32 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 138 nommen wurde, die Verklebung des Pilotballons mittels Insufflation von Luft bei in situ belassenem Endotrachealtubus zu lösen. Stattdessen wäre es geboten gewesen, den defekten Tubus umgehend zu entfernen und durch einen funktionstüchtigen Tubus zu ersetzen. Es ist nicht auszuschließen, dass die unkontrollierte Insufflation von Luft zu einer Überblähung des Cuffs und damit zu einer Dehnungsruptur der Trachea geführt hat. Eine Überprüfung der Funktion des Blockierungssystems durfte nur „in vitro“, das heißt nach Entfernen des defekten Tubus aus der Trachea erfolgen. Aufgrund der festgestellten Behandlungsfehler sind den an diesem Fall beteiligten Anästhesisten die Folgen der iatrogenen Trachealverletzung haftungsrechtlich anzulasten. Zum Glück für die Patientin handelten die Anästhesisten nach Auftreten des Haut- und Weichteilemphysems zeitnah, umsichtig und folgerichtig, sodass die Läsion umgehend operativ saniert werden konnte. Auch durch die sofortige prophylaktische Antibiotikaverabreichung konnte der Eintritt einer schwerwiegenden Mediastinitis verhindert werden. Professor Dr. Ludwig Brandt ist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied, Doris Tritschler ist stellvertretende Vorsitzende, Dr. med. Beate Weber war bis Juni 2023 die für die Dokumentation und Auswertung der Begutachtungen zuständige Referentin der Gutachterkommission Nordrhein. Literatur [1] Larsen R. Anästhesie. 11.Auflage. Urban Fischer, München 2018: 419-420 [2] DGAI/BDA: Entschließungen, Empfehlungen, Vereinbarungen. 5. Auflage; Aktiv Druck & Verlag GmbH 2011: 507-508 sicherheitsbezogenen Informationen zu beachten.“ Die Gutachterkommission muss bei ihrer Bewertung des Falles nach der vorliegenden Sachverhaltsschilderung davon ausgehen, dass eine Funktionsprüfung des Endotrachealtubus, wozu auch die Überprüfung des Blockierungssystems, bestehend aus Cuff und Pilotballon, zählt, laut Herstellerempfehlung nicht nur in diesem Fall, sondern im Krankenhaus des belasteten Anästhesisten nicht (mehr) durchgeführt wird und auch in diesem Fall unterlassen wurde. Da der Hersteller des Endotrachealtubus im Anästhesieprotokoll nicht genannt wird, kann diese Angabe nicht überprüft werden; es erscheint jedoch höchst unwahrscheinlich und würde allen anästhesiologischen Gepflogenheiten und selbstverständlich auch der „Medical Device Regulation“ widersprechen, wenn ein Hersteller eines Endotrachealtubus eine solche Empfehlung aussprechen würde. Im gleichen Sinn stellt Larsen [1] fest: „Tubus und Laryngoskop bedürfen vor der Intubation immer einer besonders sorgfältigen Überprüfung: Der Cuff wird geblockt und auf Dichtigkeit überprüft. Der Kontrollballon (Pilotballon) muss sich hierbei ebenfalls füllen.“ Wäre der Endotrachealtubus vor der Intubation überprüft worden, wäre die fehlerhafte Funktion des Blockierungssystems aufgefallen und ein funktionstüchtiger Endotrachealtubus eingesetzt worden. Das Unterlassen der Überprüfung wird von der Gutachterkommission als grober Behandlungsfehler bewertet. Weiterhin wird als grob fehlerhaft bewertet, dass nach Feststellung des Defekts im Blockierungssystem der Versuch unterAuflage der Vorschriftensammlung zum europäischen Medizinprodukterecht des TÜV Rheinland 2020 heißt es unter dem Stichwort „Anwendungsfehler“ (Seite 598): „Anwendungsfehler sind Fehler, die schwerpunktmäßig durch den Anwender des Medizinprodukts verursacht werden. Zu Anwenderfehlern zählt beispielsweise das Anwenden des Medizinprodukts ohne Durchführung des vom Hersteller vorgeschriebenen Funktionstests.“ In der fünften Auflage ihrer „Entschließungen – Empfehlungen – Vereinbarungen“ stellen die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (GAI) und der Berufsverband deutscher Anästhesisten (BDA) zu Anwenderfehlern unter anderem fest [2]: „Anwender ist derjenige, der das Medizinprodukt tatsächlich in Betrieb nimmt und bedient. Der Anwender hat bei der Bedienung oder dem Einsatz eines Medizinprodukts dafür zu sorgen, dass keine Gefahren für den Patienten, Mitarbeiter und Dritte entstehen. … Das Medizinproduktegesetz verbietet, Medizinprodukte anzuwenden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass das Medizinprodukt die Sicherheit und die Gesundheit der Patienten, der Anwender oder Dritter gefährdet. Ein Medizinprodukt, dessen Funktionsfähigkeit oder ordnungsgemäßer Zustand nicht gewährleistet ist, muss unverzüglich vom Anwender außer Betrieb genommen werden. … Der Anwender hat sich vor Anwendung eines Medizinproduktes (zum Beispiel Inbetriebnahme eines medizinischen Gerätes) von der Funktionsfähigkeit und dem ordnungsgemäßen Zustand zu überzeugen. Er hat die Angaben über die Funktionsprüfung in der Gebrauchsanweisung und die beigefügten 100 Kilometer Fußweg für ein medikament. das geht zu weit. Jede Spende hilft: www.medeor.de Die Notapotheke der Welt.
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