Rheinisches Ärzteblatt 3/2023

28 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2023 Infolge unterlassener postoperativer Diagnostik, insbesondere zur Hämoglobinkonzentration sowie zur Ein- und Ausfuhr geriet ein hochbetagter Patient nach einer Frakturosteosynthese in einen nicht mehr umkehrbaren lebensbedrohlichen Zustand, sodass er nachfolgend verstarb. Versäumnisse bei der postoperativen Überwachung sind regelmäßig als Befunderhebungsfehler zu qualifizieren. von Ralf-Ulrich Scherer, Ludwig Brandt, Rainer Rosenberger und Beate Weber Die Gutachterkommission hat sich häufiger mit dem gegen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gerichteten Vorwurf einer nicht ausreichenden Diagnostik einer postoperativ aufgetretenen akuten Bewusstseinsstörung im Rahmen einer Krankenhausbehandlung auseinanderzusetzen. In einer Auswertung abgeschlossener Begutachtungen der Jahre 2012 bis 2017 stellten die Kommissionsmitglieder fest, dass gerade bei der Betreuung bewusstseinsgestörter Patientinnen und Patienten ein besonderes Risiko für sogenannte Befunderhebungsfehler besteht (siehe Rheinisches Ärzteblatt, Heft 7, 2018: 28-31). Die Bewusstseinsstörung, so die Autoren, könne vielfältige Ursachen haben. Die Behandler stünden oftmals vor der schwierig zu entscheidenden Frage, ob es sich lediglich um ein – häufig vorkommendes – sogenanntes Durchgangssyndromhandle oder eine andere, weiter abzuklärende Ursache, wie beispielsweise eine Hypoxie, eine Anämie, eine Exsikkose, zu bekämpfende Schmerzen und/oder ein septisches Geschehen zugrunde liege. Unterblieben in einem solchen Fall die gebotene Überwachungmit regelmäßiger Inaugenscheinnahme des Patienten, Laboranalysen, Ein- und Ausfuhrkontrollen, eine indizierte Bildgebung oder Beiziehung eines neurologischenKonsiliarius, machten sich Ärztinnen und Ärzte haftungsrechtlich eines Befunderhebungsfehlers schuldig, der fast regelmäßig nach § 630h Abs. 5 S.2 BGB in Bezug auf die Frage der Schadensursächlichkeit zur Beweislastumkehr führe, sodass sich die behandelnden Ärzte insoweit entlasten müssten. Sie müssten dann beweisen, dass ihr Fehler nicht ursächlich war, was zumeist nicht gelingen könne. Zur Vertiefung und Verdeutlichung der Problematik soll nachfolgend über einen aktuellen Fall berichtet werden, bei dem die Gutachterkommission einen solchen Befunderhebungsfehler festgestellt hat. Vorgebrachte Vorwürfe In ihrem Begutachtungsantrag be- klagte die Tochter des verstorbenen über 90-jährigen Patienten, dass die von ihr im Verfahren belasteten Unfallchirurgen den Vater Ende Juni 2018 nach Osteosynthese einer pertrochantären Femurfraktur nicht ausreichend überwacht und insbesondere keine Flüssigkeitsbilanzierung vorgenommen hätten, sodass es zu einer Exsikkose und einem Nierenversagen gekommen sei. Vor dem Eingriff sei ihr Vater ein aktiver Mensch mit gut eingestellter Parkinsonerkrankung gewesen. Postoperativ sei ihr Vater am Folgetag wach und ansprechbar gewesen. In den Folgetagen habe er über Schmerzen geklagt, die analgetisch unter anderem fehlerhaft mit – bei Parkinsonsyndrom kontraindizier- tem–Targin® behandelt worden seien, was zu Müdigkeit und zu Zuckungen geführt habe. Mehrfach sei er auf andere Stationen verlegt worden, sodass eine Kontinuität in der Versorgung und ein ausreichender Informationsfluss nicht sichergestellt gewesen seien. Erst spät sei eine postope- rative hochgradige Anämie festgestellt und behandelt worden. Man habe dann bei ihrem Vater einen Ileus vermutet, tatsächlich habe aber ein nicht erkannter erheblicher Harnverhalt vorgelegen. Der Zustand ihres Vaters habe sich trotz nachfolgender Verlegung auf eine Überwachungsstation nicht mehr stabilisieren lassen, sodass er am elften postoperativen Tag verstarb. Stellungnahmen der belasteten Ärzte Die im Verfahren beschuldigten Unfallchirurgen und Anästhesisten wiesen die Vorwürfe zurück. Der Oberarzt der Intensivstation führte in seiner Stellungnahme aus, der Patient sei nach RTW-Einlieferung mit stationärer Aufnahme am Vorabend erstmals am nachfolgenden OP-Tag durch die Klinik für Anästhesiologie betreut worden. Aufgrund der Vorerkrankungen sei zunächst geplant gewesen, den Eingriff in Spinalanästhesie durchzuführen, was aber aufgrund von Schmerzen undmangelnder Mitarbeit des Patienten nicht möglich gewesen sei, sodass die Osteosynthese dann inAllgemeinanästhesie erfolgt sei. Aus dem Aufwachraum habe der Patient bei stabilem Kreislauf und suffizienter Spontanatmung wieder auf die Normalstation verlegt werden können. Die Unfallchirurgen führten aus, dass man bei Verschlechterung des Zustands und der Vigilanz des Patienten am dritten postoperativen Tag ein neurologisches Konsil angefordert habe. Der Neurologe, der den Patienten bereits seit Jahren kannte, habe am fünften postoperativen Tag ein bekanntes idiopathisches Parkinson-Syndrom genannt und aktuell ein postoperatives delirantes Syndrom als wahrscheinliche Diagnose angenommen. Er habe ein Schädel-CT und ein EEGmit nachfolgender Wiedervorstellung empfohlen. Einen an diesem Tag erstmals festgestellten Hb-Abfall auf 6,1 g/dl sowie ein Anstieg des Kreatinins von 0,92 auf 2,32mg/dl habemanmit zwei Erythrozyten-Konzentraten behandelt, damanursächlich eher einemangelnde Nierendurchblutung bei festgestellter Blutungsanämie für das akute Nierenversagen angenommenhabe, zumalmehrfach eine nasse Schutzhose beschriebenworden sei. Am Nachmittag des sechsten postoperativen Tages sei der diensthabende Oberarzt telefonisch vom Bereitschaftsarzt darüber informiert worden, dass der Patient ein geblähtes Abdomen habe, einen reduzierten Allgemeinzustand zeige sowie steigende Nierenretentionswerte und Infektionswerte bestünden. Der ersteVersuch einer Dauerkatheteranlage durch den anWissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 136 Versäumnisse bei der postoperativen Überwachung: Fehlinterpretierte Bewusstseinsstörung

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