Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2018
42 | Jahresbericht 2018 Ärztekammer Nordrhein Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik Adoleszenz – wenn alles sich verändert Das siebte Kammerkolloquium zur Kinder- und Jugendgesundheit Mitte Juni 2018 im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf richtete seinen Blick auf die gesundheitlichen Belange und dazugehörigen Präventionsmaßnahmen von Adoleszenten. Vorbereitet hatte das Kolloquium der Ausschuss Öffentliches Gesundheitswesen, Suchtgefahren und Drogenabhängigkeit der Ärztekammer Nordrhein. Die Kolloquien sind seit Jahren so konzipiert, dass die geladenen Teilnehmer professionsübergreifend zu einem Schwerpunktthema ins Gespräch kommen und neue Netzwerke entstehen können. „Der interdisziplinäre Austausch erweitert den Blickwinkel der einzelnen Professionen und kann die Versorgung von Jugendlichen verbessern“, sagte Dr. Anne Bunte, Vorsitzende des Ausschusses Öffent- liches Gesundheitswesen, Suchtgefahren und Drogen- abhängigkeit der Ärztekammer Nordrhein. Für eine fachübergreifende Zusammenarbeit bei der Gesundheitsförderung von Jugendlichen plädierte auch Dr. Karl-Josef Eßer, Leiter des NRW-Modell- projektes Soziale Prävention der Deutschen Ge- sellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Sie spiele bei der thematisierten Altersgruppe eine tragende Rolle, um mögliche gesundheitliche Be- schwerden und psychische Erkrankungen früh- zeitig zu deuten und zu behandeln. „Bildung, Ge- sundheit und Sozialstatus sind für die Entwicklung von Kindern von größter Bedeutung“, betonte Eßer. Immerhin befände sich in der Jugendzeit alles in ei- nem stetigen Wandel: die Psyche, hormonelle und körperliche Entwicklungen, Sozialstrukturen und das gesellschaftliche Anforderungsprofil. „Wir kennen die problematischen Anpassungsprozesse, denn wir Pädiater sind oft auch Seelsorger – sowohl für die Heranwachsenden als auch für die Eltern“, ergänzte er. Area under construction „In Nordrhein Westfalen sind 36 Prozent der Jugendlichen Opfer des sogenannten Cyber-Bully- ing“, sagte Professor Dr. rer. nat. Kerstin Konrad, Leiterin des Lehr- und Forschungsgebietes Klini- sche Neuropsychologie der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Aachen. Die Adoleszenz sei eine höchst vulnerable Ent- wicklungsperiode. Die Reifung des Präfrontal- kortex und der grauen Substanz bis ins junge Er- wachsenenalter zeige, dass Jugendliche auch in der Pubertät noch wichtige Entwicklungsstadien durchliefen, die sie grundlegend prägten. Sie sei- en zwar durchaus in der Lage, Risikosituationen einzuschätzen, ließen sich aber stark von ihren „Peergroups“ beeinflussen und manipulieren. Sub- optimale Entscheidungen und Handlungen wie Bullying, Gewalttaten oder Alkohol- und Drogen- konsum werden dadurch begünstigt. Konrad zu- folge sollten Erwachsene das Bedürfnis von Heran- wachsenden einer Peergroup anzugehören, respek- tieren und ihre Präventionsarbeit idealerweise dort andocken. Soziale Ungleichheit macht krank „Obwohl einGroßteil der Kinder und Jugendlichen gesund aufwächst, lässt sich auch in Deutschland ein Zusammenhang zwischen der sozialen und gesundheitlichen Lage beobachten“, sagte Privat- dozent Dr. Thomas Lampert, Leiter der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstat- tung im Fachgebiet Soziale Determinanten der Ge- sundheit des Robert Koch-Instituts in Berlin. Dies zeigen die Ergebnisse der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, kurz KiGGS-Studie, die bundesweit repräsentative Gesundheitsdaten für Kinder und Jugendliche zwi- schen 2003 und 2017 erhebt. So litten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen an Übergewicht. Jugend- liche aus sozial benachteiligten Familien seien al- lerdings dreimal so häufig adipös wie Gleichaltrige mit hohem Sozialstatus. „Ein Siebtel der Haushalte in Deutschland lebt unterhalb der Armutsgrenze“, erklärte Lampert. Hilfsbedürftige Familien müss- ten weitgehend gefördert werden, um Chancen- gleichheit zu gewährleisten. Wer Schule verpasst, den bestraft das Leben „Nicht nur Eltern, auch die Schulen selber sind dafür verantwortlich, wenn Jugendliche die Schu- le schwänzen“, sagte Professor Dr. phil. Heinrich Ricking vom Institut für Sonder- und Rehabilita-
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