Rheinisches Ärzteblatt 4/2024

Mein Beruf Rheinisches Ärzteblatt / Heft 4 /2024 51 Foto: Matthias Irrgang Jessica Pracht studierte Medizin an der RWTH Aachen, wo sie auch ihre anästhesiologische Weiterbildung absolvierte. Bis heute arbeitet sie neben ihrer Tätigkeit als Notärztin in der Anästhesie der Uniklinik. 2023 qualifizierte sich die 31-Jährige zur Telenotärztin weiter. Jessica Pracht, Anästhesistin und Telenotärztin „Für den Rettungsdienst vor Ort bin ich der Telefonjoker“ Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind. Frau Pracht, wie sind Sie zur Notfallmedizin gekommen? Pracht: Die Kolleginnen und Kollegen der Klinik für Anästhesiologie an der RWTH Aachen sind verantwortlich für die notärztliche Versorgung im Rettungsdienst der Stadt. Als Anästhesistin konnte ich dort für ein paar Monate fest in den Notarztdienst der Feuerwehr rotieren. Mir hat besonders die enge und vertrauensvolle Teamarbeit zwischen den Feuerwehrleuten, dem Rettungsdienst und uns Notärztinnen und -ärzten gefallen. Nach schweren Einsätzen ist man füreinander da und kann mit den Kolleginnen und Kollegen über belastende Erlebnisse sprechen. Außerdem kann ich mich als Notärztin in der Regel ganz auf den einzelnen Patienten konzentrieren. Im Krankenhaus hatte ich dagegen manchmal den Eindruck, dass wir für die einzelnen Patienten zu wenig Zeit haben. Warum haben Sie sich für eine Qualifikation zur Telenotärztin entschieden? Pracht: Ich halte diesen Ansatz für sehr sinnvoll. Auch bei den Notärzten herrscht Personalmangel. Der Telenotarzt hilft dabei, Notarztkapazitäten freizuhalten. Wenn beispielsweise ein Patient in der Eifel gestürzt ist und eine Schmerztherapie benötigt, rufen mich die Kolleginnen und Kollegen vom Rettungsdienst vor Ort an. Wir beraten dann über das weitere Vorgehen und ich kann „aus der Ferne“ eine zuvor definierte medikamentöse Standardtherapie freigeben. So muss kein Notarzteinsatzfahrzeug eigens zu diesem Einsatz ausrücken und ist dann für schwere Fälle verfügbar, bei denen ärztliche Hilfe vor Ort geboten ist. Als Telenotärzte werden nur erfahrende Notfallmediziner eingesetzt. Was hat sich für Sie geändert? Pracht: Ich bin jetzt bei den Einsätzen natürlich nicht mehr vor Ort. Daher fällt es mir schwerer, über Telefon und Headset ein Vertrauensverhältnis zu den Patientinnen und Patienten aufzubauen. Außerdem kann der Rettungswagen, ob Kameras und Übertragungsgeräte funktionieren. Im Einsatz kann ich mich per Video in den Rettungswagen dazuschalten oder mir die Werte von EKG, Sauerstoffsättigung und Blutdruck des Patienten anzeigen lassen. Standardmäßig wird der Telenotarzt beispielsweise hinzugerufen, um sich EKG-Befunde anzuschauen, wenn sich der Rettungsdienst unsicher ist, ob der betreffende Patient ins Krankenhaus gebracht werden muss. Auch Schmerztherapien führen wir als Telenotärzte häufig durch. Selbstverständlich lässt sich aber nicht jeder Notfall durch einen Telenotarzt lösen. Wird ein Notarzt vor Ort gebraucht, wird er auch sofort alarmiert. A uch bei den Notärzten herrscht Personalmangel. Der Telenotarzt hilft dabei, Notarztkapazitäten freizuhalten. ich bei unerwarteten Vorkommnissen nicht unmittelbar eingreifen. Wenn ich zum Beispiel einem Notfallsanitäter Anweisungen zur Schmerzmedikation gebe und der Patient in der Folge erbricht oder aufhört zu atmen, bin ich nicht dort, um zu reagieren oder einen Wirkstoff gegen Übelkeit zu verabreichen. Damit verbunden ist auch eine höhere Verantwortung für mein Team vom Rettungsdienst, die ich nur mit Aufgaben betrauen darf, die sie sicher ausführen können. Hier kommt mir meine langjährige Erfahrung als Notärztin im Rettungsdienst der Stadt Aachen zugute. Wie sieht ein typischer Tag aus? Pracht: Mein Tag beginnt mit dem CheckUp meiner Computersysteme. Im Anschluss prüfe ich gemeinsam mit den Besatzungen Gibt es einen Einsatz, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Pracht: Ich erinnere mich gut an eine Palliativpatientin, die an einer metastasierten Krebserkrankung litt und in der Nacht aufgrund starker Schmerzen den Notruf wählte. Die Notfallsanitäter vor Ort waren sich nicht sicher, ob die Patientin eine Behandlung im Krankenhaus benötigte. Ich habe also mit ihr telefoniert. Im Gespräch äußerte sie den Wunsch, zuhause bei ihrer Familie zu bleiben. Gleichzeitig hatte ein Palliativdienst, der die Patientin erst am nächsten Tag in seinen Patientenstamm aufnehmen konnte, zugesichert, sich gleich am nächsten Morgen um sie zu kümmern. Gemeinsam haben wir uns zur Überbrückung bis dahin für eine Schmerz- und Angsttherapie entschieden. Mein telemedizinischer Einsatz hat nicht nur der Patientin einen Krankenhausaufenthalt erspart, sondern auch einen Notarzteinsatz vor Ort. Gibt es auch etwas, das Ihnen nicht gefällt? Pracht: Manchmal vermisse ich den direkten Kontakt zu den Patientinnen und Patienten sowie die gemeinsamen Stunden mit den Kolleginnen und Kollegen vom Rettungsdienst. Bei der Telemedizin gehen viele Emotionen und viel Unmittelbarkeit verloren. Außerdem habe ich als Telenotärztin einen reinen Büroarbeitsplatz. Ich würde mich bei der Arbeit gerne mehr bewegen (lacht). Das Interview führte Marc Strohm

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