Rheinisches Ärzteblatt 3/2023

30 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2023 der außerdembestehenden Exsikkose zeitnah erkannt und der vermutlich über mehrere Tage bestehenden hypoxämischen Situation des Patienten umgehend entgegengewirkt werden können und müssen. Dem Patienten hätte bei sachgerechter Diagnostik und Therapie das bedrückende Erleben eines Delirs in Ausmaß und Dauer erspart werden und er hätte sich postoperativ erholen können. Auch der Schluckstörung und den beschriebenen Aspirationen des Patienten wurde in Hinblick auf eine mögliche parenterale Ernährung von den Ärzten keine ausreichende Bedeutung zugemessen. Weder wurde das nötige neurologische Konsil forciert, noch die dabei empfohlene zerebrale Diagnostik zeitnah umgesetzt. Auch der Harnverhalt (vier Liter Blasenvolumen) mit Trommelbauchwurde amsiebten postoperativen Tag nicht umgehend beseitigt. Die Folge war, dass der Patient in diesem belastenden unwürdigen Zustand eine zerebrale CTundRöntgen-Thorax erdulden musste, bis seineAngehörigennachfolgend die Harnblase entlasteten. Der Patient geriet letztendlich in einen lebensbedrohlichenZustand, der auchdurch eine abdem siebten postoperativen Tag nachts eingeleitete sachgerechte Intensivtherapie nicht mehr umkehrbar war, sodass er am elften postoperativen Tag verstarb. Das Unterlassen der Laborkontrollen, insbesondere der Hämoglobinkonzentration und der Flüssigkeitsbilanzierung wurde von der Gutachterkommission als Befunderhebungsfehler und als grob behandlungsfehlerhaft bewertet. DenUnfallchirurgenwirdes inErmangelungdokumentierter getroffener Maßnahmen schwerlich gelingen zu beweisen, dass die Zustandsverschlechterung des Patientenmit Todesfolge nicht durch ihre Unterlassungen bedingt war, sondern alters- und krankheitsbezogen unvermeidbar auch dann aufgetretenwäre, wenn sie denPatienten zeitnah adäquat behandelt hätten. Professor Dr. Ralf-Ulrich Scherer und Professor Dr. Ludwig Brandt sind stellvertretende ärztliche Kommissionsmitglieder, Rainer Rosenberger ist stellvertretender Vorsitzender und Dr. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin der Gutachterkommission Nordrhein. Mikroangiopathie. Bei Bewegungsartefakten keine sichere Blutung, keine frische territoriale Ischämie“. Die Röntgen-Thoraxuntersuchung im Liegen zeigte einen auslaufenden Pleuraerguss und ein pneumonisches Infiltrat im Oberlappen rechts. Abschließende Bewertung Trotz des hohen Alters, der bereits präoperativ bestehenden Anämie und Kachexie sowie bei Vorliegen einer Prostatahypertrophie wurden postoperativ fehlerhaft bis zum sechsten Tag zunächst weder die Entwicklung der Hämoglobinkonzentration überwacht noch die Einfuhr und Ausfuhr kontrolliert. Obwohl sich die delirante Symptomatik täglich verschlechterte, wurde ursächlich weder eine Exsikkose ausreichend bedacht und substituiert noch wurde eine Anämie bei dem frisch operierten zuvor verunfallten und unter ASS-100-­ Medikation stehenden Patienten in Erwägung gezogen. Die Blutungsanämie wurde erst am sechsten postoperativen Tag mit einer Hb-Konzentration von 6,1 g/dl auf der dritten betreuenden Station aufgedeckt und mittels Erythrozyten-Konzentraten ausgeglichen, als sich bereits eine hypoxämische Situation manifestiert hatte. Aufgrund der zuvor unterlassenen Befunderhebung ist nicht nachvollziehbar, wann sich die hypoxämische Anämie entwickelte und klinisch auswirkte. ImOP-­ Bericht wurde der intraoperative Blutverlust nicht quantifiziert. Auch die über die Redon-Drainagen abfließenden Blutmengen wurden nicht erfasst. Die Drainage wurde am zweiten postoperativen Tag entfernt. Nachfolgend sind mehrfach Nachblutungen an der Austrittsstelle und große Hämatome im Bereich der operierten Hüfte, des Gesäßes und des Oberschenkels beschrieben worden. Auch in Anbetracht der Grunderkrankungen des Patienten, unter anderemeinermit Stent behandelten koronaren Eingefäßerkrankung, dem Verdacht auf eine COPD und der ParkinsonErkrankung wären bereits ab dem ersten postoperativen Tag engmaschige Hämoglobinkontrollen erforderlich gewesen. Hierdurch hätte der Zeitpunkt der nicht mehr tolerierbaren Anämie in Anbetracht eine zerebrale CT-Untersuchung, die am siebten postoperativen Tag erfolgte. Zustandsverschlechterung Noch am Mittag des sechsten postoperativen Tages wurde der Allgemeinzustand des Patienten vom Stationsarzt fälschlich als stabil eingeschätzt. Nach zwischenzeitlicher Erneuerung des durchgebluteten Verbandes wurde der Patient eine Stunde nach der ärztlichen Visite auf eine dritte Station verlegt. Hier wurden bei der Übernahme große Hämatome im Bereich der rechten Hüfte und am Oberschenkel notiert. Der als kachektisch und exsikkiert beschriebene Patient war zu diesem Zeitpunkt extrem unruhig, nestelte, reagierte zwar auf Ansprache, sprach aber verschwommen. Von den Ärzten aufgrund fehlender postoperativer Kontrollen unbemerkt hatte sich zu diesem Zeitpunkt eine anämische Hypoxie mit der Folge einer zerebralenDysfunktionmanifestiert, woran auch die nachfolgende Verabreichung zweier Erythrozyten-Konzentrate bei einem Hb von 6,1 g/dl nichts mehr ändern konnte. Am siebten postoperativen Tag wurde mittags nachHinweis der EhefraueinTrommelbauch durch die Pflege festgestellt und zunächst ein Ileus vermutet. Das tatsächlich zugrunde liegende postrenale Nierenversagen bei Harnverhalt mit vier Litern Blasenvolumen wurde erst am späten Nachmittag – bei zunächst frustranem Katheterisierungsversuch und zwischenzeitlicher Durchführung der aufgrund des Neuro-Konsils geplanten zerebralen Computertomographie und eines Röntgen-Thorax - durch die Angehörigen selbst verifiziert. In den Stunden zuvor erfolgte nach den Unterlagen fehlerhaft keine Inaugenscheinnahme durch den mehrmals telefonisch informierten Arzt vom Dienst. Nach Einschaltung des Oberarztes wurde der Patient um23Uhr, das heißt erst zehnStunden nach der gravierenden Zustandsverschlechterung, auf die Intensivstation verlegt und dort nachfolgend sachgerecht behandelt. Der Befund der Schädel-CT von diesem Nachmittag lautete: „Fortgeschrittene Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 136 Ärztliche Körperschaften im Internet Ärztekammer Nordrhein www.aekno.de Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein www.kvno.de

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