24 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2024 auf Verlangen nicht nachgeben dürfe. Das Strafgesetzbuch beschreibt in § 216 die Tötung auf Verlangen folgendermaßen: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Der Versuch ist strafbar.“ Solch ein offensichtliches, juristisch eindeutiges Fehlverhalten wird als ethisches Problem vom Typ 1 definiert. Wenn es sich um „Unsicherheiten bezüglich der ethisch angemessenen Handlungsweise in der konkreten Pflege- und Betreuungssituation“ handelt, fasst die Medizinethikerin Heidi Albisser Schleger diese als Typ 2 zusammen. In der vorliegenden Kasuistik liegt am ehesten ein Typ-2-Problem vor, da die Ärztin den Leidensdruck ihrer anvertrauten Patientin wahrnimmt und der Lösungsansatz, die Kollegen aus der Palliativversorgung hinzuzuziehen, nicht zufriedenstellend (entlastend) für die Betroffene ist. Das ethische Dilemma entwickelt sich im Spannungsfeld zwischen der Willensäußerung der Patientin (Sterben wollen) und dem Nichtschadensprinzip (Nonmaleficence). Allerdings stellt sich hier die Frage, worin der mögliche „Schaden“ besteht: In der Erfüllung des Sterbewunsches (der Beendigung des Lebens) oder in der Verwehrung des Sterbewunsches (in der Wahrung des Lebens)? Die Hausärztin sah sich mit dem Gedanken konfrontiert: „Bei all dem Guten, was ich beabsichtige, bleibt das Gefühl, dass ich ihr schade. Eigentlich will sie sterben …“ Urteil des Bundesgerichtshofs Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von 2022 eröffnet den straf- freien Weg einer Begleitung durch ärztlich assistierten Suizid. In der Urteilsbegründung weisen die Karlsruher Richter darauf hin, „dass es keine Verpflichtung zur Suizidhilfe geben darf. Auch im Rahmen einer künftigen gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe können Ärzte nicht verpflichtet werden, bei der Selbsttötung eines Menschen mitzuwirken.“ Die (Muster-) Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte wurde 2021 daraufhin geändert und der Sie unterstützte die Patientin bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens. Keine sozialen Kontakte mehr Eine ausgeprägte Polyarthrose/Polyneuropathie verursachte der Betroffenen stärkste, therapieresistente Schmerzen. Die Einstellung mit einem Fentanyl-Pflaster und weiteren Schmerzmitteln gelang aufgrund starker Nebenwirkungen nicht zufriedenstellend. Zudem litt sie zuneh- mend an Schlafstörungen. Die Mobilität, zuvor mit Rollator, war ebenfalls beeinträchtigt. Zuletzt war ein Stehen kaum noch möglich. Atrophierte, gereizte Schleimhäute und ein verminderter Speichelfluss erschwerten das Essen, Trinken, Schlucken und Sprechen. Die zunehmende Beeinträchtigung des Hör- und Sprechvermögens verhinderte die Kommunikation mit befreundeten, ebenfalls mobilitätsbeeinträchtigten Menschen, zu denen oftmals langjährige Beziehungen bestanden. Die Patientin unterhielt – abgesehen von den besuchenden Diensten, der Pflegeperson im Haus und ihrer Tochter – keine sozialen Kontakte mehr. Die ethische Fragestellung Durch das von der Hausärztin hinzugezogene Palliativteam war eine Woche vor der ethischen Fallberatung die orale Regelmedikation abgesetzt worden. Der Versuch einer verbesserten Schmerztherapie zunächst mit einem schnell wirksamen Fentanyl-Präparat zur Nacht blieb ohne Erfolg. Eine nächtliche Medikation mit niedrig dosierter Kombination aus Midazolam/ Morphin zeigte ebenfalls kaum Erfolg. Die Lebensqualität der zuvor gesprächigen und geselligen Patientin war deutlich eingeschränkt. Nach der ersten Kontaktaufnahme war es Aufgabe der Koordination von MEBA, aus einem zunächst „unguten Bauchgefühl“ heraus die konkrete ethische Fragestellung zu erarbeiten und zu prüfen, ob die Situation für ein ethisches Fallgespräch angemessen sei. Auf den ersten Blick war es offensichtlich, dass die Hausärztin dem Wunsch ihrer Patientin nach einer Tötung In langjähriger Behandlung von Menschen in ihrer häuslichen Umgebung nehmen die Vertreter betreuender Professionen häufig fast schon die Rolle von Familienmitgliedern wahr. Wenn die betreuten Personen sich vertrauensvoll an Ärztinnen oder Ärzte wenden und um Hilfe zum Sterben bitten, ist das eine herausfordernde Situation. Die Mobile Ethikberatung bietet ambulant wirkenden Professionen und Teams einen Ort, solche Situationen zu diskutieren, ethisch zu reflektieren, einzuordnen und (wieder) handlungsfähig zu werden. von Mareike Hümmerich, Veronika Schönhofer-Nellessen, Roman Rolke, Dominik Groß Die Anfrage erreichte die Koordinationsstelle der Mobilen Ethikberatung für die Region Aachen (MEBA) 2023. Eine hinzugezogene Palliativmedizinerin kannte die MEBA und vermittelte den Kontakt. Die Hausärztin der Betroffenen betreute die Familie seit sechs Jahren. In der Anfrage ging es zunächst um die Frage, ob eine palliative Sedierung indiziert sei. Die Hausärztin hatte bei der hinzugezogenen Palliativmedizinerin um Rat und Unterstützung gebeten, da die Patientin sich seit sechs Monaten bei jedem Hausbesuch mit den gleichen Worten an sie wendete: „Helfen Sie mir bitte. Geben Sie mir etwas, damit ich endlich sterben kann …“. Die häusliche Situation Die Mitte 90-jährige Patientin (Witwe) hatte ihr ganzes Leben mit Mann und zwei Kindern in dem kleinen Ort gelebt. Die Hausärztin konnte eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung zur Betroffenen herstellen. Die Tochter der Patientin wohnte in der Nähe und kam regelmäßig vorbei. Zu ihrem Sohn hatte sie kaum Kontakt. Sohn und Tochter waren eher distanziert und sprachen nur miteinander, wenn es notwendig erschien. Seit einem Jahr lebte eine private Pflegeperson mit im Haushalt. Forum Mobile Ethikberatung – Indikation für eine palliative Sedierung zu Hause
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