Rheinisches Ärzteblatt 2/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2024 17 nahmen ausgeweitet“, berichtet der Notarzt. Neben den klassischen Sicherheitstrainings würden die humanitären Helfer auch im Umgang mit chemischen und Nuklearunfällen beziehungsweise -angriffen geschult. Jeder erhalte einen extra Rucksack mit spezieller Ausrüstung für den Ernstfall. Neu sei auch, dass die Helferinnen und Helfer in Frontnähe schusssichere Westen und Helme tragen müssten. Diese seien zwar schwer, man sei damit weniger beweglich und schwitze mehr. „Aber auf der anderen Seite wollen wir als Organisation die Risiken, von denen wir wissen, möglichst minimieren“, bekräftigt Stöbe. Angriff auf eine Klinik mit 42 Toten 2015 kam es in Kundus in Afghanistan zu einem schweren Zwischenfall, der den Arzt noch heute bestürzt. Damals flogen US-Streitkräfte Luftangriffe auf ein Krankenhaus von MSF. 42 Menschen starben. „Die Klinik wurde in der Nacht wiederholt beschossen, obwohl wir vorher die GPS-Koordinaten an die afghanische und die US-­ Armee durchgegeben und wiederholt betont hatten, dass es sich um eine rein medizinische Einrichtung handelt“, erinnert sich Stöbe. Das afghanische Verteidigungsministerium erklärte in der Folge, eine Gruppe von Terroristen mit leichten und schweren Waffen habe sich in der Klinik aufgehalten. Die NATO sprach von einem möglichen „Kollateralschaden“ bei einem Angriff auf feindliche Kämpfer. „Wir haben daraufhin eine unabhängige internationale Untersuchung gefordert, die es aber nie gegeben hat“, sagt Stöbe. Immerhin habe eine interne US-amerikanische Untersuchung ergeben, dass eine Verkettung von menschlichem und technischem Versagen den tragischen Vorfall verursacht hat. „Man hat sich entschuldigt“, betont Stöbe. „Aber das Wichtigste ist, dass die US-amerikanische Seite zugegeben hat, dass sich im Krankenhaus weder Kämpfer noch Munition befunden haben.“ Würden solche Vorwürfe von Konfliktparteien ungeprüft als Alibi genutzt, um Angriffe zu rechtfertigen, könne man das Völkerrecht vergessen. Das gelte aktuell auch für Gaza. Dort gebe es zurzeit keine unabhängigen Beobachter, die eine Einschätzung der Situation abgeben könnten. „Natürlich verurteilen wir die Hamas, wenn medizinische Einrichtungen als Schutzschilde missbraucht werden“, sagt Stöbe. Aber man appelliere auch an die israelischen Streitkräfte und die Regierung, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren und medizinische Einrichtungen und Zivilisten zu schützen. Respekt vor Völkerrecht einfordern Die Health Care in Danger Initiative der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung versucht derweil nicht nur mit gezielten Kampagnen wie #NotATarget, Politik und Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. In ihrem Rückblick auf zehn Jahre Health Care in Danger, der im März 2023 erschien, schreibt die Initiative, sie habe ihren strategischen Fokus verlagert: von der Erarbeitung von Empfehlungen und Leitlinien hin zu konkreten Aktionen. Spezial Organisationen wie das Rote Kreuz, der Rote Halbmond oder „Ärzte ohne Grenzen“, die im Kriegs- und Katastrophenfall Hilfe leisten, haben sich in Anlehnung an die Genfer Konventionen den grundlegenden humanitären Prinzipien der Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität verschrieben: Unparteilichkeit: Jeder Mensch in akuter Not hat ein Recht auf Hilfe, ungeachtet seiner Nationalität, Religion, sozialen Stellung oder politischen Überzeugung. Unabhängigkeit: Humanitäre Organisationen handeln unabhängig von politischer oder militärischer Einflussnahme. Sie bewahren sich auch finanziell einen Grad an Eigenständigkeit, der es ihnen ermöglicht, nach humanitären Prinzipien zu handeln. Neutralität: Humanitäre Organisationen ergreifen in Kriegs- und Krisensituationen nicht Partei. Nur so ist gewährleistet, dass sie allen Bedürftigen helfen können. Die humanitären Organisationen begreifen die Einhaltung der humanitären Prinzipien auch als Gewähr für die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter und Einrichtungen. Prinzipien der Humanitären Hilfe Vor diesem Hintergrund hat sie vier Handlungsfelder identifiziert: So gelte es, vor Ort den Respekt von Streitkräften, Milizen und anderen Kämpfern gegenüber der medizinischen Versorgung durch Schulungen zu fördern oder auch mithilfe von Sanktionen durchzusetzen. Bei den politisch Verantwortlichen müsse man dafür werben, die humanitäre Hilfe durch entsprechende Gesetzgebung zu schützen. Medizinisches Personal sowie andere humanitäre Helferinnen und Helfer müssten geschult werden, damit sie sich und ihre Einrichtungen, aber auch mobile Teams und Ambulanzen besser vor Gewalt schützen und Konflikte deeskalieren könnten. Nicht zuletzt müsse der gesellschaftliche Respekt gegenüber den im Gesundheitswesen Tätigen in betroffenen Ländern und Regionen gestärkt werden. Die Health Care in Danger Initiative sieht inzwischen erste Erfolge ihrer Arbeit. Gewalt gegen medizinische Hilfe habe eine hohe Priorität auf diplomatischer Ebene erlangt. Zudem engagierten sich multilaterale Organisationen wie die WHO, humanitäre Hilfsorganisationen wie MSF und die Safeguarding Healthcare in Conflict Coalition, der neben dem IKRK auch der Weltärztebund als Beobachter angehören, für das Thema. Trotz dieser Fortschritte müsse man einräumen, dass die Gewalt vor Ort nach wie vor ein Problem sei, hießt es in der Health Care in Danger Strategie für 2020 bis 2022. Es müsse jetzt darum gehen, in den betroffenen Ländern und Regionen „Normen in praktisches Handeln und Verhaltensänderungen zu überführen“. Tankred Stöbes Analyse fällt ähnlich aus: „Wir müssen verhindern, dass Gewalt gegen medizinische Einrichtungen und humanitäre Helfer ein Stück weit Normalität wird.“ Die große öffentliche Empörung, die Angriffe auf Krankenhäuser oder humanitäre Helfer vor fünf oder zehn Jahren ausgelöst hätten, gebe es nicht mehr in dem Maße. „Das ist neu“, sagt Stöbe.

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