Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2018

Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2018 | 43 Allgemeine Fragen der Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik tionspädagogik der Universität Oldenburg. Schul- absentismus sei in drei Kategorien einzuteilen: aversionsbedingt, elternbedingt oder angstbedingt. Oft gingen Schwierigkeiten mit der Disziplin und schlechte schulische Leistungen mit Schwänzen einher. Ein negatives Schulklima und wenig Unter- stützung von Seiten der Eltern und der Schule gene- rierten dann zusätzlich eine aussichtslose Situation. Viele Jugendliche gingen aus Angst vor bestimmten Klassenkameraden oder Lehrern nicht mehr regel- mäßig zur Schule. „Schulabsentismus ist immer als ein Indikator für eine dahinterliegende Problema- tik zu verstehen“, betonte Ricking. Einen entschei- denden präventiven Faktor sieht Ricking in der Schulzufriedenheit, die bereits in der Grundschule aufgebaut werden müsse, um so die emotionale Bin- dung der Kinder und Jugendlichen an die jeweilige Schule zu stärken. Sozialer Ausschluss „schmerzt“ „Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten ist in der Adoleszenz häufig eine Antwort auf eine stres- sige und emotional belastende Situation im schuli- schen oder familiären Umfeld“, sagte Professor Dr. Paul Plener, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kin- der- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Uni- versität zu Wien. Die dabei empfundenen „sozialen Schmerzen“ aktivierten bei den Jugendlichen die gleichen Gehirnareale wie körperliche Schmerzen. Adoleszenten, die sich selbst verletzen, besäßen eine erhöhte Schmerzschwelle. Diese normalisiere sich, sofern die Jugendlichen therapiert würden, nach ei- nigen Monaten, so Plener. Ihm zufolge nutzen die betroffenen Jugendlichen besonders die sozialen Medien als Ventil zur Linderung ihrer emotiona- len Lasten und Leiden. Dabei ginge es den Heran- wachsenden in erster Linie um die Kommunikati- on mit Gleichaltrigen, die sich in einer ähnlichen Problemsituation befinden. Seiner Meinung nach bieten ambulante Therapieformen wie die kogniti- ve Verhaltenstherapie, die dialektisch-behaviorale Therapie oder die kognitiv-analytische Therapie ef- fektive Lösungsansätze. Die Adoleszenten erhalten dabei Psychoedukation, Behandlungsmotivation, Vermittlung von Konfliktlösungsstrategien und die Mitbehandlung möglicher psychischer Störungen. Spezielle Apps könnten den Jugendlichen beglei- tend helfen, negative Gedanken und Energien in eine andere Richtung zu lenken. „Der starke Ein- fluss der Familie und der Peergroups darf auch in Fällen von selbstverletzendem Verhalten unter kei- nen Umständen unterschätzt werden“, sagte Plener. Adipositas: Problem der Neuzeit „Adipositas ist ein internationales Problem. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einer Pan- demie“, sagte Professor Dr. Johannes Hebebrand, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psy- chosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des LVR-Klinikums der Universität Duisburg-Essen. Heranwachsende mit Adipositas litten häufig an der Stigmatisierung der Krankheit, so Hebebrand. Die Entstehung übermäßigen Über- gewichts, ab BMI 30 und aufwärts, sei multifaktori- ell bedingt. Dabei spielten sowohl gesellschaftliche und psychologische Faktoren, als auch das Erbgut und die Lebensweise der Betroffenen eine Rolle. „Da die stationäre Behandlung langfristig nur ge- ringen Erfolg bezüglich der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen hat, kann in einzelnen Fällen die bariatrische Chirurgie ein Lösungsansatz sein“, so Hebebrand. Diese begrenzten Erfolge sowie Zu- nahme und große Verbreitung der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen gäben der Prävention eine besondere Bedeutung. So sollte Kindern und Jugendlichen ein gesundheitsförderlicher Umgang mit Nahrungsmitteln aufgezeigt werden. Auch ver- hältnisbezogene Präventionsmaßnahmen wie die Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln oder eine sogenannte Zuckersteuer, wie man dies aus einigen europäischen Ländern bereits kenne, seien Opti- onen, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen. Setzen sich für einen inter- disziplinären Austausch in der Jugendgesundheit ein (v.l.n.r): Dr. T homas Lampert, Professor Dr. rer. nat. Kerstin Konrad, Rudolf Henke, Dr. Anne Bunte, Ulrich Langenberg und Dr. Karl-Josef Eßer.

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