Rheinisches Ärzteblatt 1/2024

Gesundheits- und Sozialpolitik 22 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2024 prävention und begrüßt dieses Vorhaben. Die Institutionen der Suizidprävention müssen gestärkt werden und das Gespräch über das Thema Suizid gesamtgesellschaftlich enttabuisiert werden. Opt-Out-ePA führt zu keinem höheren ePA-Nutzungsgrad Die Kammerversammlung fordert die Betreiber der elektronischen Patientenakte (ePA) auf, praxistaugliche, zeitsparende und sichere Lösungen zur Anmeldung und Identifikation der Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, die Voraussetzung zur Nutzung der ePA-Apps auf einem Smartphone sind. Dies muss auch in den Geschäftsstellen vor Ort möglich sein. Eine große, für viele Bürgerinnen und Bürger nicht überwindbare Hürde vor der Erstanwendung der ePA ist die datenschutzkonforme Anmeldung und Identifizierung im Rahmen der Einrichtung einer mobilen Applikation zur Nutzung der ePA, die in den Geschäftsstellen der GKV zu leisten wäre. Ohne Vereinfachung der ePA werden Anwenderquoten von weniger als einem Prozent nicht relevant steigen. Die Nutzung der Funktionalitäten im Routinebetrieb wird weiterhin nachhaltig verhindert. Der vollzogene Paradigmenwechsel von einer freiwilligen Nutzung (Opt-In) zu einer automatischen Nutzung mit einem WiderspruchsVorbehalt (Opt-Out) hilft nicht, diese Hürde zu überwinden, sofern Patientinnen und Patienten eine ePA auch selbst aktiv einsehen und nutzen möchten. Das Problem einer viel zu geringen aktiven Anwenderquote wird durch diese Änderung des Zustimmungsweges nicht gelöst. ePA-Konzept vereinfachen Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein sieht in der Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) eine Chance, die Prozesse zwischen den Leistungsträgern des Gesundheitswesens effizienter zu gestalten, die Patientenautonomie zu stärken und damit einen Beitrag für eine bessere Medizin zu leisten. Schlüssel zum Erfolg bei der Einführung einer ePA sind eine intuitive Bedienbarkeit und eine konzeptionelle Beschränkung auf wenige, häufig genutzte Kernfunktionen. Die Umsetzung dieser Funktionen ist so zu gestalten, dass die Infrastruktur der ePA gleichzeitig als Informationsportal für die Übermittlung patientenbezogener Daten zwischen den Leistungsträgern des Gesundheitswesens genutzt werden kann. Im ersten Schritt sollte die ePA inhaltlich auf stark strukturierte Daten (wie zum Beispiel Labordaten, verordnete Medikamente einschl. Dosierung und Daten aus den Krebsregistern) und strukturierte Berichte (wie zum Beispiel Befundberichte und Arztbriefe) beschränkt werden. Eine klare Abgrenzung der ePA zur Primärdokumentation der Arztpraxen, Krankenhäuser und der anderen Institutionen im Gesundheitswesen ist konzeptionell klar- und sicherzustellen. Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung – Patientenrechte und informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten müssen geschützt werden In der vom Gesundheitsminister angekündigten Digitalstrategie, dem geplanten Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) wird in Bezug auf die bisher geltende Gesetzeslage ein grundlegender Paradigmenwechsel vorgenommen. Daten aus einer zentralen elektronischen Gesundheitsakte (ePA) sollen zum Beispiel, anders als bisher, künftig für industrielle Forschung mit Gesundheitsdaten und für die Pharmaforschung genutzt werden können sowie ausdrücklich auch für kommerzielle Zwecke. Zugleich gibt es eine parallele Entwicklung auf europäischer Ebene zu einem europäischen „Gesundheitsdatenraum“, bei dem Praxen und Kliniken in ganz Europa ihre Arbeitsergebnisse verpflichtend für jede Art von Forschung zur Verfügung stellen müssten und die 400 Millionen Bürger Europas kein Widerspruchsrecht gegen diese undemokratische Enteignung ihrer Krankheitsdaten haben sollen. Durch einen Anwendungsvorrang von EU-Verordnungen hätte das direkte Auswirkungen auf die bundesdeutsche Gestaltung. Die ärztliche Schweigepflicht wäre damit abgeschafft und die Ärztinnen und Ärzte würden ihrer Arbeitsergebnisse enteignet werden. Statt wie versprochen, die Ärzteschaft aktiv in die Digitalstrategie in Deutschland einzubinden, soll die gematik als Institution der Selbstverwaltung vom Bundesgesundheitsminister abgeschafft und in eine Unterbehörde des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) umgewandelt werden. Außerdem sollen dem Bundesdatenschutzbeauftragten wichtige bisherige Rechte entzogen werden. Hinzu kommt, dass den Krankenkassen datenbasierte, aus Sicht der Ärzteschaft unsachgemäße Steuerungs- und Einflußmöglichkeiten auf die Patienten eingeräumt werden sollen. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein kann angesichts dieser völlig veränderten Zielsetzung das Opt-out-Prinzip bei der elektronischen Patientenakte (ePA) nicht mehr unterstützen. Sie favorisiert das bisherige Prinzip der Zustimmungsregelung. Sie fordert im Hinblick auf die Digitalisierungsstrategie von Gesundheitsminister Lauterbach, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten auch bei der ePA gewahrt bleiben muss. Patientinnen und Patienten müssen einfach festlegen können, welcher Arzt oder welcher sonstige Nutzer auf welche Gesundheitsdaten zugreifen darf (feingranulare Zugriffsrechte). Ein „Alles oder Nichts“ ist der falsche Weg. Dies ist beim bisherigen Konzept der ePA ausdrücklich nicht berücksichtigt! Weiter ist nicht vorgesehen, dass der Patient Zugriffen der Krankenkassen oder der kommerziellen Nutzung seiner Daten selektiv oder in toto widersprechen kann. Dies ist aus Sicht der Ärzteschaft inakzeptabel. Die Existenz einer ePA sowie diesbezügliche Zugriffsrechte müssen vom Patienten jederzeit barrierefrei geändert werden können. Menschen, die nicht über Smartphones oder Computer verfügen oder mit digitalen Verfahren nicht vertraut sind, dürfen bei der Wahrung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und bei der gesundheitlichen Versorgung nicht benachteiligt werden. Demontage der Schweigepflicht – kein informed consent Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Abgeordneten des Bundestages auf, der im GDNG vorgesehenen Opt-Out-Regelung nicht zuzustimmen, weil Sie die ärztliche Schweigepflicht faktisch aufhebt. Sie fordert die ärztlichen Kollegen auf, ihre Patienten auf die Aussage des Bundesgesundheitsministers hinzuweisen: Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch dabei. Das ist das Opt-Out-Prinzip (Karl Lauterbach). Das widerspricht der Grundlage jeden ärztlichen Tuns, dem „informed consent“, der informierten Einwilligung des Patienten. Die Schweigepflicht ist außerdem kein Arztprivileg, sondern ein Patientenrecht. Durch die Opt-Out-Regelung verlieren Arzt und Patient

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