Arztberuf Freiheit und Verantwortung Juli 2023 Heft 7 / 30.6.2023 77. Jahrgang Körperschaft des öffentlichen Rechts Körperschaft des öffentlichen Rechts Freiberuflichkeit als höchstes Gut Nordrheinische Delegierte ziehen Bilanz des Deutschen Ärztetages Prävention von klein auf Gesundheitskompetenz schon in der Grundschule stärken Kritik an geplanter Cannabisfreigabe Ärzte und Psychotherapeuten warnen vor gesundheitlichen Folgen
CME-Punkte Die Veranstaltung ist mit 5 Fort- bildungspunkten anerkannt. Die Teilnahme ist kostenfrei. Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein Olaf Reddemann, Institut für Allgemeinmedizin (ifam), Düsseldorf Prof. Dr.med. Markus Giessing, Klinik für Urologie, Kliniken Maria Hilf, Mönchengladbach Dr. med. Amin Farid Aly, Dezernat 5 – Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung, Bundesärztekammer, Berlin Prof. Dr. med. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital, Eschweiler Workshop I: Familienmedizin im System Olaf Reddemann Workshop II: Nutzung von digitalen Medien – Medienkompetenz Dr. med. Amin Farid Aly Workshop III: Fertigkeiten für die Videosprechstunde Priv.-Doz. Dr. Jörg Christian Brokmann, Zentrale Notaufnahme, Uniklinik RWTH Aachen Workshop IV: Kommunikation nach schweren Ereignissen Dr. med. Stefan Meier, Klinik für Anästhesiologie am Universtitätsklinikum Düsseldorf Dr. med. André Karger MME, Stellv. Leiter des Klinischen Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Leiter des Bereichs Psychoonkologie am Universitäts-Tumorzentrum, Universitätsklinikum Düsseldorf Prof. Dr. med. Susanne Schwalen, Geschäftsführende Ärztin der Ärztekammer Nordrhein Dienstag, 8. August 2023, 15:30 Uhr – 19:30 Uhr Veranstaltungsinformationen Bei Interesse bitten wir um eine Registrierung bis zum 04.08.2023. Fragen zur Veranstaltung beantwortet Ihnen das Team des Veranstaltungsmanagements, Tel. 0211 4302 2216, E-Mail: veranstaltungen@aekno.de. https://www.aekno.de/presse/veranstaltungen/veranstaltungen-der-aerztekammer/08082023- duesseldorf-kammersymposium-wieviel-kommunikation-steckt-im-medizinischen-alltag Kontakt Stefan Kleinstück Referent Medizinische Grundsatzfragen E-Mail: Stefan.Kleinstueck@aekno.de Tel.: +49 (0)211 4302 2208 Kammersymposium in Präsenz, Haus der Ärzteschaft, Düsseldorf Wieviel Kommunikation steckt im medizinischen Alltag? Begrüßung und Einführung Kommunikation im allgemein- medizinischen Alltag Interprofessionelle Kommunikation Televisite und digitale Kommunikationsmittel Kommunikation in der Intensivmedizin Workshops Ausblick, Danksagung und Moderation der Veranstaltung Sender Empfänger Botschaft Selbstkundgabe Beziehungshinweis Appell Sachinhalt
Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 /2023 3 Heft 7 • Juli 2023 Weiter so! Auf der Eröffnungsveranstaltung des Deutschen Ärztetags hatte Landesgesundheitsminister Karl Josef Laumann Lob für die NRW-Arztpraxen als Ausbildungsstätten im Gepäck. Abermals in Folge, so der Minister, stellten 2022 die Freien Berufe und allen voran die Arzt- und Zahnarztpraxen die drittmeisten Ausbildungsplätze in NRW zur Verfügung und leisteten damit einen unschätzbaren Dienst, jungen Menschen berufliche Perspektiven zu eröffnen. Auch die Auswertungen des Bundesinstituts für Berufsbildung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge im Jahr 2022 zeigen Erfreuliches: Zum zweiten Mal in Folge steht in der Rangliste bei den Frauen die „Medizinische Fachangestellte“ (MFA) auf Platz 1. Das zeigt, dass die Arbeit im Gesundheitswesen von vielen jungen Frauen weiterhin als attraktiv und krisenfest eingeschätzt wird, trotz der viel beschriebenen Belastungen, die mit der Arbeit in Praxen und Kliniken einhergehen. Es macht uns daher stolz, dass es uns auch im Jahr 2022 in Nordrhein wieder gelungen ist, über 2.800 Ausbildungsverträge mit angehenden MFA abzuschließen und damit an das Rekordhoch von 2021 anzuknüpfen. Seit Jahrzehnten geben niedergelassene Ärztinnen und Ärzte jungen Menschen eine Perspektive in einer gesellschaftlich hoch angesehenen Tätigkeit, die bei jungen Frauen nicht ohne Grund zum Top 1 Ausbildungsberuf geworden ist. Doch nicht nur in den Praxen, sondern auch in der schulischen Ausbildung engagieren sich rheinische Ärztinnen und Ärzte maßgeblich für eine erfolgreiche Berufsausbildung ihrer Praxis-Fachkräfte von morgen. Großen Anteil am bisherigen Erfolg der dualen MFA-Ausbildung in Praxis und Schule haben Ärztinnen und Ärzte, die als Berufsschullehrkräfte theoretisches mit praktischem Wissen verknüpfen. Auch ihnen gebührt unser Dank, denn sie tragen dazu bei, den Beruf in den Berufsschulen mit Wissen und Herz zu füllen und unseren zukünftigen MFA das nötige Rüstzeug zu geben, um einen Praxisbetrieb zu managen. So erfreulich unsere Ausbildungszahlen und das Engagement unserer Kolleginnen und Kollegen ist, so wenig dürfen wir in unserem Bestreben nachlassen, Ausbildung auch in den nächsten Jahren zu ermöglichen und zum Beispiel über Schülerpraktika gezielt anzubahnen. Denn zu viele MFA, die wir in unseren Praxen qualifizieren, wandern nach abgeschlossener Ausbildung in andere Berufsfelder ab oder kehren nach der Familienphase nicht mehr in den Beruf zurück. Das stellt uns als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vor große Herausforderungen. Denn wir müssen uns auf einen neuen Bewerberinnenmarkt einstellen und stärker überlegen, wie wir die von uns geschulten Fachkräfte an unseren Betrieb binden. Aus einer PKV-Umfrage aus dem Jahr 2022 unter MFAs und ZFAs lassen sich wertvolle Hinweise ableiten. Die Wichtigsten: bessere Rahmenbedingungen, mehr Wertschätzung, höhere Bezahlung, mehr Weiterbildung. Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Ressourcen vieler Arztpraxen sind begrenzt. Abwanderungen aufgrund besserer Bezahlung in andere Sektoren können wir nur dann effektiv verhindern, wenn wir die steigenden Personalkosten auch im ambulanten Bereich endlich refinanziert bekommen. Aber eines haben wir selbst in der Hand: Wir können jeden Tag wertschätzend und respektvoll mit unseren Praxisteams umgehen. Das nehmen unsere Patientinnen und Patienten wahr und es ist unser politisches Signal und eine wichtige Voraussetzung für eine veränderte Wahrnehmung und gesellschaftliche Anerkennung dieses attraktiven und hochrelevanten Berufs. Das neue Ausbildungsjahr startet im September. Wenn auch Sie jungen Menschen eine Chance auf ein erfüllendes Berufsleben geben wollen, die Ärztekammer Nordrhein berät Sie gern zu allen Fragen rund um die Ausbildung zur oder zum Medizinischen Fachangestellten www.aekno.de/mfa. Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein Foto: Jochen Rolfes
Videokonferenz am xx, xx , von xx:00 –xx:00 Uhr Videokonferenz: Titel Va Online Neue Impulse für den Praxisalltag: Wie begleite ich onkologische Patientinnen und Patienten? Mittwoch, 30. August 2023,15:30 –17:45 Uhr, Live Online-Seminar Die Veranstaltungen sind kostenfrei. Anmeldung erforderlich über unsere Homepage www.iqn.de/Fortbildungen des IQN Bitte beachten: Anrechnung der Fortbildungspunkte nur bei vollständiger Teilnahme Bei Interesse senden wir Ihnen gerne unseren Newsletter: iqn@aekno.de Kontakt Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Tersteegenstraße 9, 40474 Düsseldorf Tel.: 0211 4302-2752 oder -2751 iqn@aekno.de Internet www.iqn.de IQN Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Einrichtung einer Körperschaft öffentlichen Rechts Anmeldung und Information Achtung: Programmänderungen möglich! Begrüßung Dr. med. Carsten König M. san. Stellv. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein Einführung und Moderation Dr. med. Martina Levartz, MPH Geschäftsführerin des IQN Monika Rueb Mitglied im Landesvorstand West, Verband medizinischer Fachberufe e.V. Was sage ich denn jetzt? Kommunikation mit onkologischen Patientinnen und Patienten und ihren Zugehörigen Veronika Schönhofer-Nellessen Geschäftsführung Palliatives Netzwerk für die Region Aachen e.V. Leiterin des Bildungswerkes Aachen und der Servicestelle Hospiz Bewegungs- und Trainingstherapie onkologischer Patientinnen und Patienten Michael Mendes Wefelnberg Sportwissenschaftler (M.A.) Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand AG „Onkologische Bewegungsmedizin“ Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinik Köln Anerkannt mit 3 Fortbildungspunkten Begrüßung Dr. med. Martina Levartz, MPH Geschäftsführerin des IQN Einführung und Moderation Dr. med. Manuel Streuter Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin am Lungenzentrum Helios Klinikum Krefeld Differenzialdiagnose bei chronischer Dyspnoe – Ursachen, Symptome, Schweregrade der COPD Dr. med. Johannes Uerscheln Niedergelassener Internist und Pneumologe in Neuss Therapiemöglichkeiten, Therapiesteuerung und Patientenführung Dr. med. Manuel Streuter Psychische Komorbiditäten bei COPD: Folgen für Lebensqualität, Krankheitsverhalten und Behandlungsadhärenz Prof. Dr. Nikola Stenzel Psychologische Psychotherapeutin (VT) Ambulanzleitung Psychotherapeutische Hochschulambulanz Psychologische Hochschule Berlin Anerkannt mit 3 Fortbildungspunkten Im Fokus: COPD Mittwoch, 13. September 2023,15:30 –17:45 Uhr, Live Online-Seminar
Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 /2023 5 Arztberuf Freiheit und Verantwortung Prävention von klein auf Eine gute Gesundheitsbildung schon in der Grundschule kann dazu beitragen, die Krankheitslast in einer Gesellschaft des langen Lebens zu senken. Wie dieser Ansatz in der Praxis funktionieren kann, zeigt das Programm Gesund macht Schule, das in Nordrhein seit über 20 Jahren erfolgreich läuft. 127. Deutscher Ärztetag: Delegierte ziehen positive Bilanz Freiberuflichkeit, Gesundheitskompetenz, Klimaschutz und Digitalisierung gehörten zu den Schwerpunkten des diesjährigen Deutschen Ärztetages. Die Delegierten aus Nordrhein beeindruckte insbesondere der Vortrag von Verfassungsrichter Peter Müller zur Verantwortung der Ärzteschaft als Angehörige eines freien Berufs. Meinung Weiter so! Seite 3 Magazin Seiten 6 bis 10 Reinhardt bleibt Präsident der Bundesärztekammer · Drohende Mental-Health-Pandemie · Vor 50 Jahren · Hitzeschutz als Gemeinschaftsaufgabe · Paracelsus-Medaille: Preisverleihung beim Deutschen Ärztetag · Rauchen: Schaden für Klima und Gesundheit · Kammer online · Ausstellung über verfolgte jüdische Ärztinnen und Ärzte · Marburger Bund und VKA erzielen Tarifeinigung · Studium und Berufseinstieg Thema – 127. Deutscher Ärztetag Freiheit und Verantwortung Seite 12 Politische Debatten, Wahlen und Geselligkeit Seite 15 Ärztetag in Nordrhein: Freiberuflichkeit als höchstes Gut Seite 16 Interprofessionelle Zusammenarbeit unter ärztlicher Verantwortung Seite 19 Spezial Prävention von klein auf Seite 21 Gesundheits- und Sozialpolitik Keine Bagatelle: Ärzte und Psychotherapeuten positionieren sich gegen Cannabisfreigabe Seite 25 Brückenköpfe in den nordrheinischen Regionen Seite 26 Praxis Projekt „praxis4future“ erhält Förderung Seite 27 Forum Wenn das Selbstbild krank macht Seite 28 Wissenschaft und Fortbildung Endotrachealtubus vorab nicht auf Funktionstüchtigkeit geprüft – Folge 138 der Reihe „Aus der Arbeit der Gutachterkommission“ Seite 30 Progrediente Schwäche der Beine nach Chemo- und Strahlentherapie – Folge 77 der Reihe „Zertifizierte Kasuistik“ Seite 33 Tagungen und Kurse Seite 37 Fortbildungsveranstaltungen der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein Seite 38 RÄ Regional Seite 43 Bücher Seite 46 An Rhein und Ruhr Seite 47 Kulturspiegel Siegerfilm zeigt verbotenes Gebiet Seite 48 Amtliche Bekanntmachungen Seite 49 Amtliche Bekanntmachungen der Ärztekammer Nordrhein auf www.aekno.de Amtliche Bekanntmachungen der KV Nordrhein auf www.kvno.de Impressum Seite 49 Mein Beruf Seite 59 Titelgestaltung: Eberhard Wolf Foto: Khunatorn/stock.adobe.com Heft 7 • Juli 2023 Wer die Freiheit des ärztlichen Berufs erhalten will, muss sich auch um die Rahmenbedingungen kümmern, unter denen das ärztliche Handeln erfolgt. Die Ärzteschaft forderte deshalb beim 127. Deutschen Ärztetag in Essen, in alle gesundheitspolitischen Reform- und Gesetzesvorhaben eingebunden zu werden.
Magazin 6 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 DAK-Report Drohende MentalHealth-Pandemie Kinder und Jugendliche in Deutschland sind durch anhaltende Krisen weiter stark psychisch belastet. Vor allem Mädchen sind betroffen. Das geht aus dem aktuellen DAKKinder- und Jugendreport hervor. Ausgewertet wurden Krankenhausdaten aus den Jahren 2018 bis 2022. Danach wurden 2022 ein Drittel mehr Teenagerinnen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Angststörung in Kliniken versorgt als im Vor-Coronajahr 2019. Auch die Behandlungszahlen bei Essstörungen und Depressionen nahmen der DAK zufolge deutlich zu. Mediziner sähen wachsende Zukunftsängste bei jungen Menschen und warnten vor einer „MentalHealth-Pandemie“ durch Seelenleiden. Der Report zum Download: https://www. dak.de/dak/unternehmen/ reporte-forschung/kinderund-jugendreport-2023_36758 HK BMC-Empfang Akteure in Reformen einbeziehen Uneinigkeit bei der Zahl und Definition von Gesundheitsregionen sowie zur Ausgestaltung und Finanzierung der Krankenhausstrukturen zeichneten sich beim Sommergespräch der NRW Regionalabteilung des Bundesverbands Managed Care (BMC) am 5. Juni in Düsseldorf unter den geladenen Landesgesundheitspolitikern ab. Einigkeit bestand hingegen darüber, dass alle Akteure der Gesundheitsversorgung einbezogen werden müssen, um Defizite in den Reformansätzen zu beheben. EB 127. Deutscher Ärztetag Reinhardt bleibt Präsident der Bundesärztekammer Der 127. Deutsche Ärztetag in Essen hat Dr. Klaus Reinhardt erneut zum Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) gewählt. Der 62-jährige Facharzt für Allgemeinmedizin aus Bielefeld ist seit zwölf Jahren Vorsitzender des Hartmannbundes und seit 2019 BÄK- Präsident. Reinhardt konnte sich im ersten Wahlgang mit 125 zu 122 Stimmen gegen seine Mitbewerberin aus dem BÄK-Vorstand, Dr. Susanne Johna, durchsetzen. In seiner Vorstellungsrede verwies Reinhardt darauf, dass es der Bundesärztekammer in den vier Jahren seiner Präsidentschaft trotz Pandemie gelungen sei, deutliche Akzente in der Gesundheitspolitik zu setzen. Erfolgreich habe man Themen wie Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, investorengetragene Medizinische Versorgungszentren oder Klima und Gesundheit in die öffentliche Debatte tragen können. Die bei der Abstimmung nur knapp unterlegene erste Vorsitzende des Marburger Bundes wurde mit großer Mehrheit als Vizepräsidentin der BÄK gewählt. Susanne Johna erhielt 206 Berufsrecht Warnung vor unseriösen Adressverzeichnissen Die Ärztekammer Nordrhein warnte in der ersten Juli-Ausgabe 1973 des Rheinischen Ärzteblatts (RÄ) in der Rubrik „Bekanntmachungen“ vor Angeboten unseriöser Verlage. Die Kammer wies darauf hin, dass die Aufnahme eines Arztes in ein „unvollständiges, nichtamtliches Sonderverzeichnis“ als Werbung angesehen werde. Die damals gültige Berufsordnung untersagte den Ärztinnen und Ärzten jede Art von Werbung. Deshalb „werden alle Ärzte dringend gebeten, auf solche Angebote nicht einzugehen, da sie hierdurch gegen die berufsrechtlichen Bestimmungen verstoßen würden.“ In der zweiten Juli-Ausgabe 1973 gab das RÄ einen ministeriellen Runderlass des Landes wieder, der sich mit der Bekämpfung des Drogenmissbrauchs beschäftigte. Einleitend wird festgestellt, dass sich Drogenkonsum sowohl mit illegalen Substanzen, aber auch mit Beruhigungs-, Schlaf- oder Aufputschmitteln in allen sozialen Schichten ausbreite. Eine Ursache sei insbesondere unter Jugendlichen die Bereitschaft „zu nonkonformen Verhaltensweisen und konstitutionell bedingten spezifischen Persönlichkeitsstrukturen“. Auch die Verfügbarkeit von bis dahin unzugänglichen Drogen habe die Drogenszene geprägt. Dreh- und Angelpunkt sei vorbeugende Aufklärung. Denn nach „bisherigen Erfahrungen lassen Hilfen für bereits Drogenabhängige oder Drogensüchtige nur begrenzte Erfolge erwarten“, schrieb das Landesgesundheitsministerium in dem Runderlass. bre Das neue Präsidium der Bundesärztekammer: Dr. Susanne Johna, Dr. Klaus Reinhardt und Dr. Ellen Lundershausen (v.l.n.r.) Foto: Jürgen Gebhardt der 239 abgegebenen Stimmen. Die Oberärztin für Krankenhaushygiene in Rüdesheim ist seit 2016 Mitglied im Vorstand der BÄK. Als weitere Vizepräsidentin wurde Dr. Ellen Lundershausen in ihrem Amt bestätigt. Die Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen, niedergelassene Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in Erfurt, kam auf 168 der 248 abgegebenen Stimmen. tg
Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 /2023 7 Facharztprüfungen Anmeldeschluss und Termine Der nächste zu erreichende Prüfungszeitraum zur Anerkennung von Facharztkompetenzen, Schwerpunktbezeichnungen und ZusatzWeiterbildungen bei der Ärztekammer Nordrhein ist vom 16. Oktober bis 3. November 2023. Anmeldeschluss: Donnerstag, 31. August 2023 Ärztinnen und Ärzte, die zur Prüfung zugelassen sind, erhalten eine schriftliche Ladung mit dem genauen Prüfungstermin und der Uhrzeit mindestens 14 Tage vorher. www.aekno.de/Weiter bildung/Pruefungen ÄkNo frühstArt Projekt gegen Übergewicht An der Uniklinik Köln ist ein Forschungsprojekt zur Verbesserung der Versorgung von Kindern mit Übergewicht gestartet (www.frühstart.info). Das zunächst über vier Jahre geförderte Projekt soll die kinderärztliche Regelversorgung ergänzen. Kern des Programms ist die Beratung und Begleitung betroffener Familien durch speziell ausgebildete Coaches. Diese besuchen die Kinder regelmäßig, entwickeln gezielte Unterstützungspläne und vereinbaren persönliche Ziele mit den Familien. Sie informieren über lokale Unterstützungsangebote. Sie halten auch Kontakt mit den kinderärztlichen Praxen und helfen, das soziale Umfeld mit einzubeziehen. Das in der Region Nordrhein angesiedelte Projekt richtet sich an deutsch und türkisch sprechende Kinder und Familien. EB Versorgung nach Krebs Mit dem Ziel, die Langzeitversorgung von Menschen zu verbessern, die Krebs haben oder hatten, ist das Projekt Optilater, ein NRW-weites Forschungskonsortium, gestartet worden. Hauptsächlich geht es dabei um die Analyse der Versorgungssituation und des Bedarfs von Langzeitüberlebenden mit Krebs. Auf dieser Grundlage sollen evidenzbasierte Leitlinien für die Versorgung der Betroffenen formuliert werden. Das vom Bundesministerium für Gesundheit mit rund 2,3 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt wird an verschiedenen NRW-Unikliniken in Zusammenarbeit mit dem Landeskrebsregister NRW und dem Deutschen Kinderkrebsregister durchgeführt. tg Telemedizin in der Pflege Mit dem Telemedizin-Projekt Optimal@NRW soll in der Region Aachen über neu geschaffene Netzwerkstrukturen die medizinische Akutversorgung in Pflegeeinrichtungen verbessert werden. Vermieden werden sollen insbesondere unnötige Krankenhaustransporte, die für die Betroffenen sehr belastend sein können. Das Projekt wird mit 15 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Zu einer ersten Bestandsaufnahme kamen Projektbeteiligte am 30. Mai zu einem Kongress in Düsseldorf zusammen. Mit Optimal@NRW gelinge es, „die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern“, betonte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein. tg Informationen zu IT-Sicherheit „Tür zu im Netz“ heißt die Kampagne, mit der das Land NRW Arztpraxen ebenso wie andere kleine und mittlere Unternehmen zum Thema IT-Sicherheit informiert. Gemeinsam mit 15 Partnerorganisationen, darunter die Ärztekammer Nordrhein, soll mit der Kampagne ein Bewusstsein für Gefahren aus dem digitalen Raum geschaffen werden. Außerdem sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich sensible Daten schützen lassen, teilte das Wirtschaftsministerium NRW mit. Interessierte können unter www.tuer-zu-im- netz.nrw kostenfreie Beratungsangebote vereinbaren und sich über das Landesförderprogramm informieren. MST Hitzeaktionstag Hitzeschutz als Gemeinschaftsaufgabe „Hitze kann tödlich sein“, lautete die unmissverständliche Botschaft, mit der die Bundesärztekammer gemeinsam mit den Landesärztekammern im Rahmen eines bundesweiten Hitzeaktionstages am 14. Juni auf Defizite beim Gesundheitsschutz aufmerksam machen wollte. Der Aktionstag fand statt in Kooperation mit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und dem Deutschen Pflegerat. Rund 4.500 Todesfälle im Jahr 2022 waren nach Angaben des Robert Koch-Instituts auf Hitzeeinwirkung zurückzuführen. Zu den politischen Forderungen der Kooperationspartner gehört unter anderem die Schaffung eines klaren gesetzlichen Rahmens für einen verpflichtenden gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundes-, Landes-, und kommunaler Ebene. Eine entsprechende Verankerung müsse auch in Gesetzen zum Bau- und Arbeitsrecht erfolgen. Auch die Ärztekammer Nordrhein beteiligte sich an dem Hitzeaktionstag. „Es ist notwendig, die Bevölkerung über Vorsorgemaßnahmen bei Hitze aufzuklären und Kommunen dabei zu unterstützen, bei Hitze hilfreiche Infrastrukturen zu schaffen wie zum Beispiel öffentliche Schattenplätze und Trinkbrunnen. Auch Hitzemaßnahmenpläne für stationäre Einrichtungen und Dienste müssten zeitnah ausgearbeitet und umgesetzt werden“, erklärte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, anlässlich des Hitzeaktionstages in Düsseldorf. MST Bisher ist Deutschland nur unzureichend auf längere und intensivere Hitzeperioden vorbereitet. Foto: Xurzo/istockphoto.com Kurz gemeldet
Magazin 8 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Mit der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft geehrt: Dr. Leon Weintraub, Dr. Claus Vogel und Dr. Cornelia Goesmann mit BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt (v.l.) Foto: Jochen Rolfes Rauchen Schaden für Klima und Gesundheit „Nahrung statt Tabak“ lautete das Motto, unter dem am Weltnichtrauchertag, am 31. Mai, die Bundesärztekammer (BÄK) und andere gesundheitspolitische Akteure über die negativen Folgen des Rauchens für die Umwelt, das Klima und die Gesundheit informierten. So beansprucht der Anbau von Tabakpflanzen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation weltweit knapp vier Millionen Hektar Land. Diese Fläche könne folglich nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet werden. Jährlich werde eine Fläche von 200.000 Hektar Land für den Tabakanbau und die Trocknung von Tabak gerodet. Zudem sei der Wasserverbrauch für die Tabakproduktion enorm: Insgesamt 3,7 Millionen Liter seien notwendig, um eine Tonne rauchfertigen Tabak zu produzieren. Der Konsum von Tabakprodukten sei zudem nach wie vor der größte vermeidbare Risikofaktor für Krebs, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, erklärte die BÄK. Rund 127.000 Menschen würden allein in Deutschland jährlich an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben. Zuletzt ist der Tabakkonsum in NordrheinWestfalen nach Angaben der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) deutlich gestiegen. So wurden laut Hochrechnungen der KKH im Jahr 2021 rund 1,3 Millionen Menschen in NRW wegen Tabakabhängigkeit, Entzugserscheinungen, eines akuten Tabakrauschs oder psychischer Probleme infolge ihres Tabakkonsums medizinisch behandelt. Im Vergleich zum Jahr 2011 sei dies ein Anstieg von 62 Prozent. MST Paracelsus-Medaille Preisverleihung beim Deutschen Ärztetag Mit der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft, der Paracelsus-Medaille, wurden am 16. Mai im Rahmen der Eröffnungsfeier zum 127. Deutschen Ärztetag Dr. Leon Weintraub, Dr. Cornelia Goesmann und Dr. Claus Vogel geehrt. Leon Weintraub, 1926 im polnischen Lodz geboren, durchstand als Kind und Jugendlicher die Vertreibung ins jüdische Ghetto, Zwangsarbeit für die nationalsozialistischen Besatzer, Konzentrationslager und Todesmärsche am Kriegsende. Später arbeitete er als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an einer Warschauer Klinik, bis ihn der neu aufkommende Antisemitismus in Polen 1969 mit seiner Familie zur Emigration nach Schweden zwang. Nach Abschluss der Berufstätigkeit machte er es sich zur Verpflichtung, das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Cornelia Goesmann, 1952 in Hannover geboren, wurde die Paracelsus-Medaille insbesondere für ihr Engagement in der ärztlichen Selbstverwaltung für die Belange der Allgemeinmedizin, der Medizinischen Fachangestellten und ärztlichen Psychotherapie verliehen. Auch als stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (1998 – 2006) und im Vorstand der Bundesärztekammer (2003 – 2011) engagierte sie sich für die berufliche Gleichstellung von Ärztinnen und Medizinstudentinnen sowie vor Ort in Hannover in einem Projekt zur medizinischen Versorgung obdachloser Menschen. Mit Claus Vogel, 1945 in Leipzig geboren, wurde ein zu DDR-Zeiten niedergelassener Arzt für seine Verdienste bei der Angleichung der Gesundheitssysteme nach der Wende geehrt. 1990 war er Gründungsmitglied des Verbands niedergelassener Ärzte Sachsens. Als langjähriges Mitglied der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und der Sächsischen Landesärztekammer hatte er stets die Interessen der Gesamtärzteschaft im Blick. tg Elektronische Infobriefe Newsletter der Ärztekammer Nordrhein Regelmäßig am Anfang eines Monats erhält jedes Kammermitglied, das eine E-Mail- Adresse bei der Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) hinterlegt hat, den elektronischen Newsletter „Kammer kompakt“. Der Newsletter ist ein zusätzlicher Service der Kammer für ihre Mitglieder, der nicht extra abonniert werden muss. „Kammer kompakt“ informiert kurz und prägnant über aktuelle berufs- und gesundheitspolitische Themen sowie über Veranstaltungen der ÄkNo und macht auf aktuelle Meldungen und Artikel im Rheinischen Ärzteblatt aufmerksam. Neben diesem Newsletter bietet die ÄkNo den E-Mail-Service „Amtliche Bekanntmachungen“ an. Dieser wird verschickt, sobald die ÄkNo eine neue Amtliche Bekanntmachung veröffentlicht hat. Die Anmeldung ist unter www.aekno.de/bekanntmachungen zu finden. Einen weiteren kostenlosen, fachspezifischen Newsletter bietet die Ärztliche Stelle Radiologie sowie Nuklearmedizin und Strahlentherapie an. Dieser E-Mail-Informationsdienst wird bei Bedarf verschickt. Die Anmeldung erfolgt auch hier über ein Online-Formular unter www.aekno.de/aerzte/qualitaets sicherung/radiologie. Fragen und Anregungen sowie Kritik und Lob zum Internetangebot der Ärztekammer Nordrhein senden Sie bitte an die E-Mail- Adresse onlineredaktion@aekno.de bre
Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 /2023 9 An die systematische Entrechtung und Verfolgung jüdischer Ärztinnen und Ärzte durch die Nationalsozialisten erinnert die Ausstellung „Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen“. Ausgewählte Biographien dokumentieren, wie die Verordnungen und Gesetze der nationalsozialistischen Diktatur Lebensgeschichten zerstörten. Zunehmende Schikanen bis hin zum Approbationsentzug 1938 trieben viele jüdische Ärzte in die Emigration, die Mehrheit fiel dem Holocaust zum Opfer. Die Ärztekammer Nordrhein hat die vor 15 Jahren in München entstandene Ausstellung in Zusammenarbeit mit den Kreisstellen, der Kuratorin Ursula Ebell und dem Initiator Dr. Hansjörg Ebell um neun Porträts jüdischer Ärztinnen und Ärzte aus dem Kammergebiet erweitert. Im Rahmen des 127. Deutschen Ärztetages in Essen eröffnete der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, die so erweiterte Ausstellung vor fast 100 Gästen – darunter Professor Dr. Zion Hagay, Präsident der Israel Medical Association, und deren Generalsekretärin Dr. Leah Wapner. Diese Spurensuche in Nordrhein anlässlich des 85. Jahrestages des Approbationsentzuges knüpfe an vorangehende Initiativen der Ärztekammer zur Erinnerung an die NS-Verbrechen an, betonte Henke in seiner Eröffnungsrede: „Mit der Erweiterung der Ausstellung um neun Portraits möchten wir uns an der Aufarbeitung der Verbrechen an unseren jüdischen Kolleginnen und Kollegen im Nationalsozialismus beteiligen. Mit den Porträts zeichnen wir in Bild und Wort die Lebensgeschichten unserer jüdischen Kolleginnen und Kollegen nach und machen so ihr Leben und Wirken sichtbar gegen das Vergessen.“ usa Tarifverhandlungen Marburger Bund und VKA erzielen Einigung Der Marburger Bund (MB) und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) haben sich Ende Mai in ihrem Tarifstreit geeinigt. Die rund 55.000 Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Kliniken erhalten demnach eine zweistufige lineare Gehaltssteigerung um insgesamt 8,8 Prozent sowie eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichszahlung in einer Gesamthöhe von 2.500 Euro. Die Laufzeit der Vereinbarung beträgt 18 Monate, sodass neue Verhandlungen über den Tarifvertrag bereits ab 1. Juli 2024 wieder aufgenommen werden können, teilte der MB mit. Organspenden Rückläufige Zahlen im Jahr 2022 Im Jahr 2022 war die Zahl der postmortalen Organspender rund 26 Prozent niedriger als im Jahr zuvor. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation führt dies auch auf die Coronavirus-Pandemie zurück, die zu Überlastungen in den Kliniken geführt habe. Auch sei zunächst ein positiver SARS-CoV-2-Befund noch Ausschlusskriterium für eine Organspende gewesen. Aber auch das zunehmende Alter gemeldeter Spender und damit verbundene Kontraindikationen werden als Grund angegeben. Eine von der Barmer-Krankenkasse durchgeführte repräsentative Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2023 die Bereitschaft zur Organspende gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen ist (39 Prozent gegenüber 34 Prozent im Vorjahr). Es gibt deutliche Unterschiede bei der Spendebereitschaft zwischen Männern (33 Prozent) und Frauen (44 Prozent). tg KBV Qualitätsbericht 2021 erschienen Die Qualität der ambulanten medizinischen Versorgung blieb auch im zweiten Jahr der Coronapandemie auf hohem Niveau. Das zeigt der aktuelle Qualitätsbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für das Jahr 2021. Den Niedergelassenen sei es gelungen, trotz pandemiebedingter Kontaktbeschränkungen, besonderer Hygienemaßnahmen und COVID-19-Impfaktion die zahlreichen Qualitätsanforderungen zu erfüllen, so die KBV. www.kbv.de/media/sp/ KBV-Qualitaetsbericht_2022. pdf HK Es sei dem großen Engagement der MBMitglieder zu danken, dass die VKA nun endlich Einigungsbereitschaft gezeigt habe, erklärte die Ärztegewerkschaft. Die Einmalzahlung zu akzeptieren, falle zwar schwer, weil sie zurückliegende Preissteigerungen nur teilweise kompensiere und den Umfang der linearen Gehaltserhöhung schmälere. „In der Gesamtbetrachtung aber halten wir den jetzt gefundenen Kompromiss insbesondere auch wegen der kurzen Laufzeit für vertretbar“, erklärte Christian Twardy, Verhandlungsführer des MB. HK „Fegt alle hinweg“ Ausstellung über verfolgte jüdische Ärztinnen und Ärzte beim Ärztetag Die Wanderausstellung „Fegt alle hinweg“ war bis zum 21. Juni in der Alten Synagoge Essen zu sehen. Die nächste Station ist das Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf, wo sie vom 1. September bis 2. Oktober gezeigt wird. Foto: Andreas Köhring
10 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Magazin – Studium und Berufseinstieg mich nehmen? Definitiv ja, denn nach wie vor schätze ich den Arztberuf in all seinen Facetten sehr, trotz der aktuell teils prekären Lage im Gesundheitssektor. Zwischen drei Monaten Pflegepraktikum, drei Jahren Vorklinik, vier Monaten Famulatur, einem nervenaufreibenden Physikum und zwei Jahren Klinik vergingen fünf ganze Jahre Medizinstudium wie ein Wimpernschlag. Es ist wirklich nicht einfach, diese Zeit in einigen Worten zusammenzufassen. Das erste Mal einen Formalin-fixierten Körper anfassen, herausfinden, dass die tanzenden Augen eines jeden Zugpassagiers beim Blick aus dem Fenster ein Nystagmus sind, lernen, dass im deutschsprachigen Raum etwa jede zehnte Frau an einem Mamma-Karzinom erkrankt. Das Medizinstudium hat mich einiges gelehrt, nicht nur wissenstechnisch, sondern auch, über mich und über meine Grenzen hinaus zu wachsen. Aktuell befinde ich mich im zehnten Semester und damit in der Vorbereitungszeit für den zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung im Oktober. Stichwort Hundert-Tage-Lernplan. Am Ende dieses Lernplans warten drei Tage mit insgesamt 320 Fragen auf mich, die prüfen sollen, ob ich bereit für das Praktische Jahr bin. Trotz der Anspannung und des Stresses freue ich mich bereits jetzt auf das Praktische Jahr im Krankenhaus, in der Hoffnung, dass die Praxis endlich die Theorie überwiegt und das bisher Gelernte hoffentlich – natürlich unter Welpenschutz – angewandt werden kann. Bis dahin heißt es aber erstmal „Auf Wiedersehen Uni!“ Wie erlebt Ihr das Studium der Humanmedizin? Schreibt mir an medizinstudium@aekno.de. Fünf Jahre Medizinstudium liest sich zwar leicht, erlebt sich manchmal aber nicht so einfach. Ich erinnere mich noch wie gestern an den Tag meines Abiballs: Es war ein glühend heißer Sommertag, der einem die Luft zum Atmen raubte. Zusammen mit den roten Luftballons, die wir am Ende meiner Abifeier fliegen ließen, verflogen auch meine Sorgen hinsichtlich meiner Zulassung zum Medizinstudium. Ich hatte es geschafft: Schwarz auf weiß hielt ich mein Abizeugnis in der Hand, den Beweis dafür, dass sich die Mühen der letzten Jahre ausgezahlt hatten. Was soll jetzt noch passieren, dachte ich – auch das Studium würde ich irgendwie bewältigen. Schon wenige Monate später begann ich mit dem Medizinstudium, das einer wilden Achterbahnfahrt glich. Momenten des Erfolges folgten Momente der Verzweiflung: „Wie soll ich das alles jemals bewältigen?“, das habe ich mich insbesondere anfangs nicht nur einmal gefragt, denn das Lernpensum des Studiums war ich so nicht gewohnt. Und doch hat es irgendwie geklappt, wobei man sagen muss, dass rückblickend immer alles einfacher wirkt, als es sich zum entsprechenden Zeitpunkt angefühlt hat. Ich habe mit der Zeit gelernt, mich besser zu organisieren und effektiver zu lernen. Würde ich das Ganze noch einmal auf Deutscher Ärztetag Abgeordnete fordern zügige Reform Als nicht hinnehmbar bezeichneten die Abgeordneten des 127. Deutschen Ärztetags in Essen die Pläne der Politik, die Umsetzungsfrist für die Reform der Approbationsordnung auf 2027 zu verschieben. In einem entsprechenden Beschluss forderten sie zudem, die Bedingungen für Medizinstudierende im Praktischen Jahr (PJ) zu verbessern. Marburger Bund I Lehre gegen Diskriminierung Die Delegierten der 141. Hauptversammlung des Marburger Bundes (MB) haben Mitte Mai in Essen die Medizinischen Fakultäten aufgefordert, rassismuskritische Lehrinhalte ins Medizinstudium aufzunehmen. Damit sollen angehende Ärztinnen und Ärzte bereits während der Ausbildung für eine diskriminierungsfreie Kommunikation sensibilisiert werden. Die spezifischen Aspekte der Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund müssten im Hinblick auf die Symptompräsentation, Diagnostik und Therapie im Lehrplan abgebildet werden, forderten die Delegierten in einem entsprechenden Beschluss. Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund erlebten im Gesundheitswesen regelmäßig Diskriminierung, die zu einer schlechteren medizinischen Versorgung führe. So würden etwa Symptome dieser Patienten oftmals bagatellisiert, so der MB. bre Marburger Bund II Unterstützung beim Auslandsaufenthalt Ob während des Studiums, einer Famulatur oder während des Praktischen Jahrs: Der Marburger Bund (MB) unterstützt Medizinstudierende mit Erfahrungsberichten sowie Tipps und Informationen rund um einen Auslandsaufenthalt. Mitgliedern der Ärztegewerkschaft wird eine kostenlose Auslandskrankenversicherung angeboten, und sie erhalten weitere Unterstützung durch eine persönliche Beratung. Unter dem Stichwort „Ab ins Ausland“ finden sich auf der MB-Homepage häufig gestellte Fragen und Antworten rund um die Planung eines Studiums in einem anderen EULand. Ausgewählte Erfahrungsberichte sind in der kostenlosen Broschüre „Ab ins Ausland – während Studium, Famulatur und PJ“ zusammengefasst. Weitere Informationen unter www. marburger-bund.de/studenten/service. bre „Dazu gehört zwingend, zwischen Krankheitstagen und Fehlzeiten zu differenzieren und eine faire und bundesweit einheitliche Mindestaufwandsentschädigung“ einzuführen. Derzeit seien im PJ 30 Fehltage vorgesehen, ohne dass Abwesenheiten wegen einer Erkrankung gesondert berücksichtigt werden. bre Elif Beyza Saritas Foto: privat Mail aus Düsseldorf
Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Einrichtung einer Körperschaft öffentlichen Rechts IQN RbP-Punkte: beantragt Registrierung beruflich Pflegender Der ältere Mensch Niemanden allein lassen – gemeinsam in die Zukunft Im Haus der Ärzteschaft 18.08.2023 | 13 bis 18 Uhr t Bild: tria-z-modro | fotolia Fortbildungsreihe PROGRAMM Begrüßung Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein Grußwort Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, Universitätsklinikum Düsseldorf Keynote-Rede „Einsamkeit im Alter – ein Überblick“ Prof. Dr. Maike Luhmann, Ruhr-Universität Bochum Impulsvorträge | Foren Bewegung | Dr. med. Michael Fritz, Facharzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin, Viersen Wohnen im Alter | Dr. med. Harald Brauer, Landesverband der Alzheimer-Gesellschaft NordrheinWestfalen, Düsseldorf | Susanne Tyll, Dipl.-Pädagogin und Politologin, LAG Wohnberatung NRW, Krefeld Ernährung | Urs Schaden, Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe und Ernährungsmediziner, Düsseldorf Alterssimulation | Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein Come together | Markt der Möglichkeiten Stadtsportbund Düsseldorf e. V. (SSB) Vernetzungsstelle Seniorenernährung NRW Landesverband der Alzheimergesellschaften NRW e. V. Alzheimergesellschaft Düsseldorf e. V. LAG Wohnberatung und Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung e. V. (BAG) Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e. V. (BAGSO) Kuratorium Deutsche Altershilfe WilhelmineLübke-Stiftung e. V. (KDA) Aktion Vier Pfoten für Sie Musterwohnung AOK Die Teilnahme ist kostenfrei. Anmeldungen zur Veranstaltung sind erforderlich und können online durchgeführt werden unter: www.kvno.de/termine RbP-Punkte: 7 Registrierung beruflich Pflegender CME-Punkte: 7 Anrechnung nur bei vollständiger Teilnahme
12 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Thema – 127. Deutscher Ärztetag Gar so eindeutig wurde die nunmehr notwendig erscheinende Verknüpfung von Freiheit und gesundheitspolitischer Verantwortung nicht immer verstanden. So lehnte bei Gründung des Gemeinsamen Bundesausschusses vor fast 20 Jahren die Bundesärztekammer (BÄK) unter der Präsidentschaft von Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe noch eine Beteiligung an dem neuen Gremium ab. Damals schien der Gegensatz zwischen freier Ausübung der ärztlichen Profession und der Mitgliedschaft in dem von Hoppe zunächst als „Rationierungsverwalter“ apostrophierten G-BA unüberbrückbar. Die Sorge war groß vor einer mit ärztlicher Freiberuflichkeit unvereinbaren Zuteilungsmedizin. Allerdings brach sich in der Folge allmählich die Überzeugung Bahn, dass eine Beteiligung der BÄK am zentralen Selbstverwaltungsgremium im deutschen Gesundheitswesen unverzichtbar sei. Bereits der Deutsche Ärztetag 2011 forderte in einer Kehrtwende die vollberechtigte Beteiligung am G-BA. Mittlerweile hat sich der ehemals wahrgenommene Widerspruch zur Freiberuflichkeit aufgelöst. Grundsätzlich sei die gesundheitspolitische Einbindung der Ärzteschaft „die Voraussetzung für eine medizinisch-wissenschaftliche, qualitativ hochwertige, auf ethischen Normen und Werten beruhende, verantwortliche und patientenorientierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung“, heißt es nun auch in der Essener Resolution. Diese Einbindung wird in einem weiteren Beschluss des Essener Ärztetages präzisiert: Danach sollen alle Landesärztekammern sowohl in den Krankenhausplanungsausschüssen als auch in den Gremien zur sektorenübergreifenden Versorgung mit Sitz und Stimme beteiligt werden, die Bundesärztekammer soll im G-BA und seinen Unterausschüssen stimmberechtigt einbezogen werden. Mit Sitz und Stimme im G-BA Die Forderung nach Sitz und Stimmrecht im G-BA stieß allerdings bei den dort mit Stimmrecht vertretenen Organisationen schon in der Vergangenheit auf wenig Begeisterung. Aktuell lässt denn auch der GKVSpitzenverband verlauten: „Die ambulant wie auch die stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte werden durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung im G-BA sehr gut vertreten“ – eine Sichtweise, die sich sicherlich nur wenige der stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte zu eigen machen werden. Und wenig überraschend kommt aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Auskunft, dass „eine solche Gesetzesänderung gegenwärtig nicht in Aussicht gestellt werden kann“. Das aktuell geltende Beteiligungsrecht ermögliche der Bundesärztekammer, fachliche und berufspolitische Positionen unmittelbar in den Beratungs- und Entscheidungsprozess des G-BA einzubringen, heißt es dort. Dieses Beteiligungsrecht der BÄK gehe sogar über das Stellungnahmerecht anderer Verbände und Berufsgruppen Foto: Khunatorn/stock.adobe.com Freiheit und Verantwortung Wer die Freiheit des ärztlichen Berufs erhalten will, muss sich auch um die Rahmenbedingungen kümmern, unter denen das ärztliche Handeln erfolgt. So lautet komprimiert eine der Kernbotschaften des 127. Deutschen Ärztetages Mitte Mai in Essen. „Die Ärzteschaft fordert eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren“, heißt es in der „Essener Resolution für Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“, die auf breite Zustimmung bei den Ärztetags-Delegierten traf – genauso wie die Forderung nach stimmberechtigter Beteiligung am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). von Thomas Gerst
Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 /2023 13 Thema – 127. Deutscher Ärztetag Matheis, betont hatte. Ärztinnen und Ärzte dürften gemäß Berufsordnung „keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können“. Sie müssten, betonte Matheis, die Freiheit haben, auf die Einzigartigkeit der Patientinnen und Patienten einzugehen – frei von Weisung anderer und „egal in welchem Setting man tätig ist“. Grenzen der Kommerzialisierung In diesem Zusammenhang zeigte sich Bundesverfassungsrichter Peter Müller irritiert über eine Äußerung des Bundesgesundheitsministers auf der Eröffnungsveranstaltung des 127. Deutschen Ärztevon Leistungserbringern hinaus. Das Verfahren hat sich aus Sicht des BMG bewährt. Eine etwaige Erweiterung des G-BA-Beschlussgremiums um einen festen Sitz der Heilberufekammern mit Stimmrecht würde nicht nur im Gegensatz zum bestehenden Selbstverwaltungssystem des SGB V stehen, sondern könnte eine Entscheidungsfindung durch die zunehmende Zahl der beratungs- beziehungsweise stimmberechtigten Mitglieder weiter erschweren oder unmöglich machen, warnt das Ministerium. Unterstützung für die gesundheitspolitischen Ansprüche der Bundesärztekammer gab es hingegen beim 127. Deutschen Ärztetag von Peter Müller, Richter am Bundesverfassungsgericht und ehemaliger Ministerpräsident des Saarlands; als Gastredner sprach er den Ärztetags-Delegierten zum Tagesordnungspunkt „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ aus dem Herzen. „Wenn Sie sich ansehen, wie tiefgreifend die Entscheidungen des G-BA in Ihr Handeln eingreifen“, wandte er sich an die Delegierten, „muss es doch selbstverständlich sein, dass diejenigen, die davon betroffen sind, mit Sitz und Stimme in dem Gremium vertreten sind.“ Der Gesetzgeber sei grundsätzlich klug beraten, wenn er bei den von ihm zu treffenden Entscheidungen den Sachverstand von denen, die es betrifft, einbeziehe. Freiberuflichkeit unter Druck Als Richter am Bundesverfassungsgericht wies Müller pflichtschuldig darauf hin, dass der Begriff der Freiberuflichkeit im Grundgesetz nicht zu finden sei. Aber dort gebe es Leitplanken, die eine Beurteilung damit einhergehender Sachverhalte ermöglichten. Müller sieht die Freiberuflichkeit aktuell in mehrfacher Hinsicht unter Druck, als da seien Kommerzialisierung, Bürokratie und nicht zuletzt eine deutlich wahrnehmbare EU-Strategie, die auf die Gleichstellung freiberuflicher und sonstiger gewerblicher Tätigkeit abziele. Für ihn selbst seien jedoch Freiberuflichkeit und die damit einhergehende Selbstverwaltung eine wertvolle und dringend erforderliche Ressource. Müller verwies auf die Definition des Bundesverbands der Freien Berufe: „Angehörige Freier Berufe erbringen auf Grund besonderer beruflicher Qualifikation persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig geistig-ideelle Leistungen im gemeinsamen Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit. Ihre Berufsausübung unterliegt in der Regel spezifischen berufsrechtlichen Bindungen nach Maßgabe der staatlichen Gesetzgebung oder des von der jeweiligen Berufsvertretung autonom gesetzten Rechts, welches die Professionalität, Qualität und das zum Auftraggeber bestehende Vertrauensverhältnis gewährleistet und fortentwickelt.“ Diese Kriterien gelten Müller zufolge in gleichem Maße für selbstständig und angestellt tätige Ärztinnen und Ärzte – ein Sachverhalt, den zuvor auf dem Deutschen Ärztetag bereits der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Dr. Günther Peter Müller, Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts: „Wir müssen ernst machen mit der immer wieder genannten Entbürokratisierung.“ Foto: Jürgen Gebhardt tages. Karl Lauterbach hatte eine Reform des Medizinstudiums angekündigt, nach der künftig ein Teil des Praktischen Jahres verpflichtend in einer Arztpraxis abgeleistet werden soll. „Dies zeige“, hatte Lauterbach betont, „wie wichtig uns die Freiberuflichkeit ist“. Nicht allein bei Müller ließ das Zweifel aufkommen am richtigen Verständnis des Gesundheitsministers von § 1 der Berufsordnung der Ärztinnen und Ärzte: „Der ärztliche Beruf ist … seiner Natur nach ein freier Beruf“. Allerdings scheint der Gesundheitsminister mit diesem Missverständnis innerhalb der ärztlichen Profession nicht allein zu sein. „Wir müssen deut- licher kommunizieren, was der Unterschied zwischen Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit ist“, merkte selbstkritisch der Präsident der Ärztekammer Berlin, Dr. Peter Bobbert, bei der späteren Diskussion an.
14 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Thema – 127. Deutscher Ärztetag Dies ändere jedoch nichts an dem Sachverhalt, dass mit dem Begriff der ärztlichen Freiberuflichkeit ganz zentral die Therapiefreiheit verbunden sei. Diese gelte es zu bewahren, betonte Müller, auch wenn sie nicht schrankenlos sei. Eine Einschränkung gebe es durch das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten. Der oder die Einzelne habe das Recht, frei und selbstbestimmt auch wider ärztliche Vernunft zu handeln – bis hin zum selbstbestimmten Suizid. Umgekehrt dürfe aber auch keine Ärztin und kein Arzt veranlasst werden, eine Therapie durchzuführen, die sie oder er für falsch hält, oder zu Suizidbeihilfe oder Abtreibung genötigt werden. Mit Blick darauf stimmten die Delegierten einem Antrag aus der Ärztekammer Berlin zu, der eine Neuformulierung zum ärztlich assistierten Suizid in der Musterberufsordnung (MBO) vorschlägt. Demnach solle die Bundesärztekammer prüfen, ob neu als § 1 Abs. 3 MBO angefügt werden kann: „Die Mitwirkung bei der Selbsttötung (assistierter Suizid) ist grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe. Sie ist bei schwerer oder unerträglicher Erkrankung nach wohlabgewogener Gewissensentscheidung im Einzelfall zulässig.“ Damit werde in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 26. Februar 2020 klargestellt, dass die indikationslose Suizidassistenz grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe sei, Ärztinnen und Ärzte nicht zur Suizidassistenz verpflichtet werden dürften, gleichwohl aber im Einzelfall bei Patienten mit schwerer Erkrankung und sehr hohem Leidensdruck auf Wunsch tödlich wirksame Medikamente zur Verfügung stellen könnten. Undurchdringliches Regelungsdickicht Als weitere Einschränkungen der ärztlichen Therapiefreiheit wies Bundesverfassungsrichter Müller auf bestehende staatliche Regulierungen hin. Und hier wünsche er sich einen Gesetzgeber, der nicht durch kleinteilige Vorgaben einen bürokratischen Mehraufwand von mehreren Stunden täglich produziere, der letztlich zulasten einer guten Arzt-Patienten-Beziehung gehe. „Im Grunde ist es der Patient, der dadurch Schaden davonträgt“, sagte Müller. Das fast schon undurchdringliche Regelungsdickicht im Gesundheitswesen und der damit einhergehende Kontrollgedanke widersprächen der Idee des freiheitlichen Grundgesetzes. Dabei dürfe Freiheit nicht missverstanden werden als das Recht, zu tun und zu lassen, was man will, präzisierte Müller. Sondern es gehe insbesondere auch um die Freiheit, seine Bindungen selbst zu wählen. Hier wäre der Gesetzgeber nach dem Subsidiaritätsprinzip gut beraten, der ärztlichen Selbstverwaltung mehr Gelegenheit zur Schaffung von Räumen zu geben, in denen sich freiheitliches Handeln entwickeln kann. „Wir müssen ernst machen mit der immer wieder genannten Entbürokratisierung. Wenn wir ein nach vorne denkendes Gemeinwesen sein wollen, ist eine Umkehr im Interesse der Patienten nötig“, schloss Müller unter dem stürmischen Applaus der ÄrztetagsDelegierten seine Ausführungen. Vielen Ärztinnen und Ärzten sei dies nicht klar. Dabei stehe die Freiberuflichkeit aktuell unter großem Druck; deshalb sei es extrem wichtig, auch innerhalb der eigenen Profession auf die Wesensmerkmale ärztlicher Freiberuflichkeit hinzuweisen. Bundesverfassungsrichter Müller hielt – wenn auch wenige – mahnende Worte für die Ärztetags-Delegierten bereit. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Rechtsprechung stets die Bedeutung der Freiberuflichkeit anerkannt, führte Müller aus. Es gelte jedoch, Grenzen der Kommerzialisierung zu beachten; freiberufliche Tätigkeit sei nicht der geeignete Ort für die Erprobung marktradikaler Ansätze. „Wer permanent nach Freiheit im wirtschaftlichen Handeln schreit, sollte sich nicht wundern, wenn Stimmen laut werden, die die Einbeziehung in die Gewerbesteuer fordern.“ „Ärztinnen und Ärzte üben unabhängig von Stellung und Ort der ärztlichen Tätigkeit einen freien Beruf aus. … Ärztinnen und Ärzte richten ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten aus, unabhängig von kommerziellen Erwartungen Dritter. Die individuelle Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfordert Rahmenbedingungen, die eine freie Berufsausübung sicherstellen. Die Freiheit, für das Wohl der Patientinnen und Patienten zu handeln, ist das Fundament der besonderen Vertrauensbeziehung der Patientinnen und Patienten zu ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten. … Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession sind untrennbar mit der ärztlichen Selbstverwaltung als Organisationsprinzip verbunden. … Die Ärztekammern stehen für das Prinzip der professionellen Selbstkontrolle, für die Einhaltung der ärztlichen Standards und ethischen Grundsätze und damit für die Qualität einer patientenzentrierten medizinischen Versorgung. … Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen trotz steigendem Behandlungsbedarf, eine zunehmende Kommerzialisierung in der Medizin, staatsdirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung sowie eine überbordende Kontrollbürokratie führen derzeit jedoch zu enormer Arbeitsverdichtung und vielfach auch Überlastung der Berufe im Gesundheitswesen. Eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau für eine sich im demografischen Wandel befindende Gesellschaft ist unter diesen Voraussetzungen auf Dauer nicht zu gewährleisten. … Die Ärzteschaft fordert eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren. Diese Einbindung ist eine grundlegende Voraussetzung für eine medizinisch- wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige, auf ethischen Normen und Werten beruhende, verantwortliche und patientenzentrierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land. Zentrale Punkte der Essener Resolution (Langfassung unter www.baek.de/essenerresolution)
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