Rheinisches Ärzteblatt 6/2023

30 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2023 Forum der transgenerationalen Übertragung zu berücksichtigen und diese in die Psychotherapie zu integrieren. Das bedeute, sich, soweit in der therapeutischen Situation möglich, auch um die Kinder der Erkrankten oder Traumatisierten zu kümmern – ein Desiderat, das auch im Publikum formuliert wurde. Flatten verwies in diesem Zusammenhang auf ein von dem Bindungsforscher Professor Dr. Karl Heinz Brisch entwickeltes Programm für junge Eltern zur Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind: „Wenn Eltern das so erlernte Fürsorge- und Sicherheitsverhalten an ihre Kinder weitergeben, wäre das für mich ein wirklich guter präventiver Ansatz.“ Dr. Wolfgang Hagemann, Psychosomatiker und Gründungsmitglied von AIX-PT, formulierte daher den Appell an die Wissenschaftler, an diesem spannenden Thema weiterzuforschen und die Erkenntnisse für Patienten und Gesellschaft nutzbar zu machen. Mit rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fand der 4. Aachener Psychosomatik-Tag nach zwei pandemiebedingten Online-Ausgaben wieder in Präsenz statt. Das Programm erarbeiteten die Mitglieder der „Initiative Aachener Psychosomatik-­ Tage“. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Vorsitzenden der Kreisstelle Stadtkreis Aachen, Dr. Ivo Grebe. Dr. phil. Ulrike Schaeben ist Referentin für die Koordination der Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein Frage des Schicksals, sondern ein andauernder Prozess. Komplexe Merkmale wie Lebenserwartung, Resilienz oder Persönlichkeit sind immer ein Produkt aus dem hochkomplexen systemischen Netzwerk, das unser Erbe gemeinsam mit der Vergangenheit und dem Lebensstil sowie Erfahrungen der Gegenwart knüpft“, lautete die Kernbotschaft, die der Biologe und Wissenschaftsautor auch in seinem aktuellen Buch „Gesundheit ist kein Zufall“ verarbeitet hat. Epigenetik und Prävention Bei der abschließenden Podiumsdiskussion stellte AIX-PT-Gründungsmitglied und Ärztliche Psychotherapeutin Dr. Anna-Sophia Lemmen die Frage, wie die Epigenetik in der psychotherapeutischen Arbeit noch stärker berücksichtigt werden kann und was ihre Zukunftsaussichten sind. Für den Biologen Spork öffnet die Epigenetik ein riesiges Fenster, in dem Prävention gesamtgesellschaftlich gesehen wirksam sein kann, und ebnet durch messbare Biomarker den Weg zu einer evidenzbasierten, individualisierten und personalisierten Psychotherapie. Der Humangenetiker Zerres goss etwas Wasser in den Wein, indem er neueste Studienergebnisse zur Relativierung echter Transgenerationeneffekte vorstellte. Psychotherapeutin Dr. Ulrike Schmidt plädierte dafür, epigenetische Phänomene nicht rein biologisch zu betrachten, sondern noch einmal die psychologischen Mechanismen von Traumafolgestörungen auf, die als Störung der Stressregulation verstanden werden können. Krankheiten entstünden häufig als unerwünschter (Langzeit)Effekt von ungeeigneten Bewältigungsbemühungen. „Grundlage der Arbeit mit traumatisierten Menschen ist es zu verstehen, dass das Trauma mit subjektiver Hilflosigkeit und Kontrollverlust verbunden ist und sich dieses Erleben mit der Traumafolgestörung fortsetzt“, führte der Trauma-Spezialist aus. Erst das Wissen um frühere Belastungserfahrungen und die Arbeit an gemeinsamen Modellen des Verstehens ermöglichten es, mit Patienten an veränderten Bewältigungsstrategien zu arbeiten. Gesundheit als Generationenprojekt Die Frage nach der Prägung der Persönlichkeit beleuchtete Dr. rer. nat. Peter Spork aus der Perspektive des Biologen. Die bahnbrechende Leistung der Epigenetik sieht er darin, dass sie die Forscher in die Lage versetzt, ein biologisches Substrat, eine Messbarkeit der Erkenntnisse zu Parametern wie einem gesunden Lebensstil zu erhalten, die vorher in epidemiologischen Studien gewonnen wurden. „Noch immer denken die meisten Menschen, sie seien ihren Genen und damit dem unbeeinflussbaren Erbe ihrer Eltern und Großeltern hoffnungslos ausgeliefert. Doch die neue Wissenschaft der Epigenetik lehrt: Gesundheit ist keine Die „Initiative Aachener Psychosomatik-Tage“ und die Ärztekammer Nordrhein veranstalteten das mittlerweile vierte Symposium in Aachen: (v. re.) Dr. Wolfgang Hagemann, Dr. Bernhard Grundmann, Dr. Catharina Jacobskötter, PD Dr. Dr. phil. Guido Flatten M.A., Dr. Gabriele Potthoff-Westerheide, Rainer Lezius, Dr. phil. Ulrike Schaeben (Kreisstellenkoordination ÄkNo), Dr. Ivo G. Grebe (Vorsitzender Kreisstelle Stadtkreis Aachen), Dr. Anna-Sophia Lemmen, Christa Bartels (Vorsitzende PPP-Ausschuss der ÄkNo) und Referent Dr. Peter Spork Foto: Ulrike Schaeben

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