Rheinisches Ärzteblatt 3/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 /2023 29 Übernahmen wurden dabei nicht niedergelegt. Damit war für den Patienten nicht durchgängig nur ein Stationsarzt verantwortlich. Inwieweit eine sachgerechte Informationsweitergabe erfolgte, muss in Anbetracht der spärlichenDokumentation zumindest angezweifelt werden. Durch diese, in ihrer Notwendigkeit nicht nachvollziehbaren organisatorischen Maßnahmen wurde der Entwicklung eines postoperativen kognitiven Defizits bei dem hochgradig gefährdeten Patienten Vorschub geleistet, gerade auch im Hinblick auf einen bestehendenMorbus Parkinson, was als Sorgfaltsmangel zu rügen ist. Desorientiertheit Ab dem zweiten postoperativen Tag wurde der Patient wiederholt als desorientiert und unruhig, teils wehrhaft, teils schläfrig und antriebsarmbeschrieben. Die Verständigung war erschwert bis unmöglich. Nach der Dokumentation in der Krankenakte erhielt er täglich seineMedikation, was nach den Pflegberichten teilweise mit Schwierigkeiten verbunden war. Wiederholt wurde im Pflegebericht über eine bestehende Schluckstörung und auch über Aspirationen berichtet. Das Gebiss wurde am fünften postoperativen Tag von den Angehörigen mitgebracht. Der Patient erhielt Joghurt, Puddingsuppe, Kompott und abdemdrittenpostoperativenTagBreikost. Trotz geringer oraler Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und sommerlicher Temperaturen wurde erst ab dem Nachmittag des dritten postoperativen Tages eine Flüssigkeitssubstitutionangeordnet. Andiesem Tag wurde eine erste Urinausscheidung vermerkt. Auch nachfolgend kam die Diurese nicht ausreichend in Gang, was aber nur durchBeurteilung der Schutzhose („feucht“) erfasst wurde. Ab dem vierten postoperativen Tag traten abends „leichte Zuckungen“ auf, was gutachterlich als Hinweis gedeutet werden kann, dass die Parkinsonmedikation nicht optimal erfolgte. Targin® wurde an diesem Tag auf Bestreben der Tochter abgesetzt, da sie unberechtigterweise von einer Kontraindikation bei Parkinsonerkrankung ausging. Das bei „Vigilanzminderung“ am dritten postoperativen Tag angeordnete neurologische Konsil erfolgte am fünften postoperativen Tag. Genannt wird neben dembekannten idiopathischen ParkinsonSyndrom ein postoperatives delirantes Syndrom. Empfohlen wird ein EEG und nach der abendlichen Aufnahme durch einen Gamma-Nagel bei gegebener Indikation regelgerecht osteosynthetisch versorgt wurde. Die präoperative Röntgendiagnostik habe zwar nicht dem fachärztlichen Standard entsprochen, dies sei aber vermutlich ohne Nachteil geblieben, da die fehlende Information bei der intraoperativen Bildwandler-Durchleuchtung nachgeholt werden könne. Sowohl das Ergebnis dieser Untersuchung als auch der Osteosynthese selbst könnten zwar gutachterlich nicht gewürdigt werden, da die Dokumentation dazu bei der Begutachtung nicht vorlag, explizite Vorwürfe zur Frakturversorgung seien von den Angehörigen im Verfahren aber auch nicht vorgebracht worden. Aus anästhesiologischer fachsachverständiger Sicht wurde bei dem ASA IIIPatienten sachgerecht eine Allgemeinanästhesie gewählt. Als Risikofaktoren bestanden laut Prämedikationsbogen bei dem hochbetagten, schlanken Patienten (BMI 20,07) unter anderem eine koronare Eingefäßerkrankung mit Zustand nach PTCA und Stent, eine Refluxösophagitis, der Verdacht auf eine COPD sowie auf eine Prostatahyperplasie und einmit Madopar® behandelter Morbus Parkinson. Als Dauermedikation wurde im Arztbrief eine ASS 100-Prophylaxe und unter anderem die Einnahme von Tamsulosin, Levodopa, Amlodipin, Rasagilin und Atorvastatin ausgewiesen. Bei der Risikoaufklärung wurde der Patient als etwas verwirrt und schwerhörig beschrieben. Die präoperativen Blutwerte wurden unter anderemmit einemHb von 11,6 g/dl, Quick von 106 Prozent, 157.000 Thrombozyten, Kreatinin 0,97 mg/dl und Kalium von 4,5 mmol/l bestimmt. Die präoperative Röntgen-­ Thoraxaufnahme zeigteweder ein Infiltrat, noch eine Lungenstauung oder einen Erguss. Postoperative Behandlung Die im Verfahren beteiligten Kommissionsmitglieder stellten nach Sichtung der vorgelegten Dokumentation fest, dass die postoperative Betreuung durch die Unfallchirurgen bis zur Verlegung auf die Intensivstation behandlungsfehlerhaft war. Der hochbetagte Patient wurde in den ersten fünf postoperativen Tagen auf drei verschiedenen peripheren Stationen betreut. Gründe für die Verlegungen, und klinische Befunde bei den ersten beiden wesendenBereitschaftsarzt sei fehlgeschlagen. Der Oberarzt sei bei seiner Ankunft darüber informiert worden, dass zwischenzeitlich – ohne Rücksprache – ein Dauerkatheter durch den Schwiegersohn (ein Arzt) des Patienten gelegt worden sei. Zum geplanten zweiten Versuch durch den Bereitschaftsarzt habe sich der Patient gerade beim Schädel-CT befunden. Bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand des Patienten sei durch den Oberarzt eine Verlegung auf die Intensivstation mit Betreuung durch die Anästhesisten veranlasst worden, die noch am selben Abend stattgefunden habe. Die Anästhesisten berichten in ihrer Stellungnahme, dass der Patient in akut reduziertem Allgemeinzustand mit deutlicher Vigilanzminderung übernommen worden sei. Er habe unter Raumluftatmung eine SpO2 von 80 Prozent gehabt, die unter Sauerstoffinsufflation aber rasch auf über 90Prozent angestiegen sei. Er sei mit einem Blutdruck von 160/80mmHgmäßig hyperton und minimal tachykard (100 bpm) gewesen. Man habe den vorbestehenden Morbus Parkinson mit Amantadininfusionen behandelt. Ein pneumonisches Infiltrat im Oberlappen und ein nitritpositiver Harnwegsinfekt seien mit Piperacillin/­ Tazobactam behandelt worden. Hierunter und nach Einmalpunktion von 900 ml serösemPleuraerguss habe sichder Patient respiratorisch stabil und in den folgenden zwei Tagen auch zunehmend vigilanter gezeigt. Die Retentionsparameter hätten sich rasch verbessert. Die Vigilanzminderung habe man auf die Urämie in Kombination mit einer infektbedingten Exsikkose zurückgeführt. Erst ab demzehnten postoperativen Tag sei es zu einer respiratorischen Verschlechterung gekommen, die sich trotz NIV-Therapie und begleitender Morphingabe nicht gebessert habe. Radiologisch habe diese Verschlechterung mit einer Zunahme des bereits bekannten Infiltrates korreliert. In einem ausführlichen Gesprächhabeman sichmit denAngehörigen einvernehmlich auf eine Therapiezieländerung geeinigt und die intensivmedizinischen Maßnahmen beendet. Begutachtung Das im Verfahren beauftragte unfallchirurgische Kommissionsmitglied kam in seinemGutachten zuder Feststellung, dass die einfache, nicht dislozierte pertrochantäre Femurfraktur des Patienten am Tag Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 136

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