Rheinisches Ärzteblatt 1/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2024 43 Kulturspiegel John Steinbecks „Früchte des Zorns“ ist derzeit in einer Inszenierung von Rafael Sanchez im Schauspiel Köln zu sehen. von Jürgen Brenn Es ist noch gar nicht so lange her, dass Lockdowns, Abstandsregeln und Masken das gesellschaftliche und vor allem das kulturelle Leben beinahe zum Erliegen brachten. Geschlossene Kinos, geschlossene Musiksäle, geschlossene Theater. Die Schauspielstätten mussten sich etwas einfallen lassen, experimentierten mit Video und Inszenierungen, bei denen peinlich genau darauf geachtet wurde, dass sich die Akteure nicht zu nahekamen. Die derzeit im Ausweichquartier des Schauspiels Köln an der Schanzenstraße in Köln-Mülheim gezeigte Inszenierung von „Früchte des Zorns“ hatte ihre Premiere am 20. Dezember 2020 im Netz als Live-Stream gefeiert. Nun stehen die Schauspielerinnen und Schauspieler ihrem Publikum wieder in Fleisch und Blut gegenüber, auf Abstand wird dennoch geachtet. Rafael Sanchez hat das Stück „Früchte des Zorns“ des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck in Szene gesetzt. Für den 1939 erschienenen Roman erhielt Steinbeck 1940 den Pulitzerpreis für Belletristik. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Familie Joad, die wie viele andere Farmerfamilien des mittleren Westens, in der Weltwirtschaftskrise gezwungen ist, ihre Heimat zu verlassen und ihr Glück in Kalifornien zu suchen. Zwischen 1935 und 1939 kamen zwischen 300.000 und 500.000 Menschen als Binnenmigranten dorthin. Die Jahre anhaltende Dürre im „Herzland Amerikas“ hatte Ernten wiederholt zunichte gemacht, die Pächter konnten ihre Kredite nicht mehr tilgen und obendrein machte die Mechanisierung viele Arbeitskräfte in der Landwirtschaft überflüssig. Die Joads bewirtschaften ein Stück Land in Oklahoma. Sie sind stolze Menschen. Die Großmutter, gespielt von Birgit Walter, vertreibt jeden mit einem Gewehr im Anschlag von ihrem Grund und Boden, der ihr nicht in den Kram passt. Als ihr Enkel Tom, gespielt von Seán McDonagh nach vier Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, ist sie enttäuscht, dass er auf Als die Not erfinderisch machte Auf Corona-­ Abstand sitzen die Joads in ihrem imaginären Auto auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Foto: Krafft Angerer Bewährung herauskommt und nicht geflohen ist, wie es ein echter Joad getan hätte, wie sie behauptet. Aber auch Grandma kann den wirtschaftlichen Niedergang der Familie nicht verhindern. Als ein Traktor ihr Haus rammt, weil er schnurgerade Furchen durch die Erde zieht, wird es Zeit für die Familie, sich ins Auto zu setzen und das Land, das sie verloren haben, Richtung Westen zu verlassen. Sie nehmen noch einen großmäulidas Haus nur aus Pappe besteht. Der Vater, gespielt von Stefko Hanushevsky, sowie seine beiden Söhne Tom und Al, gespielt von Justus Maier, ziehen jeden Tag von Farm zu Farm auf der Suche nach Arbeit. Meistens ohne Erfolg, denn so wie sie sind unzählige verarmte Farmer auf der Suche nach einem Broterwerb, um ihre Familien zu ernähren. Wenn doch einmal Arbeit für die Joads da ist, wird sie so schlecht bezahlt, dass das verdiente Geld hinten und vorne nicht reicht, um die Familie über Wasser zu halten, besonders da Rose, die Tochter der Joads, gespielt von Kristin Steffen, ein Kind erwartet. gen Prediger, gespielt von Martin Reinke, und den Freund der Tochter mit. Die Joads sind gute Menschen und üben nicht nur untereinander Solidarität. Grandma will ihre Heimat nicht verlassen und kann nur mithilfe einer großen Menge Whiskey schlafend ins Auto verfrachtet werden. Sie wird die Ankunft im „Gelobten Land“ nicht mehr erleben. Exakt im Abstand von 1,5 Meter stehen die Autositze auf der Bühne und Pablo Giw imitiert mit seiner Trompete das Motorengeräusch. Er begleitet dezent, aber doch präsent und einfühlsam das ganze Bühnenstück und zaubert mit wenigen Hilfsmitteln einen steten Klangteppich. Schon auf dem Weg entlang der Route 66 erleben die Joads, dass sie in Kalifornien nicht mit offenen Armen empfangen werden. Auch das Versprechen, dass sie dort leicht Arbeit auf den Obstplantagen finden würden, entpuppt sich als unwahr. Historisch verbrieft wurden die Wanderarbeiter oft in von US-Bundesbehörden eingerichteten Lagern, den nach dem damaligen US-­ Präsidenten Herbert Hoover benannten „Hoovervilles“, mehr schlecht als recht untergebracht. Verzweifelt versuchen die Joads, ihre Würde zu bewahren und ein Dach über dem Kopf zu bekommen, auch wenn Der Vater des Kindes ist während der Reise abhandengekommen. Verzweifelt zählt die Mutter, gespielt von Katharina Schmalenberg, die letzten Kartoffeln und macht ihrem Mann Vorwürfe, obwohl sie weiß, dass er nichts für die prekäre Lage der Familie kann. Sie ist nicht im Stande ihrer Tochter Milch zu kaufen, die diese und ihr ungeborenes Kind dringend benötigen. Immer wieder wird der Fortgang der Geschichte unterbrochen, um die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hintergründe dieser Zeit zu beleuchten. Die Erklärungen werfen ein trübes Licht auf den „American Dream“, der für viele Familien in dieser Zeit unerreichbar ist, so sehr sie auch den Willen haben, fleißig zu arbeiten, um zumindest nicht hungern zu müssen. Aber trotz der wirtschaftlichen Not erfahren die Joads auch Solidarität, Mitmenschlichkeit und Zusammenhalt, wenn es darum geht, für das Recht auf fairen Lohn einzustehen. Als Tom in einen Arbeitskampf gerät, kommt er mit gebrochener Nase nach Hause, wohlwissend, dass er den Kampf um die gewerkschaftlichen Lohnforderungen weiterkämpfen muss. Informationen unter www.schauspiel.koeln und Tel.: 0221 221 28400.

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