Rheinisches Ärzteblatt 1/2024

Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2024 13 ärztekammer, resultiert aus dem ökonomischen Druck auf das Krankenhaus oft eine Abwärtsspirale: eine höhere Arbeitsbelastung für das Personal reduziere Arbeitszufriedenheit und Motivation, in Verbindung mit mehr Stress führe dies zu Burnout und höherem Krankenstand; dies wirke sich auf die Qualität der Versorgung aus, was geringere Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit nach sich ziehe und wiederum den ökonomischen Druck verstärke. Forschungsergebnisse belegten die Auswirkungen betriebswirtschaftlicher Optimierungen in den Krankenhäusern. So sei bei einer Befragung von Pflegedienstleitern, Geschäftsführern und Chefärzten deren Wahrnehmung einer eingeschränkten Patientenversorgung deutlich geworden, insbesondere in den Bereichen der Pflege und der Zuwendung, also dort, wo aufgrund nichtmessbarer Parameter eine schleichende Qualitätsreduktion oder Rationierung oft erst verzögert registriert werde. In der gleichen Befragung hätten rund 40 Prozent der Chefärzte angegeben, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ihrem Fachgebiet auch zu überhöhten Eingriffszahlen geführt hatten. Eine Befragung von Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin habe ergeben, dass im Zuständigkeitsbereich der Befragten häufig überflüssige Leistungen erbracht wurden. Dies seien nicht nur unnötige Ausgaben, merkte Marckmann an, sondern durch Überversorgung könne Patientinnen und Patienten auch Schaden zugefügt werden. Ethik als zentrale Führungsaufgabe Marckmann wies auch auf die zunehmende Belastung des Pflegepersonals nach Einführung der Fallpauschalen und den damit einhergehenden betriebswirtschaftlichen Optimierungsstrategien hin. Mehr als verdoppelt habe sich in den Jahren von 1999 bis 2011 die Zahl der Pflegekräfte, die mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden gewesen seien. Ergebnisse derselben Studie hätten aber auch gezeigt, dass es hierzu aus den deutschen Krankenhäusern sehr unterschiedliche Rückmeldungen gab. Für Marckmann bedeutet dies, dass es einigen Kliniken besser gelingt, den ökonomischen Druck zu kompensieren, indem sie verfügbare Handlungsspielräume zur Verbesserung der Arbeitsumgebung nutzten. Studien belegten zudem die Wirkung eines verbesserten Arbeitsumfelds in der Pflege auf das Patienten-Outcome; als Indikatoren herangezogen wurden dazu Arbeitsklima, Mitsprache bei Klinikangelegenheiten, Unterstützung durch Management, kontinuierliche Patientendokumentation und Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden. Die Senkung der Arbeitsbelastung sei in Krankenhäusern mit einem sehr guten Arbeitsumfeld mit einer deutlichen Reduktion der Mortalität verbunden gewesen, wogegen diese in Krankenhäusern mit schlechter Arbeitsumgebung unverändert geblieben sei. Für Marckmann setzt die Umsetzung einer ethisch fundierten Medizin im Krankenhaus zunächst einmal voraus, dass man sich von der Überzeugung verabschiedet, Ethik müsse gegenüber der Ökonomie gestärkt werden. Ethik dürfe nicht als Gegenpol zur Ökonomie verstanden werden, sondern die Berücksichtigung ethischer Vorgaben müsse integraler Bestandteil des Krankenhaus-Managements werden. Das Krankenhaus müsse als ein Ort verstanden werden, unter dessen Dach nebeneinander das produktive technisch-finanzielle System (Outcome-Daten, Bettenbelegung, Durchlaufzeiten, Case-Mix-Index, Umsatzrendite etc.) und das produktive soziale System (Wertehaltungen, gute Medizin, Patienten- oder Mitarbeiterorientierung) bestehen. Letzteres bezeichnet Marckmann als innere Qualität. Von diesen normativen Vorgaben sei in Leitbildern an Krankenhäusern oft die Rede, doch fehle es weitgehend an deren systematischer Erfassung und Steuerung. Eine solche operationalisierte Ethik zur Sicherung der inneren Qualität sei im Krankenhaus eine zentrale Führungsaufgabe. Die gute innere Qualität sorge – so Marckmanns Hypothese – für motivierteres Personal, patientenorientiertere Versorgung und stärke die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Krankenhauses. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen stellten ein zentrales Instrument zur Sicherung der „inneren Qualität“ des Krankenhauses dar. Vieles spreche dafür, dass sich mehr Ethik im Krankenhaus durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch auszahlen wird. Zu der erstmals seit 2019 wieder in Präsenz durchgeführten JörgDietrich-Hoppe-Vorlesung begrüßte Ärztekammer-Präsident Rudolf Henke am 20. November die zahlreich erschienenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haus der Ärzteschaft. Henke verwies darauf, dass im Wirken seines Amtsvorgängers und langjährigen Präsidenten der Bundesärztekammer die Auseinandersetzung mit den ethischen Implikationen im Spannungsfeld von Ökonomie und Medizin stets eine besondere Rolle gespielt habe. Auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm 2008 habe Hoppe zu einer gesellschaftlichen Diskussion angesichts der verdeckten Rationierung aufgerufen. Dabei sei es ihm um eine offene und ehrliche Diskussion angesichts der verdeckten Rationierung und um eine im gesellschaftlichen Diskurs entwickelte „menschliche“ Priorisierung gegangen. Mit der Vorlesungsreihe wolle man Professor Dr. Dr. h.c. Jörg-Dietrich Hoppe, der am 7. November 2011 starb, in seinen inhaltlichen Anliegen würdigen und in Erinnerung halten. Vorlesungsreihe würdigt Anliegen von Jörg-Dietrich Hoppe Ethik ist kein Gegenpol zur Ökonomie, sagt Professor Dr. Georg Marckmann Foto: Sabine Schindler-Marlow

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