Rheinisches Ärzteblatt 5/2024

Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2024 13 europaweites System der Nutzenbewertung bei medizinischen Innovationen fordert. Hierzu wurde bereits 2022 mit der EU-HTA-Verordnung (HTA, Health Technology Assessment) die Grundlage geschaffen. Diese regelt die künftige verbindliche Zusammenarbeit der nationalen HTA-Organisationen in der EU. Ab Januar 2025 soll eine systematische Bewertung klinischer Studien für neue Arzneimittel und Medizinprodukte auf europäischer Ebene erfolgen. Auf Grundlage dieser Bewertung sollen die EU-Mitgliedsstaaten dann länderspezifisch über den Zusatznutzen der neuen Produkte und deren Erstattungsbeträge entscheiden. In der Vorbereitung der Umsetzung der EU-HTA-Verordnung hat der Gemeinsame Bundesausschuss bereits eine vorbereitende Koordinierungsfunktion übernommen. Wichtige Voraussetzung für die Ausweitung gesundheitlicher Aktivitäten auf EU-Ebene war das ursprünglich mit mehr als fünf Milliarden Euro ausgestattete Aktionsprogramm EU4Health für die Jahre 2021–2027. Zwar wurde aktuell auch hier mit rund 20 Prozent drastisch gekürzt, um einen Hilfsplan für die Ukraine zu finanzieren, doch stehen nach Ansicht von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides noch ausreichende Mittel zur Verfügung, das EU4Health-Programm weiter zu verfolgen. Hierzu zählen die als Folge der Coronapandemie vorangetriebenen Präventions- und Reaktionsmöglichkeiten auf EU-weite gesundheitliche Krisenfälle, insbesondere durch die neue EU-Behörde HERA (Health Emergency Preparedness and Response Authority). Ein weiterer Schwerpunkt im Gesundheitsbereich ist die Umsetzung eines europäischen Plans zur Krebsbekämpfung. Dieser beinhaltet unter anderem verstärkte Anstrengungen zur Förderung einer gesunden Lebensweise (Verringerung des Tabak- und Alkoholkonsums sowie der Exposition gegenüber krebserregenden Stoffen) und zur Ausweitung systematischer KrebsScreenings; Ungleichheiten bei Diagnostik und Behandlung sollen europaweit abgebaut, die Forschung zu Krebstherapien vorangetrieben werden. Grenzwerte für Luftschadstoffe Bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung, dem nach Einschätzung des Umweltbundesamts größten Umweltrisiko für die Gesundheit in Deutschland, haben sich EU-Parlament und EU-Mitgliedsstaaten im Februar 2024 auf strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe geeinigt. Danach darf die Feinstaubbelastung ab 2030 nur noch bei maximal zehn Mikrogramm (bisher 25 Mikrogramm) pro Kubikmeter liegen, für Stickstoffdioxid ist ein Grenzwert von 20 Mikrogramm vorgesehen. Im Vorfeld hatte sich die Bundesärztekammer (BÄK) für die Umsetzung der strengeren Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation ausgesprochen, die halb so hohe Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid vorsehen. Die geplante Luftqualitätsrichtlinie sei aus ärztlicher Sicht unzureichend, hatte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt erklärt. Der Kompromiss wird allerdings auch von Umwelt- und Gesundheitsverbänden auf europäischer Ebene unterstützt. Bei einem weiteren Aufschub der Verhandlungen wäre wohl eine Einigung vor der Europawahl unwahrscheinlich geworden, und möglicherweise hätte später ein Neustart unter ungünstigeren Voraussetzungen erfolgen müssen. EU-weiter Zugang zu Gesundheitsdaten Auch die Arbeit an der Verordnung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) ist bereits weit vorangeschritten. Der Beschluss über den Aufbau einer EUweiten Infrastruktur für den Datenaustausch im Gesundheitswesen soll noch vor der Europawahl erfolgen. Die EHDS-Verordnung wird zukünftig Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe europaweit den Zugang zu den Gesundheitsdaten in der elektronischen Patientenakte ermöglichen. Zudem wird in der Verordnung die datenschutzkonforme europaweite Nutzung der Gesundheitsdaten für Forschung und Politikgestaltung geregelt. Im Vorfeld hatte sich die Bundesärztekammer für ein Widerspruchsrecht (Opt-Out) für Patienten sowohl bei der Primärnutzung, also der Datennutzung zur Gesundheitsversorgung der betroffenen Person, als auch bei der Sekundärnutzung, der Nutzung der Daten für Forschung und für Zwecke der öffentlichen Gesundheit, ausgesprochen. Beides war zunächst im Vorschlag der EU-­ Kommission nicht vorgesehen. Nunmehr sollen die Mitgliedsstaaten jedoch die Möglichkeit erhalten, beide Arten von Opt-Out einzuführen. Öffentliche Institutionen sollen allerdings trotz Opt-Out auf Daten zugreifen können, wenn dies für Zwecke der öffentlichen Gesundheit notwendig erscheint. Auch die Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts, die nach Einschätzung der EU-Kommission größte Reform seit mehr als 20 Jahren in diesem Bereich, macht Fortschritte. Der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments hat sich mit den Vorschlägen der Kommission befasst und überarbeitete Entwürfe in den weiteren Abstimmungsprozess eingebracht. Im Kern geht es bei der Reform darum, wirksamere Anreize für die Entwicklung und Bereitstellung von Arzneimitteln zu schaffen. Hierzu gehören beschleunigte und vereinfachte Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur und mögliche Verlängerungen des Patentschutzes, wenn das Arzneimittel EU-weit auf den Markt gebracht, damit ein bisher ungedeckter medizinischer Bedarf gedeckt oder eine neue therapeutische Indikation entwickelt wird. Insbesondere für die Entwicklung neuartiger Antibiotika gegen resistente Krankheitserreger soll es ein eigenes Anreizsystem geben. Zudem sind Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit vorgesehen; so sollen pharmazeutische Unternehmen zur frühzeitigen Meldung von Engpässen bei Arzneimitteln verpflichtet werden, bei bestimmten kritischen Arzneimitteln soll die EU-Kommission Maßnahmen für eine bessere Versorgungssicherheit ergreifen können. Das neu gewählte EU-Parlament wird sich dann weiter mit den Entwürfen zur Reform des EU-Arzneimittelrechts befassen müssen.

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