Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2024 31 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 141 100 Kilometer Fußweg für ein medikament. das geht zu weit. Jede Spende hilft: www.medeor.de Die Notapotheke der Welt. gesaugt werden konnte. In Bronchiallavagen und Trachealsekreten konnte insgesamt über 19 Tage fünfmal mäßig viel Klebsiella pneumoniae sowie mäßig viel, im Verlauf zweimal reichlich, Staphylococcus aureus (multisensibel) nachgewiesen werden. Während dieses Zeitraums zeigte sich der CRP-Wert fast durchweg 20-fach erhöht, intermittierend bestand Fieber. Aufgrund des fulminanten Krankheitsbildes mit initialer Hypoglykämie, anschließender Kreislaufinstabilität einschließlich Bestehens einer Tacharrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern und einer Pneumonie mit Nachweis von Klebsiellen und im weiteren Verlauf Entwicklung eines septischen Krankheitsbildes war klinisch das Vorliegen einer Tuberkulose wenig wahrscheinlich. Befunderhebungsfehler Bei Vorhandensein von reichlich eitrig übelriechendem Sekret am Tracheostoma, Nachweis von Staphylococcus aureus im Trachealsekret, intermittierendem Fieber und einem 20-fach erhöhten CRP-Wert hätten eine antibiotische Therapie eingeleitet und Blutkulturen abgenommen werden sollen, was in diesem Fall behandlungsfehlerhaft unterblieb. Die Maßnahme wäre ab dem 23. Behandlungstag nach Erhalt der Mikrobiologie des Trachealsekrets und dem seit dem Vortag ansteigenden CRP-Wert (von zuletzt 9,8 mg/dl auf 12,8 mg/dl) indiziert gewesen. Die Unterlassung bis zur Verlegung am 27. Behandlungstag wird als einfacher Behandlungsfehler und als einfacher Befunderhebungsfehler bewertet. Schwere Fehler liegen nicht vor, da der Procalcitoninwert am 23. Behandlungstag nicht erhöht war. Eine hals-nasen-ohrenärztliche Mitbeurteilung der Punktionsstelle war indes bei Beatmungspflicht bei großflächigen Nekrosen früher und nicht erst zum Zeitpunkt des Weanings indiziert. Auch ein einfacher Befunderhebungsfehler kann zugunsten des Patienten Beweiserleichterungen mit sich bringen. Hätten hypothetisch erhobene Befunde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis geliefert, dessen Verkennung oder Nichtbeachtung sich jeweils als grob fehlerhaft darstellt, wird nach § 630 h Abs. 5 BGB vermutet, dass der Fehler eine nachfolgende Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit des Patienten verursacht hat, wenn er grundsätzlich geeignet war, eine Folge der eingetretenen Art herbeizuführen. Hiervon ist in der täglichen Praxis häufiger auszugehen, weil gänzliches Unterlassen jedweder Behandlung im Angesicht besorgniserregender Befunde durchaus als ein Verstoß gegen eindeutig gesicherte Erkenntnisse und bewährte ärztliche Behandlungsregeln erscheinen kann, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint. Im vorliegenden Fall lagen die Dinge jedoch anders. Nicht jeder Keimnachweis im Trachealsekret zieht eine Behandlungspflicht nach sich. Hätte demzufolge auch der hypothetisch ab dem 23. Behandlungstag gewonnene positive Befund einer Blutkultur, einhergehend mit dem erhöhten CRP-Wert, das Unterbleiben einer antibiotischen Therapie nicht als groben Behandlungsfehler erscheinen lassen, kommen dem Patienten aus dem Gesichtspunkt des Befunderhebungsfehlers Beweiserleichterungen nicht zugute. Abschließend kann damit ein Ursachenzusammenhang des Fehlers mit dem anschließenden Geschehen nicht festgestellt werden. Ob nämlich eine um wenige Tage frühzeitigere antibiotische und HNO-ärztliche Therapie bei dem multimorbiden, Anfang 80-jährigen Patienten mit Diabetes mellitus, Verdacht auf Normaldruckhydrozephalus, anamnestisch vorbekannter Demenz, koronarer Herzerkrankung und arterieller Hypertonie den weiteren Verlauf mit letztlich Versterben hätte verhindern können, ist ohne Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten nicht mit nötiger Wahrscheinlichkeit feststellbar. Professor Dr. Bernd Sanner ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied, Dr. Burkhard Gehle ist Stellvertretender Vorsitzender und Dr. Beate Weber war bis Juni 2023 die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Gutachterkommission.
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