Thema 12 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2023 Für die großen Strukturfragen und den damit verbundenen Wandel ist Essen der richtige Ort. Als der Deutsche Ärztetag das letzte Mal in der Ruhrmetropole tagte, im Mai 1966, rauchten dort noch die Schlote, obwohl die Kohlekrise die Region bereits erfasst hatte. Heute gilt die Stadt als Kultur- und Dienstleistungszentrum und als HightechStandort insbesondere in der Medizin. Eine Transformationsgeschichte von grau zu grün, wie Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen betonte. Ähnlich tiefgreifende Veränderungen schweben auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für einige Bereiche des deutschen Gesundheitswesens vor. Es gelte, einer „überdrehten Ökonomisierung“ gegenzusteuern und ganz grundsätzlich die Versäumnisse der vergangenen zehn Jahre abzuarbeiten. Dazu zählte der Minister neben der bereits eingeläuteten Finanzierungs- und Planungsreform für die Krankenhäuser auch den Kampf gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln, um die Produktion aus Billiglohnländern nach Europa zurückzuholen und damit Lieferengpässen entgegenzuwirken. Außerdem plädierte er dafür, die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben und die Zahl der Medizinstudienplätze um 5.000 jährlich aufzustocken, um zu verhindern, dass sich der Ärztemangel weiter verschärft. Er wolle die Probleme gemeinsam mit der Ärzteschaft angehen, beteuerte Lauterbach bei der Eröffnungsveranstaltung in der Essener Philharmonie. „Schauen Sie nicht zurück, seien Sie nicht eingeschnappt, lassen Sie uns gemeinsam an diesen Baustellen arbeiten“, appellierte der Minister an die 250 Abgeordneten des Deutschen Ärztetages und spielte damit auf den Vorwurf der verfassten Ärzteschaft an, ihren Sachverstand nicht in angemessener Form in Gesetzesvorhaben einbringen zu können. Lauterbach hob erneut hervor, dass die Ökonomie nicht die Medizin dominieren dürfe. „Wir haben in einigen Bereichen den Bogen überspannt“, meinte er. So habe die 100-Prozent-Finanzierung der Krankenhausleistungen über DRGs zu einer enormen Arbeitszeitverdichtung und zu einem ruinösen Wettbewerb der Kliniken untereinander geführt. Man habe damit ein „völlig unethisches System“ geschaffen, so Lauterbach. Er kündigte an, dass er nach einigem Streit im Vorfeld über die Planungshoheit die Krankenhausreform gemeinsam mit den Ländern angehen wolle. So könne die Neugestaltung der Krankenhausplanung in NordrheinWestfalen, die sich nicht mehr an der Zahl der Betten, sondern an Leistungsbereichen und -gruppen orientiert und bereits relativ weit fortgeschritten ist, ein Vorbild für den Bund sein. „Wir brauchen die Reform jetzt, denn viele Krankenhäuser sind von Insolvenz bedroht“, formulierte Lauterbach den Handlungsdruck. Diesen Handlungsdruck sieht der Minister auch im Arzneimittelbereich. In den Apotheken fehlten zunehmend Medikamente. Das reiche vom Fiebersaft für Kinder über Statine und Antiallergika bis hin zu Onkologika. Betroffen seien in erster Linie Generika, die aufgrund von Rabattverträgen und Festbeträgen in Foto: Jochen Rolfes Wille zum Wandel Ökonomisierung und Kostendämpfung haben zu Verwerfungen im Gesundheitswesen geführt. Die Eröffnungsveranstaltung zum 127. Deutschen Ärztetag am 16. Mai stand ganz im Zeichen der großen Strukturfragen: Wie kann die größte Krankenhausreform seit Jahrzehnten gelingen? Wie lässt sich der zunehmende Einfluss von Finanzinvestoren in der ambulanten Versorgung stoppen und wie die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln sichern? von Heike Korzilius
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