Rheinisches Ärzteblatt 7/2024

Thema 14 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2024 versorgung übernehmen und, wenn nötig, die Weiterbehandlung beim Facharzt oder im Krankenhaus koordinieren. Der direkte Zugang zum Gynäkologen und zum Augenarzt solle erhalten bleiben. Das Sozialgesetzbuch V (§ 73b) ermögliche schon heute eine hausarztzentrierte Versorgung, die Koordination und Integration der Behandlung über Fachgruppen und Sektoren hinweg fördere. „Dies hat sich bewährt und ist weiter auszubauen“, heißt es im Beschluss des Ärztetages. Dieses Urteil unterfütterte der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Professor Josef Hecken, mit Zahlen. Die jüngste Evaluation der HzV in Baden-Württemberg von 2020 zeige ermutigende Ergebnisse, sagte Hecken. So nahm zwar die Zahl der Hausarztkontakte um gut 22 Prozent und die der koordinierten Facharztkontakte um 56 Prozent zu. Die unkoordinierten Facharztkontakte gingen dagegen um 45 Prozent zurück. Die Zahl der vermeidbaren Krankenhausaufnahmen sank um knapp vier Prozent. Die Medikamentenausgaben im ambulanten Bereich verringerten sich um knapp sechs Prozent. „Wir brauchen mehr Patientensteuerung“, forderte Hecken und bezog sich dabei auch auf die Kostenbelastung der Krankenkassen. „Wir geben in Deutschland 12,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, knapp 500 Milliarden Euro jährlich, für Gesundheitsleistungen aus“, so der G-BA-Vorsitzende. Mit steigenden Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt sei angesichts der aktuellen Haushaltslage nicht zu rechnen. „Da ist nicht mehr viel Luft nach oben.“ Eine primärärztliche Steuerung könne hier Zeit und Ressourcen sparen. Eine bessere Koordination sei im Übrigen auch beim Zugang zur Notfallversorgung erforderlich. Gesundheitskompetenz fördern Diese Forderung findet sich ebenfalls im Beschluss des Ärztetages. Entscheidend für die Steuerung des Zugangs in die Notfallversorgung ist nach Ansicht der Delegierten die bundesweite Einrichtung gemeinsamer Leitstellen von ärztlichem Bereitschaftsdienst (116 117) und Rettungsdienst (112). Dort solle eine standardisierte medizinische Ersteinschätzung stattfinden, die je nach medizinischer Dringlichkeit die Patienten an die nächstgelegene Arztpraxis, während der sprechstundenfreien Zeiten an den Bereitschaftsdienst oder direkt in die Notaufnahme des Krankenhauses verweist. Nicht zuletzt müssten Anreize für Ärzte und Patienten geschaffen werden, sich an vorgegebene Versorgungswege zu halten, forderten die Delegierten. Unter anderem müssten sämtliche Leistungen, die in der primärärztlichen Versorgung erbracht werden, entbudgetiert werden. Dasselbe gelte für fachärztliche Leistungen, die auf Überweisung erfolgten. (Die Beschlüsse des Deutschen Ärztetages: https://128daet.baek.de/Applications). Allerdings stellte der Ärztetag auch klar, dass grundlegende Voraussetzung für eine funktionierende Versorgungssteuerung eine ausreichende Gesundheitskompetenz der Menschen ist. Diese gelte es ebenso zu fördern wie das Wissen über die Strukturen des Gesundheitswesens und dessen sachgerechte Inanspruchnahme. Sie halte die Beschlussvorlage des Deutschen Ärztetags zur Patientensteuerung für „genau den richtigen Weg“, sagte Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit des Bundestages und wie der G-BA-Vorsitzende Hecken Gastreferentin zum Thema. Sie plädierte darüber hinaus für eine verbindlichere regionale Zusammenarbeit zwischen den Sektoren. „Wir brauchen niedrigschwellige Anlaufstellen in den Quartieren, wo auch nichtärztliches Personal hausärztliche Praxen entlasten kann“, erklärte die GrünenPolitikerin. Diese Anlaufstellen könnten auch sozialarbeiterische Funktionen erfüllen. In diesem Zusammenhang müsse die Zusammenarbeit der Ärzte mit anderen Gesundheitsberufen ausgebaut werden. In Deutschland sei man in der hochspezialisierten Medizin sehr gut aufgestellt. „Wir sind aber nicht ausreichend gut in der Basis, im Quartier“, so Kappert-Gonther. Auch der Gesundheitsökonom Professor Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld sprach sich für mehr Kooperation und Vernetzung in der Versorgung aus. „Das ist Teil der Lösung unseres Kapazitätsproblems“, so Greiner vor dem Deutschen Ärztetag. Mit Blick auf die Versorgungssteuerung im Rahmen von Primärarztmodellen strich er zwar ähnlich wie Hecken die positiven Effekte für verschiedene Aspekte der Versorgung heraus, gab aber zugleich mit Bezug auf internationale Studien zu bedenken, dass Patienten in sogenannten Gatekeeper-Strukturen weniger zufrieden seien als in Systemen mit Wahlfreiheit. Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege, habe deshalb empfohlen, Anreize für die Patienten zu schaffen, immer zuerst den Hausarzt aufzusuchen, zum Beispiel, indem ihnen Zuzahlungen erlassen werden. Zu den finanziellen Anreizen zählten einige Ärztetagsdelegierte die Einführung von Wahltarifen in der gesetzlichen Krankenversicherung und eine höhere Eigenbeteiligung für Versicherte, die Versorgungsleistungen weiterhin ungeregelt in Anspruch nehmen wollen. Andere warnten vor sozialen Härten, wenn Selbstbehalte erhöht würden. Die Mitglieder der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die traditionell im Vorfeld des Deutschen Ärztetages zusammenkommen, hatten ihrem Vorstand aufgetragen, ein Konzept für eine wirksame Patientensteuerung zu erarbeiten. Dieses könne zum Beispiel Elemente wie ein Einschreibesystem, Wahltarife oder eine bessere Steuerung durch die 116 117 beinhalten, heißt es in dem entsprechenden Beschluss. Die ungesteuerte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems sei weder medizinisch sinnvoll, noch personell und finanziell leistbar. Die notwendige und medizinisch sinnvolle Koordination und Steuerung der Versorgung gelte es aber sorgfältig gegen das hohe Gut der freien Arztwahl und der Patientenautonomie abzuwägen, mahnte BÄK-Präsident Reinhardt. Das besondere Vertrauensverhältnis von Ärztinnen und Ärzten zu ihren Patienten trage durchaus zum Heilungsprozess bei.

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