Rheinisches Ärzteblatt 3/2023

Thema 14 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2023 gerschaftsdiabetes und -hypertonus. Risikofaktoren, über die Frauen von ihren Ärztinnen und Ärzten im Bezug auf Herz- und Gefäßerkrankungen meist noch nie befragt worden seien, so Sievers. Auch die Tatsache, dass Frauen, die rauchen, an Diabetes mellitus leiden oder viel Stress haben ein fast doppelt so hohes Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen haben als Männer bliebe weitestgehend unbeachtet. Allerdings beschäftigt sich die Gendermedizin nicht nur mit den Frauen. Männer sind bei einigen Erkrankungen unterdiagnostiziert und benachteiligt, so Sievers. Fort- und Weiterbildung gendersensibel gestalten Gendersensible Themen sind in Sievers’ Abteilung regelmäßig Teil der wöchentlich stattfindenden Fortbildungen und der täglichen Visiten. „In den Visiten prüfenwir Beschwerdendanach, ob sie auf geschlechtsspezifische Erkrankungen hinweisen. Speziell bei Patientinnen überprüfen wir, ob Medikamente auch bei niedrigerer Dosierung dieselbe Wirkung haben.“ Das reduziere Nebenwirkungen und erhöhe die Therapietreue, weiß Sievers. Wichtig sei daher, mit einer niedrigen Dosierung zu starten und diese langsam zu erhöhen, bis die gewünschte Wirkung erzielt sei. Dem Internisten, Kardiologen, Angiologen und Gendermediziner zufolge sterben Frauen häufiger an Herzerkrankungen als Männer. Und sie sterben häufiger an Herzerkrankungen als an allen Krebserkrankungen zusammen. Ein Fakt, der für Erstaunen sorge, aber vor allem Interesse wecke, sagt Sievers. Umso wichtiger ist es laut Sievers, die gendersensible Medizin auch fest in die Fort- undWeiterbildung zu integrieren. „Nur so können Ärztinnen und Ärzte auf das Thema aufmerksam werden“, so Sievers. Klinische Studien müssen das Geschlecht berücksichtigen In der Pharmakologie zeigen sich bei Frauen und Männern laut Thürmann deutliche Unterschiede bei der Verstoffwechselung vonArzneimitteln sowieUnterschiede in der Empfindlichkeit. Frauen verstoffwechselten manche Medikamente deutlich langsamer als Männer und litten dadurch eher an Nebenwirkungen. Das sei zumBeispiel beimhäufig verwendeten Chemotherapeutikum 5-Fluoruracil oder dem Antidepressivum Venlafaxin der Fall. Nebenwirkungen wie eine QT-Verlängerung oder eine daraus resultierende Torsade-de-Pointes-Arrhythmie treten bei Frauen doppelt so häufig auf wie bei Männern. Die Arzneimittel-­ induzierte QT-Verlängerung mit lebensbedrohlichen Arrhythmien sei in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder Anlass für die Marktrücknahme verschiedener Medikamente gewesen, erklärt Thürmann. „Eine Analyse von Veröffentlichungen zu diesen Medikamenten ergab jedoch, dass in den klinischen Studien meist keine Frauen eingeschlossen wurden.“ personalisierte Medizin mit hinein, so Sievers. Der Chefarzt der Medizinischen Klinik I amSana-Klinikum Remscheid ist zugleich stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin (DGeSGM). Die DGeSGM beschäftigt sich mit geschlechterabhängigen Beschwerden und damit, wie sich klinische Erscheinungsbilder, Diagnostik, Prävention und Krankheitsverläufe bei Männern, Frauen und Andersgeschlechtlichen unterscheiden. Die Gesellschaft setzt sichwie auch das neu gegründete Netzwerk für eine standardisierte und flächendeckende Einführung der geschlechterspezifischenMedizin in der Lehre ein. „Geschlechtsspezifische Unterschiede müssen direkt für jede Krankheit mitgelehrt werden“, bekräftigt Sievers. Auch in der Ausbildung des Medizinischen Im Netzwerk geschlechtersensible Medizin will Professor Dr. Sabine Oertelt-Prigione gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen geschlechtersensible Medizin fest in den Curricula der medizinischen Fakultäten verankern. Professor Dr. Sabine Oertelt-Prigione ist Professorin für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld Foto: Uni Bielefeld Assistenzpersonalsmüssen geschlechtersensible Inhalte fest verankert werden, fügt er hinzu. ImGender-Herzzentrum inRemscheid (Gender-Herzzentrum | Kardiologie, Angiologie, Pneumologie & Intensivmedizin | Remscheid | Sana Kliniken AG) ist gendersensible Medizin bereits gelebte Praxis. Insbesondere bei Herz- und Gefäßerkrankungen gibt es deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Gerade Frauen litten unter geschlechtsspezifischen Herzerkrankungen, die häufig fehldiagnostiziert würden. Ein klassisches Beispiel dafür sei der Herzinfarkt. Frauen zeigten bei einemHerzinfarkt andere Symptome als Männer. „Untypische“ oder besser nicht die bekannten „männlichen“ Symptome. „Wer nur die klassischen Lehrbuchbeschwerden gelernt hat, schickt eine Fraumit einemHerzinfarkt wieder nachHause“, berichtet Sievers. „Auch bei den Grenzwerten für Bluthochdruck gibt es bis dato keineUnterscheidung zwischenFrauenund Männern.“ Dabei wiesen Studienergebnisse darauf hin, dass diese Werte für Frauen zu hoch angesetzt seien, so Sievers. Frauenmüssten demnach bereits bei niedrigerenWertenmedikamentös behandelt werden. Grund sei, dass dieBlutdruckdifferenz über die Lebenszeit die spätere Entstehung von Herz-Kreislauf- und Gefäßerkrankungen beeinfluße, so Sievers. Leider sind auch geschlechtsspezifische Risikofaktoren denmeisten Ärztinnen und Ärzten und auch der Bevölkerung nicht hinreichend bekannt, so Sievers. Hierzu gehörten unter anderem ein später Beginn der ersten Regelblutung oder der Wechseljahre, Schwan-

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