Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2020

22 | Jahresbericht 2020 Ärztekammer Nordrhein Kammerversammlung Nutzenbewertung von Medizinischen Applikationen (Apps) Technische Funktion darf nicht vor medizinischen Nutzen gehen: Die Ärztekammer Nordrhein kritisiert, dass bei der Einführung Medizinischer Applikationen (Apps) auf ausreichende Tests verzichtet werden soll. Dies betrifft insbesondere auch die neu aufgenomme Regelung, zu verschreibende Apps erst nach einer Einfüh- rungsphase zu bewerten, sie aber schon in den Honorarkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen aufzunehmen. Ärztinnen und Ärzten kommt hier eine Aufgabe zu, Anwendungen zu verschreiben, ohne dass Wirkung und Nebenwirkung letztendlich evaluiert sind. Damit wird die App-Nutzung nach Zulassung durch das BfArM bis zum Nachweis positiver Versorgungseffekte durch die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte zu einem unverantwortlichen Feldversuch. Die Aufklärung über Möglichkeiten, aber auch Unsicherheiten dieses „Feldversuchs“ wird so bei den behandelten Ärztinnen und Ärzten liegen. Daraus entstehende Haftungsfragen sind nicht geklärt. Ein Hinweis auf die be- stehende Gesetzgebung ist aus ärztlicher Sicht nicht ausreichend. Eine Bewertung der einzelnen Anwendung in Bezug auf Qualität, Nutzen und Nutzbarkeit im Versorgungsalltag bleibt unabdingbar, da die Patientensicherheit unter keinen Umständen gefährdet werden darf. Ärzteschaft sowie Patientinnen und Patienten dürfen nicht Nutzer von unzureichend erprobten medizinischen An- wendungen sein. Qualifizierte Tests medizinischer Anwendungen müssen ärztlich begleitet werden. Die Unsicherheit, die dadurch entsteht, dass Algorithmen der Entwickler nicht offen gelegt werden müssen, und dass internationale Konzerne (wie Google und Apple) an den medizinischen Apps durch die Nutzung ihrer Plattformen mit- verdienen und ggf. auch Einsicht auf die Daten und Datenströme haben, ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt. Hier müssen Wege gesucht werden, die Unabhängigkeit zu gewährleisten und die Patientendaten vor ungerechtfertigten Zugriffen zu schützen. Gesundheits-Apps und Software auf Verordnung erfordern einen Nutzennachweis Die Ärztekammer appelliert an den Bundesgesundheitsminister, bei aller Begeis- terung für die Möglichkeiten digitaler Anwendungen, nicht die Grundprinzipien der Medizin außer Kraft zu setzen. 1. Wenn Gesundheits-Apps zulasten des Solidarsystems verordnet werden kön- nen, müssen sie sowohl nachweisen, dass sie nicht schaden (primum nil nocere) als auch, dass ein Nutzen für die Patienten vorliegt. 2. Für professionelle Medizin-Apps mit valider Datenerhebung, Nutzen und gutem Datenschutz muss ein zertifizierter Distributionskanal eingerichtet werden und nur die dort verfügbaren Apps dürfen durch Versicherungsgelder finanziert wer- den. Nur wenn die Ärztin/der Arzt das Herunterladen aus so einem professionel- len App-Kanal empfehlen kann, sind auch die Haftungsfragen geklärt und werden nicht in das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis übertragen. Patienten müssen durch das Gesundheitsministerium darüber informiert werden, dass jedes Update Veränderungen der Datenschutzerklärungen mit sich bringen kann. Beachtung von genderspezifischen Daten bei der Entwicklung medizinischer Apps Bei der Entwicklung von medizinischen Applikationen müssen zwingend Genderspezifika beachtet werden. Hierzu gehört auch, dass dargelegt wird, inwieweit die Erhebungen und Grund- lagen ebenso wie verwendete Statistiken schon genderspezifische Daten ent- halten. Elektronische Patientenakten Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein spricht sich grundsätzlich dafür aus, elektronische Patientenakten einzuführen. Die Qualität der Behandlung auf der Basis von elektronischen Patientenakten jedoch ist abhängig von der Integrität ihrer Einträge. Eine der ärztlichen Versorgung dienende elektronische Patientenakte muss strukturierte, durchsuchbare und ausschließlich ärztlich validierte Daten enthalten. Entsprechend der Gesetzgebung müssen Krankenkassen ihren Patienten elektro- nische Patientenakten anbieten, mittels derer diese ihre eigenen medizinischen Daten verwalten können. Zumeist können so Dokumente oder Abrechnungsdaten gesammelt und verwaltet werden. Positiv hierbei ist, dass der Patient persön- liche Daten beliebig verwenden und speichern, löschen oder erweitern kann. Als problematisch für die ärztliche Versorgung bewertet die Ärztekammer Nordrhein jedoch, dass die Daten in diesen Akten nicht strukturiert zur Verfügung gestellt werden. Die Option, dass Patienten ungefiltert Daten in die Akte einbringen können, kann die Akte ebenso unübersichtlich machen wie die Durchmischung von Behandlungs- und Abrechnungsdaten. Damit eine elektronische, der Versorgung dienende Patientenakte im Versor- gungsalltag eine hohe Akzeptanz bei Patientin/Patient und Ärztin/Arzt erfährt, fordert die Ärztekammer Nordrhein, die Möglichkeiten der Technik besser zu nutzen, um eine intelligente Analyse und Verknüpfung der eingestellten Pa- tientendaten zu erreichen. Hierzu sind Tools notwendig, die über die reine Ablage von PDFs (von z.B. Arztbriefen, Befunden, Labordaten), Diagnosen und Behand- lungsempfehlungen auch eine Mustererkennung von Krankheitsdiagnosen an- bieten und so entscheidungsunterstützend fungieren. Nur so kann eine moderne, der Versorgung von Patientinnen und Patienten dienende elektronische Pa- tientenakte für Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte gleichsam hilfreiche Nutzung gewährleisten (intelligente Akte). Um das Potenzial der elektronischen, der Versorgung dienenden Patientenakten auszuschöpfen, müssen alle relevanten Behandlungsdaten vollständig und ausreichend detailliert erfasst und vom System intelligent verknüpft werden. Je vollständiger und umfangreicher die Daten sind, desto hilfreicher sind sie im Alltag. Hierbei entsteht jedoch ein Spannungsfeld zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten und dem Einsatz der elektronischen Patientenakte als zentrales Versorgungsinstrument. Dieser Aspekt muss in der Gesellschaft unbedingt diskutiert werden. Dabei gebietet das Recht auf Selbstbestimmtheit des Patienten, dass er der Weitergabe seiner Patientenakte über den jeweils behandelnden Arzt hinaus selektiv oder insgesamt widersprechen kann. Diese Maßgabe dient auch der Stärkung des unverzichtbaren Vertrauensverhältnisses zwischen Patientin/Patient und Ärztin/ Arzt. Eine höhere Akzeptanz der elektronischen Patientenakten in der Ärzteschaft ist nur dann zu erreichen, wenn sich der Mehrwert zu den Archivierungssystemen, die von den Krankenkassen als elektronische Patientenakten angeboten werden Entschließungen der Kammerversammlung

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