Rheinisches Ärzteblatt 2/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2024 37 Kulturspiegel Das Theater Aachen zeigt das Stück „Die Burg der Assassinen“ von Amir Gudarzi in einer Uraufführung. von Jürgen Brenn Im dritten Stock, direkt unter dem Dach des Schauspielhauses in Aachen, ist eine kleine Spielstätte eingerichtet, die „Kammer“. Der Theatersaal besteht aus einer überschaubaren Bühne, vor der rund 150 Zuschauer Platz finden. Dort werden vor allem zeitgenössische Schauspielproduktionen gezeigt, wie etwa das neue, sehenswerte Stück „Die Burg der Assassinen“ von Amir Gudarzi. Das raffiniert und verschachtelt aufgebaute Stück, das sich über 4.000 Jahre Kulturgeschichte spannt, ist in Aachen als Uraufführung zu sehen. Die Regie führt Florian Fischer. Der 1986 geborene Autor, Amir Gudarzi, stammt aus dem Iran. Er hat in Teheran die Theaterschule besucht und studierte dort szenisches Schreiben. 2009 emigrierte er nach Österreich und nahm 2017 die österreichische Staatsbürgerschaft an. Gudarzi lebt und arbeitet in Wien. „Die Burg der Assassinen“ beschäftigt sich mit Flucht, Vertreibung, Grenzen und auch mit Reisen von West nach Ost oder von Ost nach West. Dabei bemüht Gudarzi historische Figuren, die Mythologie und das Epos von Gilgamesch auf die Bühne. Auch ein sprechender Berg kommt zu Wort, der dem Massentourismus der Skifahrer auf seinen Hängen überdrüssig ist und sich mit seinen eigenen Mitteln dagegen zur Wehr setzt. Fünf Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen im fliegenden Wechsel die zahlreichen Charaktere und schlüpfen regelmäßig in andere Rollen. Dabei tragen sie Gesichtsmasken, die ihre Züge eigentümlich verfremden, mit Ausnahme von Shehab Fatoum. Er zeigt als einziger sein wahres Gesicht, wenn er als „Er“ in einem goldenen Gewand vor einem Durchgang steht, den zwei Sphinxen bewachen, die jeden töten, der das von ihnen gestellte Rätsel nicht lösen kann. „Er“ wagt es nicht, nach dem Rätsel zu fragen und zögert, seinen risikoreichen Weg fortzusetzen, obwohl am Ende dieses Handlungsstrangs die Sphinxen ihn ohne Rätselfrage passieren lassen würden. „Er“ Von Grenzen und Grenzerfahrungen Die Bühne erinnert stark an einen halb geöffneten Schlagbaum. Links im Bild steht Shehab Fatoum in seiner Rolle als Flüchtling und Altenpfleger. Nola Friedrich, Elke Borkenstein und Mona Luana Schneider warten als Skifahrerinnen auf den Lift. Foto: Annemone Taake schält sich aus seiner goldenen Robe und schlüpft in eine Altenpfleger-Kluft. Nun ist er „Ein Anderer Er“ und in Europa als Asylbewerber angekommen. Er wird direkt in einen Mangelberuf gedrängt, ohne dass auf seine Wünsche oder Fähigkeiten geschaut wird. Er füttert Senioren, cremt Beine ein oder wischt geduldig den Urin weg, den eine Heimbewohnerin verliert. Die Geschichte seiner Flucht von einer östlichen AußengrenTorsten Borm ist nicht nur der LKW-Fahrer, sondern verwandelt sich mit einem Brokatumhang und einer Pelzmütze auf dem Kopf in die historische Figur, die mit ihren Reiseerzählungen vom Mittleren Osten bis China maßgeblich die europäisch-christliche Sicht auf diese Länder, Kulturen und Religionen mitprägte. Eine weitere Handlungsebene beschäftigt sich mit den Assassinen, einem ismailitischze Europas bis in die Schweiz bildet eine weitere Handlungsebene. Sexarbeiterinnen, die LKW-Fahrer auf einem Rastplatz regelmäßig bestehlen, verstecken ihn in einem Sattelzug, ohne dass sie dafür eine Gegenleistung von ihm erwarten. So reist er unentdeckt Richtung Westen. Vorher war er wochenlang zu Fuß unterwegs und ernährte sich vor allem von Melonen. Locker verwoben endet dieser Handlungsstrang in den Alpen, wo der renitente Berg sich daran macht, mithilfe von Steinschlägen die Flut der Touristen zu stoppen, die über die Autobahn kommen, um auf ihm Ski zu fahren. Die Steine zerstören zwar die Fahrbahn und treffen bis auf den Auflieger eines LKWs keine Autos. Der Auflieger wird jedoch komplett zerquetscht. So wie der Flüchtling in der Gegenwart von Ost nach West reist, trat vor rund 700 Jahren Marco Polo seine Reise, ebenfalls über den Landweg, von West nach Ost an. schiitischen Ritterorden der Nizariten. Sie lebten seit dem 11. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Syriens und Irans. Der Begriff „Assassinen“ wurde durch die christliche Geschichtsschreibung geprägt und leitet sich vermutlich von „Haschisch“ ab und der Annahme, dass die Nizariten die Droge konsumierten. In dem Stück wird ihre Burg über viele Monate von den Mongolen belagert. Auch sie setzen sich zur Wehr, indem sie Steine auf die Belagerer werfen, ähnlich wie der Berg in den Alpen. Amir Gudarzi schafft zahlreiche Erzählebenen, die sich immer wieder aufs Neue mit Aspekten von Flucht und Vertreibung aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigen. Dabei muss nicht jedes Bild auf der Bühne für jeden Zuschauer stimmig sein, sondern soll zum Nachdenken anregen. Informationen unter www.theateraachen.de und Tel.: 0241 4784 244.

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