Rheinisches Ärzteblatt 5/2024

16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2024 versorgt werden können. So auch Abdul: Die Therapie von Xeroderma Pigmentosum, einer seltenen genetisch bedingten Erkrankung, war in seiner afghanischen Heimat unmöglich: es fehlten die Spezialisten. Tumore wucherten in seinem Gesicht, er befand sich in einem kritischen Zustand, als er für eine Behandlung in Deutschland vorgesehen wurde. Im Helios St. Johannes Klinikum in Duisburg-Hamborn, einem Partnerkrankenhaus des Friedensdorfes, werden die Wucherungen durch eine spezielle Chemotherapie behandelt. Mit Erfolg, denn die Wucherungen im Gesicht und die Metastasen im Körper bilden sich erfolgreich zurück. Der Siebenjährige blüht regelrecht auf. Alle Kinder im Friedensdorf stammen aus Kriegs- und Krisenregionen weltweit. Aktuell leben dort 165 Kinder aus Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Angola, die meisten sind zwischen zwei und dreizehn Jahre alt. Ihr gemeinsames Ziel: Schnell gesund werden, um nach Hause zu ihren Familien zurückkehren zu können. „Am häufigsten versorgen wir hier Knochenentzündungen (Osteomyelitis) und Zustände nach Verbrennungen, die zum Beispiel durch Haushaltsunfälle mit Erdöfen entstehen“, sagt Claudia Peppmüller, die seit 1994 als Sozialarbeiterin im Friedensdorf arbeitet. Sie begleitet häufig die Flüge aus Afghanistan und kennt die Situation im Land. „Seit dem Abzug der westlichen Truppen ist Afghanistan eine vergessene Nation“, erklärt sie. Prekär sei die Lage vor allem außerhalb der großen Städte wie Kabul. Nach der Machtübernahme der Taliban im Spätsommer 2021 sei die Wirtschaft des Landes zusammengebrochen, viele Afghanen seien arbeitslos und Wohnraum kaum mehr bezahlbar. Großfamilien lebten häufig in kleinen Lehmhütten auf engstem Raum zusammen. Immer wieder werde das Land von Naturkatastrophen heimgesucht, zuletzt richtete ein Erdbeben schwere Schäden in der Region Herat an. Auch plagt eine verheerende Dürre das Land, die Brunnen versiegen lasse. Auch an Nahrungsmitteln mangle es derzeit, sodass viele Kinder unterernährt seien, berichtet Peppmüller. Afghanistan – ein vergessenes Land Nicht einmal eine medizinische Grundversorgung gebe es noch: viele Ärzte seien ins Ausland geflohen, eine funktionierende Krankenversicherung gab es ohnehin noch nie und eine kostspielige Behandlung sei für die meisten Familien nicht bezahlbar. Dazu fehle es an medizinischem Gerät, an Medikamenten und Verbandsmaterial. Das Land sei dringend auf internationale Hilfe angewiesen, doch kaum eine westliche Organisation kooperiere mit den aktuellen Machthabern, den Taliban. Bevor ein verletztes oder krankes Kind im Friedensdorf in Oberhausen aufgenommen wird, muss sichergestellt werden, dass eine Behandlung im dortigen Medizin-Zentrum stattfinden kann oder etwa ausreichend freie Betten in kooperierenden deutschen Kliniken verfügbar sind. Ist das der Fall, werden behandlungsbedürftige Kinder in ihren Herkunftsländern nach einem vorgegebenen Verfahren von Ärztinnen Spezial und Ärzten vor Ort ausgewählt. Dabei spielt neben der Dringlichkeit der Behandlung auch die Transportfähigkeit des Kindes eine wichtige Rolle. In Afghanistan ist der Rote Halbmond Partnerorganisation des Friedensdorfs Oberhausen. Vor dem Transport nach Deutschland gilt es noch, bürokratische Hürden zu überwinden. So müssen für die kleinen Patienten zum Beispiel Visa beantragt werden. Dabei unterstützt sie das Einsatzteam des Friedensdorfes, die während ihres Aufenthaltes im Herkunftsland der Kinder bereits eng mit den ehrenamtlich tätigen Ärztinnen und Ärzten bundesweit zusammenarbeiten. Tränenreiche Abschiede Der Abschied der Kinder von ihren Eltern und Geschwistern ist immer hart und tränenreich. Meist bleiben die kleinen Patienten für Therapie und Reha ein Jahr lang in Deutschland und für viele Familien ist es schwierig, mit den Kindern in direktem Kontakt zu bleiben. In Afghanistan verfügten nicht alle Familien über ein Telefon, sagt Peppmüller. Und doch würden Eltern und Kinder die Zeit, die sie voneinander getrennt sind, meist stoisch ertragen. „Die meisten Eltern haben ihre Kinder lange leiden sehen und setzen nun große Hoffnungen auf die Behandlung in Deutschland“, betont die Sozialarbeiterin. Außerdem könnten sie sich jederzeit an den Roten Halbmond vor Ort wenden, der dann den Behandlungsfortschritt im Friedensdorf erfrage. Nach der Landung in Deutschland werden die meisten Kinder zunächst auf Infektionskrankheiten untersucht, bevor es für die kleinen Patienten direkt in die Krankenhäuser weitergeht. Einige der Kinder werden im eigenen Medizin-Zentrum mit OP-Saal medizinisch versorgt. Die langen weißen Korridore wirken steril, dafür gibt es im Wartebereich eine Spielecke mit Ritterburg und Bauklötzen. Im Narkoseraum des Medizin-Zentrums schaut eine kleine Patientin aufmerksam eine Zeichentrickserie am Fernseher, bis ihr schläfrig die Augen zufallen. Für circa 80 Prozent der Operationen ist das Friedensdorf nach wie vor auf die Expertise der Partner-Krankenhäuser angewiesen, erklärt Peppmüller. Mit dem im Jahr 2021 eröffneten OPZentrum agiere das Friedensdorf etwas autarker und könne beispielsweise Verbrennungsverletzungen und Narbenkontrakturen selbst behandeln. Dr. Raouf Onallah und Dr. Marios Bugariu gehören zum Team aus zehn ehrenamtlich engagierten Ärztinnen und Ärzten, die die Operationen im OP-Zentrum des Friedensdorfes durchführen. Beide sind plastische Chirurgen. „Viele Verletzungen, die wir hier versorgen, wie beispielsweise Narbenkontrakturen, sind für deutsche Verhältnisse völlig ungewöhnlich“, sagt Onallah. Der erfahrene Chirurg ist Leitender Arzt am Zentrum für Schwerbrandverletzte/Brandverletzungen am BG Klinikum Duisburg und hat für die Hilfsorganisation Interplast unter anderem chirurgische Einsätze in Eritrea absolviert. Er ist mit den klassischen „Drittweltverletzungen“ vertraut. Häufig schränkten Narbenkontrak-

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