48 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2023 Kulturspiegel Oberhausener Kurzfilmtage zeichnen ukrainischen Filmemacher aus. von Rainer M. Holzborn Tschernobyl: ein Name, ein Ort, der uns seit dem 26. April 1986 begleitet. Tschernobyl: ein Atomkraftwerk, das an diesem Tag in die Luft flog, die schlimmsten Befürchtungen wahr werden ließ und Synonym für eine Umweltkatastrophe wurde. Tschernobyl: ein Ort, der politische Umwälzungen bewirkte und der am 24. Februar 2022 vom russischen Militär überrannt wurde. Kein Wunder, dass „Chornobyl 22“ unbestrittener Sieger der 69. Oberhausener Kurzfilmtage 2023 im internationalen Wettbewerb wurde. Wer konnte sich in diesen Tagen, in diesem Kontext einem solchen Film, einem solchen Thema entziehen? Natürlich nicht die Jury des Festivals, und so ging der „Große Preis der Stadt Oberhausen“, der mit 8.000 Euro dotiert ist, an den ukrainischen Regisseur Oleksiy Radynski. „Chornobyl 22“ ist ein politischer Film. Da mag der Betrachter kurz innehalten. Soll nicht Film, soll nicht Kino unterhalten, Spaß machen, Freude bereiten? „Mach Dir ein paar schöne Stunden, geh‘ ins Kino“ war ein Werbespruch der Filmtheater in den 1950er-Jahren. Doch den politischen Film gibt es seit Beginn der Filmgeschichte. Sergei Eisenstein drehte 1925 mit „Panzerkreuzer Potemkin“ einen Propaganda- und Revolutionsfilm in der jungen Sowjetunion, der Maßstäbe setzte auch und weil er noch ein Stummfilm war. Der deutsche Regisseur Veit Harlan bekam 1943 den Auftrag, einen Durchhaltefilm zu drehen. Er verfügte für „Kolberg“ über fast unbegrenzte Mittel des Propaganda-Ministeriums. In den 1960er-Jahren wurden die „Westdeutschen Kurzfilmtage“ politisch, so politisch, dass die damalige konservative Bundesregierung lieber das „Internationale Filmfestival in Mannheim“ fördern und aufwerten ließ. Doch das „Oberhausener Manifest“ von 1962, unterschrieben von vielen Filmemachern, die später zu Ruhm und Ehren kamen, wandte sich gegen den kommerziellen Unterhaltungsfilm. Die Veranstalter der Kurzfilmtage in Oberhausen stehen in dieser TradiSiegerfilm zeigt verbotenes Gebiet tion. Sie sehen sich auch als Bewahrer des politischen Kurzfilms. So wundert es nicht, dass früher Filme von jenseits des „Eisernen Vorhangs“ gezeigt wurden, und heute nicht selten die Arbeiten von Filmschaffenden aus kulturellen Minderheitsgruppen in Südamerika, Afrika, Arabien oder Asien zu sehen sind und Beachtung finden. Doch zurück zu „Chornobyl 22“. Heimlich gefilmte Handy-Aufnahmen zeigen den Ein- und Durchmarsch russischer Truppen im Gebiet Tschernobyl, das aufgrund seiner radioaktiven Verseuchung Sperrgebiet ist fragen“ zeigt das Fällen eines Obstbaumes, den vor 50 Jahren der verstorbene und übergriffige Vater gepflanzt hat. Die Fällung beschert nicht nur dem Garten Licht und Luft. Nicht unerwähnt bleiben darf der Internationale Kinder- und Jugendfilmwettbewerb. Er zeigt jedes Jahr bemerkenswerte Produktionen, die von Oberhausener Schülerinnen und Schülern bewertet werden. Ebenfalls etabliert hat sich der MuVi-Wettbewerb. Er ist der Nische „Musik-Video“ gewidmet. Einbezogen ist dabei als Jury das Video-Publikum im Internet. In diesem Jahr fanden die Kurzfilmtage wieder im gewohnten Rahmen in Präsenz im „Lichtburg-Filmtheater“ und im Kulturzentrum „Altenberg“ statt. Das Festival präsenDer Film „Chornobyl 22“ von Oleksiy Radynski gewann den „Großer Preis der Stadt Oberhausen“ bei den diesjährigen Kurzfilmtagen. Foto: Oleksiy Radynski und bleiben wird. Diesen Aufnahmen stellt der Autor Interviews mit Anwohnern und Angestellten des Kraftwerks gegenüber, die sich fragen, ob die russischen Soldaten überhaupt wussten, dass sie eine „Todeszone“ besetzen. Dieser Film ist eine authentische Dokumentation einer eigentlich irrealen Wirklichkeit. „Der Film ist ein wichtiges Werk für die Gegenwart, aber auch für künftige Generationen“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Der Hauptpreis, dotiert mit 4.000 Euro, ging an Gretel Marín Palacio, eine kubanische Filmemacherin, die eine Familie beobachtete und im Kontext einer schwierigen Umgebung warmherzig die ElternKind-Beziehung schildert. Auch eine Familiengeschichte, aber ganz anders, erzählt die Gewinnerin des NRW-Wettbewerbes Silke Schönfeld. „Ich darf sie immer alles tierte 500 Filme von Künstlern aus 63 Ländern, gezeigt in 126 Vorführungen. Sie machen das besondere Flair der Tage in Oberhausen aus. Mehr als 800 Fachbesucher, der Austausch mit den Akteuren, die abendliche Nachlese im „Festival-Space“ sind durch ein Online-Festival nicht zu ersetzen. Auch wenn man in diesem Zusammenhang sehr oft den Begriff „Film“ durch „Datenträger“ ersetzen muss. Es kommt auf den Inhalt an, der sich im großen, intimen, dunklen Raum zweidimensional realisiert. In Oberhausen oftmals weit entfernt von der Traumfabrik. Doch immer wieder neu und interessant. Die Preisträger finden Sie auf www. kurzfilmtage.de. Dr. Rainer M. Holzborn ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Vorsitzender der Kreisstelle Duisburg der Ärztekammer Nordrhein.
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