Rheinisches Ärzteblatt 2/2024

Gesundheits- und Sozialpolitik 18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2024 Förderung Allgemeinmedizin: Umstrittene Kassenvorschläge Seit 1999 fördern Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen die allgemeinmedizinische Weiterbildung. Zuletzt flossen knapp 300 Millionen Euro an Zuschüssen allein an weiterbildende Praxen. Doch die Kassen zeigen sich unzufrieden mit den Ergebnissen des Förderprogramms. von Heike Korzilius Die Idee ist aus Sicht vieler Experten und Gesundheitspolitiker nicht nur medizinisch sinnvoll, sondern auch kostengünstig: In einer alternden und zunehmend multimorbiden Gesellschaft koordinieren gut qualifizierte Hausärztinnen und -ärzte die Behandlung ihrer Patienten und lotsen diese durch ein immer komplexer werdendes Gesundheitssystem. Voraussetzung ist, dass sich genügend motivierte Ärztinnen und Ärzte finden, die hausärztlich tätig werden wollen und die entsprechende fünfjährige allgemeinmedizinische Weiterbildung absolvieren, davon zwei Jahre im ambulanten Bereich. Seit nunmehr 25 Jahren versuchen Politik, Ärzteschaft und Krankenkassen, dieses Ziel mithilfe struktureller und finanzieller Förderprogramme zu erreichen (siehe Kasten). Zuletzt flossen knapp 300 Millionen Euro jährlich allein in die Finanzierung ambulanter allgemeinärztlicher Weiterbildungsstellen. Doch die Kassen zeigten sich zum Jahreswechsel unzufrieden mit dem Erreichten. Die Zahl der Hausärzte in der vertragsärztlichen Versorgung steige allenfalls marginal und bei Weitem nicht in einer Größenordnung, die angesichts der altersbedingten Abgänge den wachsenden Bedarf decken könne, heißt es vonseiten des GKV-Spitzenverbandes. Zwar sei nach der Ärztestatistik der Bundesärztekammer die Zahl an allgemeinmedizinischen Weiterbildungsabschlüssen zwischen 1998 und 2022 von 1.700 auf 1.900 gestiegen, die Zahl der anderen Facharztabschlüsse habe hingegen von circa 9.000 auf 12.200 deutlich stärker zugenommen. Der Anteil der Abschlüsse in der Allgemeinmedizin sei damit von rund 16 auf 13 Prozent gesunken. In Nordrhein lag dieser Wert 2023 sogar nur bei knapp 10 Prozent. Ebenfalls zurückgegangen sei der Anteil der Hausärzte in der vertragsärztlichen Versorgung, von knapp 41 Prozent im Jahr 1998 auf 36 Prozent im Jahr 2022. Diese Ergebnisse nach 25 Jahren der Förderung allgemeinmedizinischer Weiterbildung belegten ganz eindeutig, dass es ein „Weiter so“ nicht geben könne, erklärte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Allein durch den Einsatz von immer mehr Fördermitteln könne das Ziel, genügend Nachwuchs für die Hausarztpraxen zu gewinnen, offenbar nicht erreicht werden. Die Kassen setzen bei der Suche nach Lösungen für das Problem auf die Erfahrungen europäischer Nachbarländer. So erreichen dem IGES Institut zufolge, das die Kassen mit dem Ländervergleich beauftragt haben, etwa die Niederlande oder Frankreich Anteile von allgemeinmedizinischen Weiterbildungsabschlüssen an allen Facharztanerkennungen von 33 und 40 Prozent. Das Fazit des Forschungsinstituts: Die besonders erfolgreichen Vergleichsländer räumen hausärztlichen Themen bereits im Medizinstudium breiten Raum ein, für die Studierenden sind Phasen in hausärztlichen Praxen verpflichtend. In den meisten Ländern sind zudem die Weiterbildungszeiten kürzer als in Deutschland. Der stärkste Hebel zur Erhöhung der Zahl der Hausärzte ist aber den IGES-Experten zufolge „eine bessere Planung der benötigten ärztlichen Kapazitäten sowie eine darauf aufbauende Quotierung der jährlich angebotenen Weiterbildungsplätze“. Attraktiver für den ärztlichen Nachwuchs werde die Tätigkeit als Hausarzt auch durch eine Aufwertung ihrer Rolle im Versorgungssystem, so die Autoren. Der GKV-Spitzenverband will diese Vorschläge jetzt in die Lenkungsgruppe zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin einbringen. Dort sind auch die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Verband der Privaten Krankenversicherung vertreten. „Wir stehen hier am Anfang eines längeren Prozesses“, hieß es auf Anfrage vonseiten der Kassen. Kritik an staatlicher Steuerung Mit ihrem Vorstoß haben die Kassen in der Ärzteschaft ein geteiltes Echo hervorgerufen. BÄK und KBV kritisieren vor allem die empfohlene stärkere Steuerung der Weiterbildung durch Staat und Kostenträger. Damit beschränke man nicht nur die Wahlfreiheit des ärztlichen Nachwuchses, sondern untergrabe auch die Verantwortung der Ärztekammern für Inhalte, Ablauf und Struktur der Facharztweiterbildung, erklärte der Vorsitzende der Ständigen Konferenz Ärztliche Weiterbildung der BÄK, Professor Dr. Henrik Herrmann. Als Anreiz, die bisherigen Bemühungen zur Förderung der Allgemeinmedizin zu erweitern, wertet hingegen der Hausärztinnen- und Hausärzteverband das IGES-Gutachten. Der Verband unterstützt insbesondere die Forderungen nach einer besseren Verankerung der Allgemeinmedizin im Studium sowie das Konzept des Hausarztes als Lotse durch das Gesundheitssystem, wie es in der von ihm selbst seit Jahren propagierten hausarztzentrierten Versorgung angelegt ist. Zurzeit bezuschussen Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Krankenkassen im ambulanten Bereich zu gleichen Teilen jede Vollzeitstelle in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung mit insgesamt 5.400 Euro. Im stationären Bereich fließen bis zu 1.500 Euro je Vollzeitstelle, die die Kassen alleine tragen. Die Private Krankenversicherung beteiligt sich jeweils anteilsmäßig an der Finanzierung. Gefördert werden sollen bundesweit mindestens 7.500 Stellen. Nach Angaben des GKVSpitzenverbandes flossen allein 2021 knapp 300 Millionen Euro (NRW: 50,1 Millionen) in die allgemeinmedizinische Weiterbildung in den Vertragsarztpraxen sowie 24 Millionen Euro für die Stellenförderung in den Krankenhäusern. 300 Millionen Euro für die Weiterbildung

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