und Drogenabhängigkeit der Ärztekammer Nordrhein. Rund 20 Prozent der Mädchen und Jungen in Deutschland erleiden aufgrund belastender Le- benslagen schon in früher Kindheit erhebliche Ein- schränkungen in ihrer Entwicklung. Viele Studien zeigen, dass sich ungleiche Startbedingungen in der Kindheit sowohl auf Gesundheit als auch auf Teilhabechancen im Lebensverlauf auswirken. So haben zum Beispiel Kinder psychisch erkrankter Eltern ein stark erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Le- bens selbst eine psychische Störung zu entwickeln. Aber auch sozioökonomische und soziokulturelle Aspekte wie Armut, unzureichende Wohnverhält- nisse, kulturelle Diskriminierung, der Verlust von Bezugspersonen sowie fehlende Gesundheitskom- petenz der Eltern können sich dauerhaft negativ auf die Gesundheit von Kindern auswirken. Um belasteten Familien und deren Kindern schon von Geburt an passgenaue Hilfen zu vermitteln, wurden im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsyste- me“ 2007 das Nationale Zentrum Frühen Hilfen (NZFH) etabliert. Die über das Bundeskinderschutz- gesetz 2012 gesetzlich verankerten „Frühen Hilfen“ sind mittlerweile deutschlandweit flächendeckend eingerichtet und vor allem durch das neue Aufga- benspektrum der Familienhebammen bekannt geworden. Mechthild Paul, Leiterin des NZFH, forderte hierzu: „Wir müssen Mittel gegen den Fachkräftemangel vor allem bei den Familienheb- ammen finden. Für den Start ins Leben muss uns regelhaft eine bessere Vernetzung zwischen Ge- sundheitssystem und Jugendhilfe gelingen.“ Frühe Hilfen zielen darauf ab, Entwicklungs- möglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu ver- bessern. Die Notwendigkeit der Kooperation bei- spielsweise mit dem Gesundheitswesen ist in den Frühen Hilfen unbestritten, da ein gesundes Auf- wachsen nur durch eine ganzheitliche Sichtweise unter besonderer Berücksichtigung der Aspekte Bildung, (gesundheitliche) Förderung und Schutz möglich ist. Die Leistungen der „Frühen Hilfen“ gehen dabei weit über den Einsatz von Familien- hebammen hinaus; durch ihre strukturelle Einbin- dung in der Kinder- und Jugendhilfe sind sie dem Gesundheitswesen indes auch nach Jahren noch zu wenig bekannt. Eine systematische Zusammen- arbeit ist zwischen den beiden Sozialsystemen nicht flächendeckend umgesetzt. Aussichtsreiche Projekte in NRW Ministerialrat Heiner Nienhuys, Referatsleiter Prävention, Frühe Hilfen, Kinderschutz, pädago- gische Förderkonzepte aus dem Familienministeri- um Nordrhein-Westfalen berichtete auf dem Kam- merkolloquium von aussichtsreichen Projekten, die in NRW zu einer systematischeren Vernetzung der unterschiedlichen Akteure beitragen sollen. Ansätze guter Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen sehe die Landesregierung langfristig in Lotsendiensten von Familienhebam- men in Geburtskliniken, in der flächendeckenden Implementierung von hilfesystemübergreifenden Qualitätszirkeln in Kooperation mit den Kassen- ärztlichen Vereinigungen in NRW sowie in dem Projektansatz „Soziale Prävention“, in denen Ver- treterinnen der Jugendhilfe Sprechstunden in Kin- derarztpraxen anbieten würden. Auch die Landesverbandsvorsitzende der Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein, Christiane Thiele, sagte: „Wenn wir in unseren Praxen belastete Fa- milien frühzeitig erkennen und uns die Vermittlung in passgenaue Präventionsangebote gelingt, dann beeinflussen wir im positiven Sinne komplette Fa- milienlebensläufe über Generationen hinweg. Wir denken da in Jahrzehnten und nicht in Quartalen.“ Die Einbeziehung des Gesundheitswesens, ins- besondere der Geburtskliniken als Partner der Frühen Hilfen, hält auch Professor Dr. Ute Thyen,
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