Rheinisches Ärzteblatt 4/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 4 / 2024 21 Jugendliche müssten geschützt werden. Es dürfe künftig keine Schule mehr ohne Suchtprävention geben, forderte Henke. Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hatte kurz vor der Abstimmung über das Gesetz im Bundestag erneut darauf hingewiesen, dass die Entwicklungsprozesse des Gehirns bis zum 25. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen seien und der Konsum von Cannabis diese Prozesse negativ beeinflussen könne. Diese Schäden seien dauerhaft und blieben lebenslang wirksam. „So steigt das Risiko von nachhaltigen kognitiven Funktionsdefiziten sowie das Auftreten von Psychosen, Depressionen oder Angststörungen signifikant“, warnte Reinhardt. Er betonte, dass nicht nur in Deutschland Experten eine Freigabe der Droge ablehnten. Der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen warne ebenfalls vor den Folgen einer Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken. Diejenigen Länder, die dies bereits vollzogen hätten, verzeichneten in der Folge einen Anstieg cannabisbezogener Gesundheitsprobleme. Das Gesetz lässt viele Fragen offen Nach dem „Ja“ zur Cannabislegalisierung im Bundestag appellierte Reinhardt an die Bundesländer, das Cannabisgesetz im Bundesrat aufzuhalten und den Vermittlungsausschuss anzurufen. „Hier muss dieses Gesetz frei von parteipolitischen Zwängen noch einmal grundsätzlich überdacht werden“, forderte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das Cannabisgesetz lässt viele Fragen offen. Völlig ungeklärt seien bislang die Regelungen für den Straßenverkehr, mahnte Kammerpräsident Henke in Wuppertal. Studien belegten gerade für die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen, die die größte Cannabiskon- sum-Gruppe bilden, ein erhöhtes Risiko, nach dem Mischkonsum von Cannabis und Alkohol zu verunfallen. Gerade für Fahranfänger dürfe der geltende Grenzwert daher auf keinen Fall erhöht werden, erklärte Henke. Dieser liegt zurzeit bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum. Die Höhe der Toleranzgrenze ist allerdings unter Sachverständigen umstritten. Verbindliche Grenzwerte für THC am Steuer soll jetzt eine interdisziplinäre Expertengruppe des Bundesverkehrsministeriums erarbeiten. Nach dem Willen der Bundesregierung ist der THC-Grenzwert so zu bemessen, dass die Straßenverkehrssicherheit ausreichend gewahrt bleibt. Ebenfalls in einem eigenen Gesetz soll nach dem Willen der Ampel ein zweiter, weitergehender Schritt in Richtung Cannabis-Liberalisierung geregelt werden. In Modellvorhaben sollen die gewerbliche Produktion und der Vertrieb von Cannabis zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften erprobt werden. Die Auswirkungen der Modellversuche auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt sollen wissenschaftlich untersucht werden. NordrheinSpezial Erwachsene dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum mit sich führen. Der Eigenanbau von drei Cannabispflanzen wird erlaubt; daraus dürfen im privaten Raum 50 Gramm getrocknetes Cannabis bevorratet werden. Werden die Obergrenzen überschritten, stellt das entweder eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat dar. Nichtgewerbliche, behördlich kontrollierte Anbauvereinigungen dürfen Cannabis an ihre Mitglieder zum Eigenkonsum weitergeben. Diese Vereinigungen dürfen maximal 500 Mitglieder mit Wohnsitz in Deutschland haben. Zulässig ist die Mitgliedschaft nur in einer Anbauvereinigung. An die Mitglieder abgegeben werden dürfen maximal 25 Gramm Cannabis am Tag oder 50 Gramm pro Monat. Die Abgabe von Cannabis an junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren ist auf 30 Gramm pro Monat beschränkt. Der THC-­ Gehalt für diese Altersgruppe darf zehn Prozent nicht überschreiten. Cannabis darf nicht in den Anbauvereinigungen konsumiert werden. Jede Vereinigung muss einen Präventionsbeauftragten benennen. In Sichtweite (100 Meter) von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen ist der Konsum von Cannabis verboten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung legt Aufklärungs- und Präventionskampagnen über die Wirkung und Risiken von Cannabis auf, die sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene richten. Ob das Cannabisgesetz die avisierten Ziele erreicht, soll nach zwei Jahren wissenschaftlich evaluiert werden. Die Auswirkungen auf den Kinder- und Jugendschutz sollen spätestens nach 18 Monaten vorliegen. Das regelt das Cannabisgesetz Westfalen hat bereits angekündigt zu prüfen, ob es möglich ist, interessierten Kommunen die Beteiligung an derartigen Modellvorhaben zu untersagen. Mit den Modellvorhaben knüpft die Ampel an ihre ursprünglichen Pläne an, grundsätzlich den Verkauf von Cannabis in lizensierten Geschäften an Erwachsene zu legalisieren. Damit würde sie jedoch gegen EU-Recht verstoßen. Mittelfristig strebe die Bundesregierung deshalb eine Initiative mit anderen Mitgliedstaaten der EU an, „um die bestehenden europarechtlichen Rahmenbedingen zu flexibilisieren“, heißt es in der Begründung zum Cannabisgesetz. Cannabis zu medizinischen Zwecken können Ärztinnen und Ärzte in Deutschland seit 2017 verordnen. Durch die jetzt beschlossene Legalisierung der Droge fällt eine Verschreibung künftig aber nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz. Allerdings bleibt es bei der Verschreibungspflicht. Aus Gründen des Patientenschutzes will der Gesetzgeber bei MedizinalCannabis an einem staatlich kontrollierten Anbau festhalten. Denn der Eigenanbau berge die Gefahr einer Über- oder Unterdosierung, weil Wirkstoff- gehalte der Pflanzen in unbekannter Weise schwanken könnten.

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