22 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 ihre Kinder schon in der Grundschule mit dem Thema konfrontiert werden. Das treffe insbesondere auf Familien zu, die aus einem kulturellen Umfeld mit sehr viel strengeren Moralvorstellungen stammen. „Mir geht es dann darum klarzustellen, dass Sexualerziehung samt der damit verbundenen Werte und Normen Elternaufgabe ist, wir den Eltern aber gerne dabei helfen, Wissen zu vermitteln“, erklärt Mittag. Es gehe darum, dafür zu sorgen, dass die Mädchen und Jungen gesund bleiben. „Die Kinder haben Fragen rund um Pubertät und Sexualität“, sagt Mittag. „Und die Antworten auf diese Fragen sollten sie nicht googeln müssen, sondern mit Eltern, Lehrern und mit mir klären können.“ Bisher sei es ihr noch immer gelungen, die Eltern von diesem Ansatz zu überzeugen. Es gibt hier keine Projektitis Mittag ist vom Konzept von Gesund macht Schule überzeugt: „Die Patenärztinnen und -ärzte können die Schule dort unterstützen, wo sie es braucht – egal, ob es um die Verdauung im Rahmen der gesunden Ernährung geht oder um den Arztbesuch.“ Ein weiterer Pluspunkt neben der thematischen Bandbreite ist für sie die Konstanz des Programms, das im Jahr 2001 startete. „Niemand muss hier jedes Jahr von Neuem Projektanträge schreiben und sich jedes Jahr mit einer neuen Patenärztin anfreunden“, meint Mittag. „Ich bin ein fester Bestandteil im Alltag meiner Schulen. Das hat für mich einen hohen Wert und vor allem macht es Spaß.“ Es gehe bei der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern ja nicht nur um die Sachbotschaften, die könne man auch im Buch nachlesen. Es gehe auch darum, behutsam auf individuelle Bedürfnisse und Fragen einzugehen. „Das kann die Mama betreffen, die schwanger ist oder den Papa, der raucht“, erläutert Mittag. Was aber kann Gesundheitsbildung in der Schule leisten und wo sind die Grenzen? „Die Grenzen sind sicherlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“, sagt die Patenärztin. „Man kann in der Schule einen Rahmen schaffen und zum Beispiel Bewegungsfreude oder eine gesunde Pausenernährung fördern.“ Damit lege man ein Fundament. Man könne den Respekt gegenüber dem eigenen Körper stärken, indem man zum Beispiel zeige, wie erstaunlich und zuverlässig die Atmung funktioniert und was – auf der anderen Seite – das Rauchen in der Lunge anrichtet. Natürlich lebten Kinder, in deren Elternhaus nicht auf eine gesunde Ernährung geachtet oder geraucht werde, in zwei Welten. „Das Kind lernt aber durch unser Angebot wenigstens nicht nur eine, sondern beide Welten kennen“, so Mittag. Zudem wachse bei den Kindern am Ende der Grundschulzeit auch die Eigenkompetenz. „Da kann man dann schon entscheiden, wie oft man sich wäscht und vielleicht auch um ein eigenes Handtuch bitten.“ Ohnehin gehe es bei der Gesundheitserziehung immer auch um Selbstermächtigung. Mittag macht das am Beispiel „Arztbesuch“ fest: Ihr sei es wichtig, dass sich die Kinder nicht nur passiv erlebten. „Sie sollen Spezial „Hygiene“ zu tun hat – dem Thema dieser Unterrichtsstunde. Pia zieht den Läusekamm. Mittag fragt: „Wer kann Läuse kriegen? Muss man sich dafür schämen? Was muss man tun, wenn der Kopf juckt und man glaubt, welche zu haben?“ Wieder schnellen die Arme in die Höhe, und die Ärztin erarbeitet mit den Kindern die richtigen Antworten. Mittag, die seit Beginn ihrer ärztlichen Tätigkeit in der Gesundheitsförderung arbeitet, engagiert sich von Anfang an im Programm Gesund macht Schule (siehe Kasten). Die Edith-Stein-Schule in Krefeld ist eine von 40 Grundschulen, an denen sie im Rahmen des Programms einmal im Schuljahr den Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Klassen Gesundheitswissen zu Themen wie zum Beispiel Arztbesuch, Verdauung, Sexualerziehung oder eben Hygiene vermittelt. „Bei Kindern kann man noch dazu beitragen, gute Gewohnheiten auszubilden oder das zumindest anzuregen, indem man Wissen und Wertschätzung für den eigenen Körper transportiert“, sagt sie im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Das Interesse von Eltern variiert Gut findet sie, dass bei Gesund macht Schule auch die Eltern einbezogen werden, denn es gehe bei der Gesundheitserziehung ja immer auch um die Ausbildung von Verhaltensweisen. Allerdings ist das Interesse der Eltern je nach Thema unterschiedlich ausgeprägt. Allgemeine Gesundheitsfragen wie gesunde Ernährung oder Bewegung stoßen auf deutlich weniger Resonanz als die noch immer mit einem gewissen Schamgefühl behafte Sexualerziehung, die Mittag in den vierten Klassen anbietet. Sie freue sich immer, wenn am Elternabend auch die Eltern teilnehmen, die skeptisch sind und nicht wollen, dass Hygieneartikel Toilettenpapier: Patenärztin Dr. Marion Mittag erklärt am Modell, wie richtiges Abputzen Infektionen vermeiden kann. Foto: Till Erdmenger/Businessfotos
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