Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2020

Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2020 | 21 Kammerversammlung Dabei gilt: 1. Der in Nordrhein-Westfalen gemeinsam von allen Beteiligten beschrittene Weg der Etablierung von Portalpraxen und der Erprobung einer engen Kooperation von Leitstellen und Arztrufzentrale muss weiterverfolgt werden. Diese positive Entwicklung darf nicht durch Bundesvorgaben unterbrochen oder gar konterka- riert werden. 2. Ziel muss die möglichst gute Verschränkung und Kooperation der bestehenden Strukturen sein. Ein Aufbau von Sonderstrukturen mit eigenständigen Rahmen- vorgaben und Vergütungswegen (dritter Versorgungsbereich) ist abzulehnen. Denn dies würde selbst im Idealfall Jahre in Anspruch nehmen und dabei eine Vielzahl neuer Rechtsfragen und Abgrenzungsprobleme auslösen und in jedem Fall neue bürokratische Strukturen generieren. Allerdings ist die Finanzie- rung der Portalpraxen nicht aus der Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigungen zu leisten. Die neuen Leistungen der Notfallversorgung sind den Kassenärztlichen Vereinigungen von den Krankenkassen zusätzlich zu zahlen. 3. Der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung zu den sprech- stundenfreien Zeiten muss bei der ärztlichen Selbstverwaltung bleiben. Die Ärztekammern sind bei der Ausgestaltung von Portalpraxen bzw. integrierten Notfallzentren ebenso zu beteiligen wie bei der Entwicklung und Evaluation von Ersteinschätzungssystemen, bei der Festlegung von Qualifikationsvoraussetzun- gen für die im Notdienst tätigen Ärztinnen und Ärzte und bei der Qualitätssiche- rung der Notfallversorgung. 4. Portalpraxen bzw. integrierte Notfallzentren müssen personell und strukturell so gut ausgestattet und finanziert werden, dass sie die Patientenströme über ihre Kompetenz lenken („Abstimmung mit den Füßen“). Dazu gehört auch eine ausreichende Finanzierung der telefonischen Vermittlungsstrukturen (Koopera- tion von Leitstellen und Arztrufzentrale). Dies kann zukünftig durch elektroni- sche Angebote (Apps) und ein von den Krankenkassen mitgetragenes Kommuni- kationskonzept ergänzt werden. Falsch ist es hingegen, eine Patientensteuerung dadurch erreichen zu wollen, dass man Krankenhäuser ohne Portalpraxis oder integriertes Notfallzentrum bestraft, wenn sie sich um Notfallpatientinnen und -patienten kümmern, die bei ihnen vorstellig werden. 5. Die Zuständigkeit der Bundesländer für den Rettungsdienst ist in vollem Umfang beizubehalten. Der Rettungsdienst darf als unmittelbare, öffentlich verantwortete Daseinsfürsorge bei lebensbedrohlichen Notfällen nicht Teil des von Budgetierung und Leistungsbegrenzung geprägten GKV-Systems werden. Stattdessen müssen die Bundesländer ihrer Verantwortung entsprechen und den Rettungsdienst kooperativ weiterentwickeln. 6. Neue Versorgungsansätze wie Telenotarztsysteme können die Versorgung weiter verbessern und sollten bedarfsgerecht aufgebaut werden. Die Voraus- setzungen (Indikationskataloge, Notrufabfragesysteme, Qualifikationsvoraus- setzungen u.v.a.m.) sind unter enger Einbeziehung der Ärztekammern und fach- kundiger Gremien zu definieren. Unabdingbar ist die zusätzliche Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Ressourcen. Auch nach der Einrichtung eines telemedizinischen Unterstützungssystems muss die jederzeitige und kurzfris- tige Präsenz des Notarztes am Einsatzort zur Behandlung von Notfallpatienten landesweit gewährleistet sein. Eine Reduktion von Notarztstandorten darf durch eine Implementierung eines „Telenotarztsystems“ nicht erfolgen. 7. Gerade in der Notfallversorgung müssen sich die Menschen auch in Zukunft auf die Versorgung durch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte verlassen können. Eine Substitution ärztlicher Tätigkeiten durch andere Berufsgruppen ist deswegen entschieden abzulehnen. Richtig sind stattdessen eine Verbesserung der Koope- ration und die Nutzung von Möglichkeiten zur Delegation. Forderungen zur digitalen Kommunikation Elektronische Kommunikation, elektronische Datenübertragung und elektroni- sche Datensammlungen verändern ebenso wie telemedizinische Anwendungen die Arzt-Patienten-Beziehung. Grundsätzliche Forderungen der Ärzteschaft dienen in erster Linie einer Verbesserung der Versorgungsqualität und dem Schutz des informellen Selbstbestimmungsrechtes der Patientinnen und Patienten sowie der Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht auch im digitalen Zeitalter. Um diesen Anforderungen nachzukommen sind einige Bedingungen als Basis unerlässlich: 1. Die digitale Kommunikation bei der Patientenversorgung muss sicher sein. Dies gilt sowohl für die Kommunikation zwischen Patientinnen/Patienten und Ärztinnen/Ärzten, aber auch für die innerärztliche Kommunikation und auch für die Kommunikation mit an der Behandlung beteiligten anderen Heilberuflern. 2. Daten der Patientinnen und Patienten dürfen nicht aus kommerziellen Interessen weitergegeben werden. Hierzu gehört auch Transparenz gegenüber Patientinnen und Patienten bei Bonus-Programmen und ähnlichen Aktivitäten von Versicherungen und Krankenkassen. 3. Der Gesetzgeber wird aufgefordert klarzustellen, dass die durch die Vertrau- ensstelle übermittelten und in Forschungszentren genutzten Abrechnungs- daten anonymisiert sind. Eine strikte Anonymisierung aller für die Forschung genutzten Daten aus der Patientenversorgung wäre im Sinne von Patientinnen/ Patienten und Ärztinnen/Ärzten notwendig. 4. Die Versorgungsforschung muss wie bisher in ihren Ergebnissen transparent darstellen, welche Daten – ärztliche Diagnosen, Abrechnungsdaten der Kranken- kassen, von Patientinnen und Patienten erhobenen Gesundheitsdaten (z.B. aus Wearables oder medizinischen Apps) – einbezogen wurden. 5. Außerhalb einer Weitergabe der Abrechnungsdaten müssen folgende Grund- sätze weiterhin gelten: Patientinnen und Patienten müssen stets informiert werden, welche Daten zu Forschungszwecken verwendet werden. Zugleich muss den Patientinnen und Patienten stets die Möglichkeit eingeräumt werden, der Datenverarbeitung zu widersprechen. Der Entzug dieses Einverständnisses darf unter keinen Umständen zu Nachteilen für die Patientinnen und Patienten oder für die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt führen. 6. Die Aufklärung über die Nutzung elektronischer Akten, über die Unterschei- dung der einzelnen Akten, über die Zulassung und Bewertung von medizinischen Apps darf nicht allein in den Praxen und Krankenhäusern erfolgen. Kranken- kassen und Versicherungen müssen verpflichtend in diese Aufklärungsarbeit mit eingebunden werden. 7. Mit den Geldern der gesetzlich Versicherten muss verantwortungsvoll umge- gangen werden. Gelder von gesetzlich Versicherten sind kein Risikokapital. Eine Förderung der Entwicklung kasseneigener digitaler Innovationen von bis zu zwei Prozent der Finanzreserven der Krankenkassen wie im Digitale-Versorgung- Gesetz vorgesehen – wird kritisch gesehen. 8. Digitale Prozesse auf Grundlage allgemeiner oder individueller Gesundheits- daten, wie auch digitale Anwendungen (Apps), können lediglich als Ergänzung ärztlicher Tätigkeit im Rahmen der Gesundheitsversorgung dienen. Die Kammer- versammlung lehnt sie als Substitut für persönliche ärztliche Behandlung, beispielsweise als Kostendämpfungsinstrument oder als Surrogatmaßnahme bei Ärztemangel, ab. Entschließungen der Kammerversammlung

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