Rheinisches Ärzteblatt 7/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 7 / 2024 41 Kulturspiegel Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt eine Inszenierung des Internet-Blogs „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf, die unter die Haut geht. von Jürgen Brenn Am Anfang stand die Diagnose: Glioblastom. Am Ende stand unausweichlich der Tod. Dazwischen lagen rund dreieinhalb Jahre „Arbeit und Struktur“. So nannte der 1965 in Hamburg geborene Schriftsteller und Maler Wolfgang Herrndorf sein digitales Tagebuch, das er ab April 2010, kurz nachdem Ärzte bei ihm einen bösartigen Hirntumor entdeckt hatten, bis zu seinem Todestag schrieb. Am 26. August 2013 setzte Herrndorf seinem Leben am Ufer des Berliner Hohenzollernkanals mit einem Schuss in den Kopf ein Ende. Der InternetBlog war ursprünglich ein Mittel, das er wählte, um mit seinen Freunden in Kontakt zu bleiben. Auf deren Drängen hin, stellte der Autor den Blog für die Öffentlichkeit zugänglich ins Netz. Nach kurzer Zeit lasen immer mehr Interessierte seine Texteinträge, die sich zu einem eigenständigen literarischen Werk entwickelten. Der Blog ist immer noch online und kann unter www.wolfgang-herrndorf.de gelesen werden. Wie von Herrndorf gewünscht, wurde sein digitales Tagebuch posthum und nach kritischem Lektorat als Buch veröffentlicht. Nun hat sein Freund Robert Koall, derzeitig Chefdramaturg am Schauspiel Düsseldorf, den Text für die Bühne bearbeitet. Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt das eindringliche Stück als Uraufführung im kleinen Haus. Adrian Figueroa führt die Regie. In einem raffinierten Bühnenbild von Irina Schicketanz, kämpft Florian Lange als Wolfgang Herrndorf gegen die Zeit, die ihm verrinnt. Die Statistik sieht für Patienten mit Glioblastom bezüglich der verbleibenden Lebensspanne düster aus. Herrndorf behält einen strukturierten Alltag bei und stürzt sich regelrecht ins literarische Schaffen. Noch im Jahr 2010 vollendet er seinen Jugendroman „Tschick“, der mittlerweile fester Bestandteil des Deutschunterrichts ist. Aber auch Langsames Sterben mit Ansage Drei Schauspieler erwecken das Internet-Tagebuch von Wolfgang Herrndorf auf der Düsseldorfer Bühne zum Leben: Moritz Klaus, Florian Lange und Caroline Cousin. Foto: Melanie Zanin das Mammutprojekt „Sand“, das Herrndorf in „Arbeit und Struktur“ als „Wüstenroman“ bezeichnet, kann der Autor innerhalb kürzester Zeit abschließen. Das Werk umfasst rund 500 Seiten. Beide Romane hatte Herrndorf bereits vor Diagnose- stellung begonnen und glaubte, für deren Vollendung alle Zeit der Welt zu haben. Monatelang probierte er verschiedene Varianten einzelner Sätze durch. Diesen Luxus gönnte er sich ab 2010 nicht mehr, sondern stürzte sich manisch in die Arbeit. Auf der Düsseldorfer Bühne beschränkt sich Florian Lange nicht darauf, die Blogeinträge zu zitieren. Caroline Cousin und Moritz Klaus, die als Isa und Maik dem Jugendroman Tschick entstiegen sind, begleiten ihn. Sie halten Zwiegespräche untereinander, unterhalten sich mit ihrem Erschaffer oder rezitieren aus Herrndorfs Blog. Dessen Wohnung steht im Mittelpunkt der Bühne, in die das Publikum hineinsehen kann. Gleichzeitig übermittelt eine zentral angebrachte Video- kamera verborgene Winkel auf die Außenfläche des Bühnenbildes oder überträgt die Schauspieler überlebensgroß auf die gesamte Projektionsfläche. So entstehen unterschiedliche Ebenen, die das alltägliche Leben sowie die wechselnden Gemütszustände des Todkranken sinnlich erfahrbar machen. Manchmal schimmert die Angst des noch jungen Autors vor dem weiteren Krankheitsverlauf und seinem bevorstehenden Tod durch seine melancholischen, traurigen oder auch manchmal selbst- ironischen bis fatalistischen Blogeinträge durch. Er versucht das Beste aus seiner Situation zu machen, bemerkt mit leicht bitterem Spott: Er müsse jetzt nicht mehr zum Zahnarzt und auch keine Steuererklärung mehr abgeben. Das waren allerdings Gedanken im Jahr eins seiner Erkrankung. Herrndorf durchlebt eine emotionale und therapeutische Achterbahnfahrt. Zusammen mit seinen Ärzten kämpft er gegen die Krankheit. Die Mediziner erwähnt er immer wieder respektvoll in seinen Tagebucheinträgen. Die Zuschauer erleben die Operationen, Bestrahlungen und weitere Therapie- ansätze, die letztlich das Wachstum des Tumors nur verlangsamen und das Ende hinauszögern können. Durch den Erfolg des Romans „Tschick“, der in kurzer Zeit eine Millionenauflage erreicht, wird Herrndorf zu dem Zeitpunkt berühmt, als sein Leben sich dem Ende zuneigt. Aber noch ist es nicht so weit, und er muss doch noch die eine oder andere Steuererklärung machen. Lakonisch zitiert Florian Lange den Blogeintrag: „Der Tod macht mir keine Angst, aber ich habe Todesangst vor der Steuererklärung“. Der Theaterabend ist bei aller feinen Selbstironie, geprägt von einer respektvollen Traurigkeit, die über dem Szenario schwebt. Die Inszenierung ist eine tiefe, gefühlvolle Verbeugung vor dem bedeutenden Literaten. Offenbar hatte für Herrndorf das Gedicht „In der Heimat“ von Georg von der Vring eine große Bedeutung. Es taucht mit seiner eben- falls melancholischen Grundstimmung in dem Tagebuch immer wieder auf und erinnerte ihn wahrscheinlich an Orte seiner Jugend: „An der Weser, Unterweser, Wirst du wieder sein wie einst., Durch Geschilf und Ufergräser Dringt die Flut herein, wie einst.“ Informationen unter www.dhaus.de und Tel.: 0211 369 911.

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