Rheinisches Ärzteblatt 6/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2024 37 Forum Gemeinsam mit weiteren medizinischen Fachgesellschaften hat die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Leitlinie angemeldet, die Ärzte und andere Gesundheitsberufe im Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung unterstützen soll. Zentrale Inhalte betreffen die Prüfung der Freiverantwortlichkeit sowie die Aufklärung und Beratung über Alternativen zum Suizid. von Heike Korzilius Die Tendenz ist steigend. 419 ärzt- liche Freitodbegleitungen hat die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) im vergangenen Jahr für ihre Mitglieder vermittelt, nach 229 im Jahr 2022 und 120 im Jahr 2021. Das teilte die Gesellschaft Ende Februar in ihrer Jahresbilanz mit. Für die Suizidassistenz hat sich die DGHS eigene Regeln gegeben, die unter anderem vorsehen, im Rahmen von zwei Beratungsgesprächen die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung des Sterbewilligen zu prüfen. Weil diese in Zweifel stand, seien 34 Anträge auf eine Freitodbegleitung 2023 abgelehnt worden, so die DGHS. Sterbehilfe-Vereine können seit 2020 wieder legal in Deutschland tätig sein. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, das unter anderem auf diese Vereine zielte, gekippt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen – und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit, urteilten die Karlsruher Richter. Allerdings betonten sie auch, es müsse sichergestellt sein, dass eine solche Entscheidung freiverantwortlich und wohlüberlegt getroffen wurde und der Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, von Dauer sei. Außerdem stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass niemand verpflichtet werden kann, Suizidhilfe zu leisten, und räumte dem Gesetzgeber die Möglichkeit ein, Regelungen zum Schutz vor Missbrauch zu treffen. Zu denen, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot der Sterbehilfe geklagt hatten, gehörte unter anderem die DGHS. wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Gerichte waren jeweils zu der Ansicht gelangt, dass die Suizidenten aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Entscheidung, ihrem Leben ein Ende zu setzen, nicht mehr freiverantwortlich treffen konnten und eine objektive Abwägung des Für und Wider krankheitsbedingt nicht mehr möglich war. Der vom Assistierter Suizid: Medizinische Fachgesellschaften streben Leitlinie an Während die Sterbehilfe-Vereine derzeit keinen weiteren Handlungsbedarf des Gesetzgebers zur Regelung der Suizidassistenz sehen, warnen andere vor einer rechtlichen Grauzone. Zwei ähnlich gelagerte Verfahren im Rahmen der Hilfe zur Selbsttötung gegen zwei Ärzte vor den Landgerichten Essen und Berlin scheinen den Kritikern gesetzgeberischer Untätigkeit Recht zu geben. In Essen hatte ein Neurologe und Psychiater (81) dem Gericht zufolge einem schwer psychisch kranken 42-Jährigen eine Infusion mit einer tödlich wirkenden Menge Thiopental angehängt, deren Zuflussventil der Sterbewillige dann selbst öffnete und starb. In Berlin hatte ein pensionierter Hausarzt (74) einer 37-jährigen, unter Depressionen leidenden Frau ebenfalls eine Infusion mit einer tödlichen Dosis Thiopental gelegt, die die Sterbewillige selbst in Gang setzte und starb. In beiden Fällen wurden die Ärzte jetzt Essener Landgericht verurteilte Psychiater hat angekündigt, in Revision zu gehen. Ärzte beklagen Unsicherheiten Wer definiert und bescheinigt nach welchen Kriterien die Freiverantwortlichkeit eines Suizidwunsches? Wer berät nach welchen Kriterien über Alternativen zum Suizid? Welche Rolle sollen Ärztinnen und Ärzte oder Psychologische Psychotherapeuten dabei übernehmen? All das sind Fragen, auf die es bislang keine verbindlichen Antworten gibt. Koordiniert von der Akademie für Ethik in der Medizin haben deshalb Anfang des Jahres mehrere medizinische Fachgesellschaften bei der AWMF eine Leitlinie angemeldet, die Ärzte und andere Gesundheitsberufe im Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung unterstützen soll, darunter auch die DeutGrauzone Suizidhilfe: Weil sie schwer psychisch kranken Sterbewilligen eine Infusion mit tödlich wirkenden Medikamenten verabreichten, wurden zwei Ärzte kürzlich zu Haftstrafen verurteilt. Foto: Pitchayanan Kongkaew/istockphoto.com

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