Gesundheits- und Sozialpolitik Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2024 23 den konkreten Einfluss darauf, wer auf die Daten zugreift und was mit den Krankheitsdaten in der Sekundärdatennutzung geschieht. In dem vom Bundesgesundheitsminister geplanten Opt-Out-Gesundheitswesen leitet sich zukünftig für alle gesetzlich Versicherten aus dem Nichts-tun eine Zustimmung zur Erstellung, zur Befüllung und zur Datenübertragung in und aus einer elektronischen Patientenakte ab. Dabei besteht in Fachkreisen Einigkeit, dass weder die Anonymisierung und schon gar nicht die Pseudonymisierung einen ausreichenden Schutz der persönlichen Daten garantiert. Die Forderung nach einer Opt-Out-Regelung bei der Organspende ist in ihren Auswirkungen nicht mit dem Opt-Out der ePA zu vergleichen. Im ersten Fall betrifft es Menschen, die die Schwelle zum Tod bereits überschritten haben, während die in der ePA gespeicherten Daten einen Einfluss auf das gesamte zukünftige Leben junger Menschen haben können. Damit wird das Recht auf Selbstbestimmung erheblich geschwächt. Die Bürger verlieren mit einem Opt-Out ihr Recht, sich bei bestimmten Fragestellungen vorläufig oder auf Dauer nicht entscheiden zu müssen. Rücknahme des Opt-Out Beschlusses des DÄT wegen tiefgreifender Änderungen der Gesetzgebung Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Bundesärztekammer auf, die positive Zustimmung zu der Opt-Out- Regelung zur elektronischen Patientenakte (ePA) nicht weiter zu verfolgen und sich statt dessen auf den Beschluss Vc-12 des Deutschen Ärztetages 2023 in Essen zu berufen. Es war ein Fehler, dem Opt-Out-Verfahren ohne konkrete Kenntnis der Gesetzesvorhaben zuzustimmen. Die Auswirkungen des Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und der nachfolgenden Bestimmungen in §25b SGBV waren nicht bekannt und führen zur tiefgreifendsten Veränderung im Gesundheitswesen. Die nunmehr bekannt gewordene, konkrete Ausgestaltung der Gesetzgebung stellt die Ärzteschaft, die bisher zentrale und akademisch-normgebende Profession im Gesundheitswesen, an die Peripherie. Dadurch wird der freiberufliche Arzt zum fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen, ohne jeden Einfluss auf die Frage: Was ist gesund? Im Entwurf des GDNG wird das Gesundheitsministerium allein zuständig für die Datenflüsse im Gesundheitswesen. Der Minister wird ermächtigt, seine Entscheidungen ohne direkten Einfluss des Bundestages, anderer Ministerien und des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI)und ohne das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durch Verordnung zu treffen. Er wird damit der zentrale Akteur im Gesundheitswesen und steuert zukünftig dessen gesamte Entwicklung im Alleingang: § 3 Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten; Verordnungsermächtigung ... (3) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung das Nähere zu regeln zu 1. der Einrichtung und zur Organisation der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten, 2. den Einzelheiten der Wahrnehmung der Aufgaben der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten nach Absatz 2 sowie zu den hierbei anzuwendenden Verfahren, 3. den zur Übermittlung der Anträge an die datenhaltenden und datenmittelnden Stellen gemäß Absatz 2 Nummer 4 jeweils notwendigen Arbeitsstrukturen der Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten, 4. Kriterien für die Eignung von datenhaltenden und datenmittelnden Stellen zur Einbeziehung in die Sekundärdatennutzung über die Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten sowie Bereitstellung transparenter Informationen über diese Kriterien. Geplante Regelungen sind im Benehmen mit den Vertretern der jeweiligen datenhaltenden Stellen zu treffen. Soweit die datenhaltenden Stellen dem Recht des Sozialgesetzbuchs unterliegen, ergehen die Regelungen im Benehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Daten, die erst durch ärztliche Arbeit entstehen, werden für die weitere Nutzung dem Einfluss des Arztes (und des Patienten) völlig entzogen. In Ergänzung dazu erhalten die Krankenkassen nahezu freie Hand, sich in die konkrete Behandlung des Arztes einzumischen. In der Kabinettsvorlage liest sich das so: „§ 25b (SGB V) Datengestützte Erkennung individueller Gesundheitsrisiken durch die Kranken- und Pflegekassen (1) Die Kranken- und Pflegekassen können zum Gesundheitsschutz eines Versicherten datengestützte Auswertungen vornehmen und den Versicherten auf die Ergebnisse dieser Auswertung hinweisen, soweit die Auswertungen den folgenden Zwecken dienen: 1. der Erkennung von seltenen Erkrankungen, 2. der Erkennung von Krebserkrankungen, 3. der Erkennung von schwerwiegenden Gesundheitsgefährdungen, die durch die Arzneimitteltherapie entstehen können, 4. der Erkennung ähnlich schwerwiegender Gesundheitsgefährdungen, soweit dies aus Sicht der Kranken- und Pflegekassen mutmaßlich im überwiegenden Interesse der Versicherten ist, oder 5. der Erkennung des Vorliegens von Impfindikationen für Schutzimpfungen, die von der Ständigen Impfkommission nach § 20 Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes empfohlen sind. ... (4) Sofern bei einer in Absatz 2 genannten Auswertung eine konkrete Gesundheitsgefährdung bei einem Versicherten identifiziert wird, ist der Versicherte umgehend auf diese konkrete Gesundheitsgefährdung in präziser, transparenter, verständlicher Weise und in einer klaren und einfachen Sprache hinzuweisen. Der Hinweis nach Satz 1 ist mit einer Empfehlung zu verbinden, eine ärztliche, zahnärztliche, psychotherapeutische oder pflegerische Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Empfehlung ist zu begründen. Es bleibt bei dem GDNG die Frage offen, warum „wir gerade mit Sieben-Meilen-Stiefeln in die falsche Richtung gehen und es von uns Ärzten kaum Widerstand dagegen gibt. Keiner wehrt sich und ich wundere mich, warum.“ sagte Frau Prof. Thun, „eine der einflussreichsten Personen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.“ im Deutschen Ärzteblatt. Man braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie die Auswirkungen des GDNG § 3 (3), … Verordnungsermächtigung im Zusammenspiel mit dem „unersättlichen Informationsbedarf der Krankenkassen“ (Dr. Thilo Weichert, ehem. Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein) sich auf die ärztliche Alltagsarbeit auswirken werden. Das GDNG untergräbt das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis und stellt die ärztliche Autorität in der Frage: „Was ist gesund?“ zur Disposition. Diese beiden politischen Positionen sind für uns als Ärzteschaft inakzeptabel.
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