Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2019
28 | Jahresbericht 2019 Ärztekammer Nordrhein Kammerversammlung Unbedingte Vertraulichkeit – Schutz des Arzt-Patienten verhältnisses Der Schutz des Arzt-Patientenverhältnisses ist ein auf unbedingter Vertraulichkeit basierender fundamentaler Bestandteil ärztlichen Handelns. Jede Zwangsmaßnah- me, die direkt oder indirekt dazu führen könnte, dass diese Vertraulichkeit gefähr- det wird oder Informationen an Dritte gelangen könnten, wird von der Ärzteschaft kategorisch abgelehnt. Insbesondere sind Maßnahmen kritisch zu hinterfragen, die die Patientendaten in elektronischer Form der unbeabsichtigten Weitergabe aussetzen. Eine Ver- pflichtung der Ärzteschaft oder der Krankenhäuser, sensible Patientendaten einem therapeutisch nicht notwendigen Ausspährisiko auszusetzen, wird von der Ärzte- schaft ebenso abgelehnt. Eine elektronische Sammlung von Patientendaten kann nur unter höchstem Datenschutz und ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen. Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und der Schutz ihrer Patientendaten darf nicht durch gesetzliche Vorgaben im Rahmen der Digitalisierung ausgehöhlt werden. Honorarkürzung bei Verzug des TI-Anschlusses bedroht die vertragsärztliche Versorgung Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, die Vorgabe von Honorarabzügen bei nicht fristgerechtem Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) zurückzunehmen. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein sieht in der gesetzlich verankerten Honorarkürzung einen weiteren Baustein des Gesetzgebers, in die unternehmerischen Entscheidungen der Praxisführung einzuwirken und die ver- tragsärztliche Versorgung zu verschlechtern. Die Kammerversammlung erwartet, dass viele rentennahe und rentenbeziehende Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch aus Verantwortung für ihre Patientinnen und Patienten ihre Praxen weiterbetrieben haben, diese, angestoßen von solch einem Eingriff in ihre Berufsausübung, aufgeben bzw. vorzeitig aufgeben werden. Digitalisierung der Lehre im Medizinstudium 2020+ Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein begrüßt grundsätzlich die Intention des Masterplans 2020, den Praxisbezug von Beginn des Studiums an zu stärken und das Rüstzeug für lebenslanges Lernen zum Einsatz immer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse im Berufsleben zu erlangen. Die Kammer- versammlung unterstützt die Forderung des Wissenschaftsrates, dass „die wissenschaftliche Ausrichtung des Medizinstudiums in der ÄApprO verbindlich festgehalten werden (sollte), indem dort die Vermittlung der wissenschaftlichen methodischen Basis der Medizin als gleichberechtigtes Ausbildungsziel des Studiums definiert wird.“ Die nun zu entwickelnden Curricula auf Fakultätsebene sollten darüber hinaus klare Festlegungen enthalten, welche Inhalte des Medizinstudiums ausschließ- lich digital angeboten werden können und wo zur praktischen Einübung der im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) beschriebenen ärztlichen Rollen und Kompetenzen Präsenzveranstaltungen unerlässlich sind. Die Kammer regt hierzu ergänzend an, digitale Materialien möglichst ressourcen- schonend konsentiert und koordiniert für alle Fakultäten im Kammergebiet ge- meinsam zu entwickeln, und die grundlegenden Kompetenzen (z.B. Medizinische Ethik, Medizinische Statistik, Evidenzbewertung usw.) frühzeitig und longitudinal im Curriculum des Medizinstudiums zu verankern. Keine Benachteiligung von privatversicherten Patienten und Selbstzahlern in Vertragspraxen und MVZs Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein missbilligt die vom Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) geäußerte Forde- rung, dass in Arztpraxen und MVZs während so genannter „Kassensprechstunden“ keine Privatpatienten behandelt werden sollen. Diese Forderung ist zurückzu- nehmen. Darüber hinaus wird die Behauptung des GKV-Spitzenverbandes, Ver- tragsärzte würden „private Zusatzgeschäfte“ machen, zurückgewiesen. Vertragsärzte behandeln Patienten unabhängig vom Versicherungsstatus und erbringen ärztliche Leistungen dann privat, wenn sie nicht Gegenstand des Leistungskatalogs der GKV sind, oder wenn sie über das Maß des Notwendigen, Wirtschaftlichen, Zweckmäßigen und Ausreichenden hinausgehen, oder wenn der Patient es wünscht. Vertragsärzte sind als Angehörige des freien Berufs „Arzt“ berechtigt und ver- pflichtet, allen Patienten optimale Behandlung anzubieten, die insoweit nicht auf den einschränkenden Rahmen der GKV begrenzt sein kann und darf. Eine Diskriminierung von Privatpatienten würde gegen ärztliche Ethik und die Berufsordnung verstoßen. Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein missbilligt die Verabschie- dung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG). Aus Sicht der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein ist die Missach- tung zahlreicher begründeter Einwände, Bedenken und Befürchtungen seitens zahlreicher ärztlicher Organisationen und Verbände gegen den Gesetzestext des TSVG unverständlich. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein geht davon aus, dass durch das TSVG die Versorgung gesetzlich versicherter Patienten nicht verbessert wird. Die ursächlichen Probleme einer zunehmenden Diskrepanz zwischen zur Verfü- gung stehender Arzt-Behandlungszeit und der Nachfrage durch die Patientin/den Patienten werden in diesem Gesetz nicht berücksichtigt; sie werden im Gegenteil verschlimmert. Die Arbeitszeiten von Vertragsärztinnen und -ärzten überschreiten schon jetzt häufig das der eigenen Arzt-Gesundheit zuträgliche Maß. Der implizite Vorwurf einer zu geringen Arbeitsleistung, den eine Erweiterung der Pflicht-Kassenarbeits- zeit von niedergelassenen Ärzten um 25 % beinhaltet, beleidigt von seinem Ansatz her die Würde unseres Berufsstandes und missachtet auf ehrverletzende Weise unser aller täglichen Arbeitsleistung. Es ist zu befürchten, dass die Regelung Vertragsärzte veranlasst, ihre Vertragsarzttätigkeit vorzeitig zu beenden. Die Sprechstunden-Organisation in den Arztpraxen und MVZs beruht auf in der Regel langjährigen Erfahrungen und Notwendigkeiten und ist optimal austariert. Das Ansinnen, in diese Organisation von außenstehender bürokratischer Seite ein- zugreifen, indem offene Sprechstunden verpflichtend vorgegeben werden, kann den sinnvollen und effizienten Einsatz von Behandlungszeiten nur verschlechtern. Der Zwang zum Anschluss an eine erneut vom Ärztetag 2018 in Erfurt abgelehnte, hinsichtlich des Datenschutzes problematische und zudem kostenträchtige Tele- matikinfrastruktur bestärkt viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen in der Überlegung, vorzeitig aus der Kassenmedizin auszusteigen. Eine Wiederauflage der bereits im Jahr 2011 als nicht zielführend verworfenen Kodierrichtlinien kann ähnliche Effekte hervorrufen. Die Aufgabe von Ärzten ist es, Diagnosen zu stellen, die eine Relevanz für die Behandlung haben, und nicht, Diagnosen zu kodieren, damit Finanzströme im Gesundheitssystem gesteuert werden können. Das Gesetzeswerk wird im Ergebnis dafür sorgen, dass die nachfolgende Ärzte- generation noch intensiver überprüfen wird, ob die Tätigkeit als niedergelassener Vertragsarzt / Vertragsärztin in Deutschland eine Lebensperspektive darstellt; eine Zunahme des Mangels an niedergelassenen, insbesondere selbständigen Ärzten auf dem Land, aber auch in den Städten ist dann zu erwarten. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein weist den Gesetzgeber be- reits jetzt nachdrücklich auf die zu erwartenden Verwerfungen und Verschlechte- rungen hin, die von den handelnden Politikern zu verantworten sind. Die ärztliche Selbstverwaltung kann keine Verantwortung für die Übernahme dieser gesetz- geberischen Fehlentwicklung übernehmen. Entschließungen der Kammerversammlung
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