Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2019

26 | Jahresbericht 2019 Ärztekammer Nordrhein Kammerversammlung Die psychotherapeutische Versorgung braucht die ärztliche Kompetenz Die Kammerversammlung fordert den Gesetzgeber, die Kostenträger und die Institutionen des Gesundheitswesens auf, sich entschieden für weitere Verbes- serungen in der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge psychischer Erkrankungen einzusetzen. Dazu gehört eine Stärkung der personellen und finanziellen Ressourcen ebenso wie eine konsequente Förderung der Zusammenarbeit der Versorgungssektoren und der Berufsgruppen in der Versorgung. Voraussetzung dafür sind Transparenz und Akzeptanz bezüglich der spezifischen Potentiale und der Kompetenzprofile der beteiligten Berufsgruppen. Grundlage aller Überlegungen zur Weiterentwicklung der Versorgung muss das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell bleiben. Daraus folgen mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Patientenversorgung folgende Grundsätze: 1. Klare Begriffe schaffen Transparenz und Verlässlichkeit:Das Qualitätsversprechen der Bezeichnung „Psychotherapeutin/ Psychotherapeut“ muss eingelöst werden. Die Öffentlichkeit und die Patientinnen und Patienten müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass die Bezeichnung „Psychotherapeut/in“ für das hohe Qualifikationsniveau steht, das bisher mit diesem Begriff verbunden ist. In diesem Zusammenhang begrüßt die Kammerversammlung, dass der Kabinetts- entwurf zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz die im Referentenentwurf vorgesehene Ausgrenzung von Ärztinnen und Ärzten aus der Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/in“ aufgibt. Diese Ausgrenzung wäre unvertretbar gewesen, weil Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden Weiterbildungsbezeichnung die zahlenmäßig stärkste und zugleich ambreitesten qualifizierte Berufsgruppe in der psychotherapeutischen Versorgung sind. Es ist also richtig, dass die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/in“ in § 1 des Psychotherapeutengesetzes Ärztinnen und Ärzte nunmehr ausdrücklich ein- schließt. Die Korrektur im Psychotherapeutengesetz reicht aber alleine nicht aus, um endlich für die notwendige Begriffsklarheit zu sorgen. Die Kammerversamm- lung fordert, dass die Bezeichnungen „Psychotherapeut/in“ bzw. „Psychothera- peuten“ endlich auch im Sozialgesetzbuch (SGB V) durchgängig in der korrekten Weise verwendet werden, die Ärztinnen und Ärzte einschließt. Die Kammerversammlung fordert außerdem, dass die Bezeichnung „Psycho- therapeut/in“ auch in Zukunft nur erworben werden darf, wenn eine durch die Weiterbildung erworbene Qualifikation in einem spezifischen, wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren vorliegt. Nur wer – ob als Ärztin bzw. Arzt oder als Absolvent/in des neu geplanten Studiengangs – die zur eigenstän- digen psychotherapeutischen Tätigkeit in einem wissenschaftlich anerkannten Verfahren erforderliche Weiterbildung erfolgreich abgeschlossen hat, ist Psycho- therapeutin oder Psychotherapeut. Für die Absolventen des neu geplanten Studiengangs ohne abgeschlossene Weiterbildung ist deswegen eine andere Bezeichnung zu wählen. 2. Die wissenschaftliche Anerkennung von Therapieverfahren muss die Basis für die psychotherapeutische Patientenversorgung bleiben. Die Kammerversammlung begrüßt, dass der Kabinettsentwurf die Rolle des berufsgruppenübergreifenden Beirates Psychotherapie für die wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren als Basis sozial- und berufsrecht- licher Entscheidungen bekräftigt. Die Kammerversammlung fordert die Beibehaltung der Soll-Vorgabe im Gesetzestext. Es reicht nicht aus, wenn nur die Gesetzesbegründung festhält, dass die zu- ständige Behörde Gutachten des wissenschaftlichen Beirates berücksichtigen soll, während im Gesetzestext selbst das bisher geltende „soll“ durch ein „kann“ ersetzt wurde. Denn Patientinnen und Patienten müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass Psychotherapie evidenzbasiert auf der Basis der aktuellen wissen- schaftlichen Erkenntnisse erfolgt. Dies ist Grundlage für die klare Beschreibung des heilkundlichen Versorgungsbeitrages von Absolventen des geplanten neuen Studienganges. Es ist richtig, dass dieser Beitrag auch zukünftig auf die Anwendung wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren beschränkt bleibt. 3. Bei der Erkennung und Behandlung körperlicher Erkrankungen und bei der Ver- ordnung von Medikamenten darf es keine Qualitätsverschlechterungen geben. Die Kammerversammlung begrüßt, dass der Kabinettsentwurf im Interesse der Patientensicherheit die Vorgabe der somatischen Abklärung im Rahmen einer geplanten psychotherapeutischen Behandlung beibehält. Genauso wesentlich ist es, dass die ärztliche Qualifikation auch weiterhin die Voraussetzung für die Verordnung von Medikamenten bleibt. 4. Die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Patientenversorgung kann nur gelingen, wenn die Berufsgruppen gemeinsam daran arbeiten. Die Kammerversammlung begrüßt den Auftrag an den Gemeinsamen Bundesaus- schuss, Regelungen im Interesse einer berufsgruppenübergreifenden, koordinier- ten und strukturierten psychotherapeutischen Versorgung zu entwickeln. Die Bundesärztekammer ist als sektorenübergreifende Vertretung der gesamten Ärzteschaft in diesen Entwicklungsprozess mit einzubeziehen. 5. Die ärztliche Aus- und Weiterbildung ist zu stärken, damit Ärztinnen und Ärzten ihre zentrale Aufgabe in einer kooperativen psychotherapeutischen Versorgung auch in Zukunft wahrnehmen können. Ärztinnen und Ärzte wünschen sich im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten auch weiterhin eine umfassende Kooperation mit allen anderen Heil- und Gesund- heitsfachberufen gerade in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen. Der spezifische Beitrag, den Ärztinnen und Ärzte in diese Kooperation einbringen, liegt in der Integration psychischer und somatischer Gesichtspunkte in Kenntnis des sozialen Umfeldes. Davon hängen entscheidende Weichenstellungen in Dia- gnostik und Therapie ab. Denn psychische Erkrankungen gehen häufig mit behandlungsbedürftigen somatischen Erkrankungen einher. Regelmäßig bedingen sich beide wechselseitig und verstärken sich sogar. So können sich hinter vermeintlich klaren psychischen Störungen gravierende, zwingend behandlungsbedürftige somatische Erkran- kungen verbergen wie umgekehrt somatische Symptome Folge einer psychischen Erkrankung sein können. Ärztinnen und Ärzten können aufgrund ihres Qualifizierungsweges dieser un- trennbaren Verbindung zwischen Psyche und Soma in besonderer Weise gerecht werden. Dieser Kompetenz muss deswegen auch künftig in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung große Beachtung geschenkt werden. Dazu gehören die konsequente Vermittlung kommunikativer Kompetenzen im Medizinstudium und die strukturierte Fortentwicklung dieser Kompetenzen in der ärztlichen Weiterbildung. Die Bedeutung der psychosomatischen Grundversorgung in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung wie auch im Versorgungsgeschehen muss weiter ausgebaut werden. Keinesfalls darf es in Folge des geplanten neuen Ausbildungsweges und der an- schließenden Weiterbildung dieser Absolventen zu Engpässen bei der ärztlichen Weiterbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie, der Psychosomatischen Me- dizin und Psychotherapie und der Zusatzweiterbildung Psychotherapie kommen. Stattdessen sind die Zugänglichkeit und die Attraktivität dieser Weiterbildungs- wege durch geeignete Rahmenbedingungen und ein gute sektorenübergreifende Kooperation zu erhalten und zu steigern. Entschließungen der Kammerversammlung

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