Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2017
Ärztekammer Nordrhein Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik Fangerau. Die „Standesmoral“ sei dabei von großer Bedeutung für die Identität des Arztberufes. Abschließend wies der Festredner darauf hin, dass die moralischen Grundsätze, wie sie heute in der ärztlichen Berufsordnung formuliert sind, dem historischen Wandel unterliegen und laufend dis- kutiert werden und dass die Entwicklung der ärzt- lichen Ethik ein Prozess sei, an dem Ärztinnen und Ärzte aktiv teilhaben können. Daher fordere er die neuen Kammermitglieder auf, in der Ärztekammer, zum Beispiel über eine ehrenamtliche Tätigkeit, diesen Prozess mitzugestalten. Ärzte oder Apple – wer gewinnt die Deutungshoheit in der Medizin? Den Festvortrag im März 2017 hielt Universitäts- professorin Dr. Christiane Woopen, Leiterin der Forschungsstelle Ethik der Uniklinik Köln, Direk- torin des Cologne Center for Ethics, Rights, Econo- mics and Social Sciences of Health und ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Sie sprach über das Thema „Zukunftsszenarien der digitali- sierten Medizin“. Nach Woopens Worten wird die Digitalisierung das Berufsleben der nachrückenden Ärztegenera- tion sehr stark beeinflussen, vergleichbar etwa mit der Einführung der bildgebenden Diagnostik im vorigen Jahrhundert. „Big Data“ bedeute dabei die Zusammenführung und Auswertung riesiger Men- gen verschiedenster medizinischer Daten in völ- lig neuen Dimensionen – von Laborbefunden und Bilddaten über Forschungsdaten bis hin zu Infor- mationen aus Wellness-Apps und sozialen Netzwer- ken. Dadurch würden sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse und auch die ärztliche Behandlung ändern, so Woopen. Während im Jahr 2015 noch jede Person im Durchschnitt mit 3,5 Geräten vernetzt war, sollen es einer Prognose zufolge im Jahr 2020 schon 6,5 Geräte sein. Fast ein Drittel aller Smartphone-Be- sitzer nutze nach einer Umfrage des Branchenver- bandes Bitkom bereits heute Gesundheits-Apps. Am häufigsten erfassen Nutzer von Fitness-Trackern Körpertemperatur, Körpergewicht und gegangene Schritte. Woopen zitierte Schätzungen, wonach sich die medizinische Datenmenge bis zum Jahr 2020 alle 73 Tage verdoppelt und damit große Her- ausforderungen mit sich bringt. 80 Prozent der Daten seien unstrukturiert und blieben somit un- genutzt. Evidenzbasierte Medizin zum Nutzen des Pa- tienten sei künftig nur mit elektronischer Unter- „Man hat nicht den Beruf des Arztes, man ist Arzt!“ Dem Thema „Ärztliche Identität – was ist das?“ widmete Universitätsprofessor Dr. Heiner Fangerau, Lehrstuhlinhaber am Institut für Geschichte, The- orie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf, seinen Festvortrag im Sep- tember 2016. Seiner Auffassung nach scheint die Motivation, anderen Menschen zu helfen, bei an- gehenden Medizinern identitätsstiftend zu sein. Identität ist nach Fangeraus Definition das Bild, das man von sich selbst und von seiner eigenen Per- sönlichkeit hat oder das andere von einem haben. Selbstbild, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen gehörten zur Identität, die nicht nur einzelne Perso- nen, sondern auch ganze Berufsgruppen ausbilden können. Die Ärztekammer diene dabei dem Zweck, das Selbstbild der Ärzteschaft zu schärfen sowie das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen zu stär- ken. Das ärztliche Gelöbnis, das bei der Begrüßungs- veranstaltung in der Gruppe abgelegt wird, kann seiner Auffassung nach auch zur Identitätsbildung beitragen. Identitätsstiftende Momente sind für Fangerau auch der erste Pathologiekurs, das Phy- sikum oder der erste Patientenkontakt im weißen Kittel. Wesentlich für die Identitätsbildung im Arzt- beruf ist nach Fangeraus Worten die Professiona- lisierung. Ein Beruf werde zur Profession durch fachliche Kompetenz aufgrund wissenschaftlicher Ausbildung, spezielle Zulassungs- und Abrech- nungsverfahren sowie fachliche Selbstkontrolle, so- ziale Legitimation und Handlungsautonomie. Dazu brauche es Gesetze, die all das erst zulassen und die es erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Macht, Autorität und Selbstverwaltung der Ärzteschaft wurden nach Fangeraus Überzeugung nur gewährt als Gegenleistung für die Erfüllung gesellschaft- licher Erwartungen. Heutzutage haben sich diese Erwartungen sei- ner Meinung nach verändert, von der Hoffnung auf Erleichterung hin zur Forderung nach Heilung. Die Legitimation könne der Staat beispielweise aber auch zurückfahren oder ganz verwehren. Die Privilegien der Ärzteschaft sieht Fangerau durch Missbrauch in der Vergangenheit sowie Skepsis gegenüber der heutigen Medizin gefährdet. Beim einzelnen Arzt führe die Professionalisierung zu der Wahrnehmung, dass man nicht den Beruf des Arztes hat, sondern dass man Arzt ist, so glaubt 36 | Jahresbericht 2017
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