Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 /2023 25 Praxis Das „Ambulante Ethik-Komitee des Netzwerks Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg“ will den besonderen ethischen Herausforderungen im häuslichen Bereich insbesondere in der letzten Lebensphase gerecht werden. Den Menschen vor Ort, das heißt zu Hause oder in Altenpflegeeinrichtungen, soll eine Ethikberatung bedürfnis- und zielgerecht zur Verfügung gestellt werden. Ein Fallbeispiel verdeutlicht die Arbeits- weise des Ethik-Komitees. von Andrea von Schmude, Martina Kern, Frank Peusquens, Lukas Radbruch Ein gesetzlicher Betreuer wandte sich an das „Ambulante Ethik- Komitee des Netzwerks Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/ Rhein-Sieg“. Die betreute Person, Frau G., war 98 Jahre alt und lebte seit vier Jahren in einer stationären Pflegeeinrichtung. Seit langer Zeit trug Frau G. in Gesprächen immer wieder ernsthaft und anhaltend ihren Sterbewunsch vor. Um gemeinsam zu überlegen, wie die Beteiligten angemessen mit dem Wunsch umgehen können, wurde die ethische Beratung angeregt. Die beim Ethikkonsil anwesende Hausärztin betreute die Bewohnerin seit 14 Jahren. Frau G. war immer sehr mobil gewesen, seit einem Schlaganfall vor drei Jahren aber auf den Rollstuhl und auf Hilfe angewiesen. Sehkraft und Hörvermögen waren nach dem Schlaganfall sehr eingeschränkt. Der allgemeine Gesundheitszustand zeigte sich stabil. Eine depressive Erkrankung war nicht bekannt. Es gab keine Familienangehörigen mehr. Der Tod ihres Sohnes vor 30 Jahren war ein schwerer Schlag für Frau G. gewesen. Sie litt unter Einsamkeit und Freudlosigkeit. Sie war zunehmend kraftlos, fühlte ihr Dasein ohne Sinn und äußerte Müdigkeit, in einem gewissen Sinne Lebensmüdigkeit. Sie litt darunter, dass sie immer älter würde und dabei kein Ende abzusehen sei. Der Tod wäre nach ihrer Auffassung eine Erlösung. Frau G. hatte immer klar und entschieden ihre Belange selbst geregelt, sie war stets eine dem Leben zugewandte Frau gewesen. Nun aber fehlten ihr Sinn und Perspektive. Seit langem äußerte sie immer wieder: „Bitte helfen Sie mir.“ Konkret hatte sie um eine Spritze mit einem tödlichen Medikament gebeten. Auch war mehrfach Thema gewesen, dass sie in die Schweiz fahren wolle, um dort die Hilfe einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch zu nehmen. Sie wünschte sich eine ärztliche Anordnung und wollte mit ihrem Wunsch ernst genommen werden. So viele Menschen würden um ihr Leben kämpfen, sie jedoch könne nicht sterben. Ihr Leben habe keinen Sinn mehr, und es sei nun genug. Eine schriftliche Patientenverfügung lag vor. Diese ließ jedoch die aktuelle Frage, wie Frau G. sterben könnte, unbeantwortet. Zudem war Frau G. selbst noch einwilligungsfähig, sie war in der Lage, ihren Willen zu äußern und die Konsequenzen abzuschätzen. Bewertung des Falls und Diskussion Nach der Aufhebung des § 217 im Strafgesetzbuch durch das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 ist auch die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid keine Straftat mehr. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid verstößt gegen die Berufsordnung der Ärztekammer Nordrhein, allerdings ist dieser Paragraph der Berufsordnung seit 2022 ausgesetzt. Die Verordnung von bestimmten Substanzen wie Pentobarbital oder Secobarbital, die in anderen Ländern bevorzugt für Suizidassistenz genutzt werden, ist in Deutschland derzeit nicht möglich. Nach dem Betäubungsmittelgesetz können diese Substanzen nur für ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Behandlungen verordnet werden; die Beihilfe zum Suizid zählt aber nicht als ärztliche Behandlung. Dennoch sind in Deutschland Sterbehilfevereine tätig, die für ihre Mitglieder einen assistierten Suizid mit anderen SubAmbulantes Ethik-Komitee: Fallbeispiel zwischen Suizid und Behandlungsverzicht Ethik-Komitees sind überwiegend im klinischen Kontext etabliert. Die Klärung ethischer Fragestellungen wird jedoch – auch außerhalb der Klinik – in ambulanten Wohnformen und stationären Pflegesettings im Behandlungs- und Pflegealltag immer notwendiger. Ethische Konfliktsituationen zur Therapiezielsetzung und Therapieplanung können in der ambulanten Versorgung zwischen Patienten, Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegeteams ebenso wie innerhalb des Behandlungsteams entstehen, und auch zwischen Angehörigen und Behandlungsteam bei Patienten, die sich selbst nicht mehr dazu äußern können. Medizinethische Beratungen können den Beteiligten Raum und Unterstützung bei der Entscheidungsfindung bieten. Bei lebenslimitierenden Erkrankungen und voraussichtlich kurzer Überlebenszeit sind solche ethischen Konflikte nicht selten auch Thema in der Hospiz- und Palliativversorgung. Ein reflektierter Umgang mit ethischen Fragen gehört zum Selbstverständnis hospizlich-palliativen Handelns. Aus dieser Erfahrung heraus wurde zu Beginn des Jahres 2019 vom Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/ Rhein-Sieg ein ambulantes Ethikkomitee gegründet. Die ambulante Ethikberatung ist zwar im regionalen Netzwerk der Hospiz- und Palliativversorgung verankert, erweitert das Angebot jedoch über die Fragestellungen am Lebensende hinaus. Erklärtes Ziel ist es, die moralische Entscheidungsfähigkeit der unmittelbar Betroffenen selbst zu fördern und nicht Entscheidungen an das Ethikkomitee zu delegieren. Ambulantes Ethik-Komitee in der Region Bonn und Rhein-Sieg Kreis
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