Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2020
Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2020 | 17 Kammerversammlung Ökonomisierung versus Freiberuflichkeit Die zunehmende Ökonomisierung bedrohe zu- sehends die Freiheit ärztlicher Tätigkeit, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, in seinem Bericht zur berufs- und gesund- heitspolitischen Lage. Damit entstehe ein Span- nungsverhältnis zum Postulat der Bundesärzteord- nung in ihrem ersten Paragraphen: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Der ärztliche Beruf ist kein Ge- werbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.“ Henke sagte: „Wir erleben gerade in den Kliniken eine zunehmende Prozessualisierung ärztlicher Tätigkeit.“ Wer die Begriffe „Krankenhaus“ und „Prozesse“ in eine bekannte Internet-Suchma- schine eingebe, erhalte auf einen Schlag mehr als vier Millionen Suchtreffer. Die Eingabe „patien- tenfreundliches Krankenhaus“ führe im Vergleich dazu zu lediglich 30.000 Treffern. Wenn Studierende der Humanmedizin bereits in ihrer Ausbildung das Bild einer Medizin vermittelt bekämen, in der Prozesse die Leitschnur für die Patientenversorgung sind, also „ärztliches Handeln nach Schema F“, dann sei die Gefahr groß, dass die nachrückende Ärztegeneration dies als normal verinnerliche und dieses Modell einer ökonomi- sierten Medizin überhaupt nicht mehr infrage stel- le. „Für uns ist Medizin nicht schematisch, kein Prozess, anwendbar in einem von Krankenkassen überwachten Reparatursystem“, mahnte Henke, „sondern für uns ist Medizin vor allemmenschliche Beziehung und Kommunikation.“ Ärztliches Han- deln basiere auf einer unmittelbaren und passenden Reaktion auf die Befindlichkeit des Patienten und auf seine „Bedürfnisse im Hier und Jetzt“. Die rheinische Ärzteschaft habe die Gefahr ei- ner Medizin nach Schema F in ihrer gemeinsamen Absichtserklärung aller drei Fraktionen der Kam- merversammlung vom 7. September 2019 klar und deutlich zur Sprache gebracht, so Henke. Mit die- sem gemeinsamen Papier habe man bereits zu Be- ginn der neuen Wahlperiode ein beeindruckendes Signal der Geschlossenheit ausgesendet, welches dem Bild vom Arzt als zuerst seinem Patienten ver- pflichteten Heilkundler in der Öffentlichkeit zu- gutekomme und welches die gesundheitspolitische Gestaltungskraft der Selbstverwaltung für den Er- halt eines patientenorientierten Arztbildes stärke. Die Freiberuflichkeit des Arztes sei „keine Erin- nerungsgröße, keine Memorabilia, keine unbedeu- tende Worthülse aus vergangenen Zeiten“, sondern der „Garant für die Diagnose- und Therapiefreiheit. Und das können wir uns nicht nehmen lassen“, sagte Henke unter dem Beifall der Delegierten. Vorfahrt für ethisch basierte Medizin Der Kammerpräsident kündigte an, dass sich die rheinische Ärzteschaft mit entsprechenden Initiativen in die Ausbildung des ärztlichen Nach- wuchses an den Medizinischen Fakultäten einbrin- gen werde, um ein „Gegengewicht zu den Zusatz- studiengängen und Aufbaukursen“ wie Gesund- heitsmanagement, Gesundheitstechnik oder Prä- ventionsmarketing zu bilden, „die jungen Ärztin- nen und Ärzten heute geradezu inflationär parallel zum Medizinstudium angeboten werden“. Außer- dem stehe die Überlegung im Raum, ein Rechtsgut- achten zur ärztlichen Entscheidungsfreiheit in Auf- trag zu geben, das Ärzten bei möglichen Konflikten mit der kaufmännischen Leitung über Zielvorgaben argumentative Unterstützung bieten könne. Denn, so Henke: „Die Vorfahrt für unsere ethisch basierte Medizin in Krankenhaus und Praxis darf jedenfalls nicht nur in Sonntagsreden gefordert, sondern sie muss auch durch entsprechende Entscheidungen untermauert werden, und ich sage, sie muss auch „Das deutsche DRG-System mit seinem 100-Prozent-Ansatz ist vor die Wand gefahren. Es hat so viele unerwünschte Nebenwirkungen zulasten unserer Patienten und des Personals im Krankenhaus produziert, dass man von einem echten T otalschaden sprechen muss.“ Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein
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