Rheinisches Ärzteblatt 8/2023

38 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2023 Kulturspiegel Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt „Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht in einer Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler. von Jürgen Brenn Die Bühne im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses wird von einer großen Platte beherrscht, die etwa einen Meter über dem Boden zu schweben scheint und leicht geneigt ist. Auf diese Fläche müssen die Schauspielerinnen und Schauspieler mühsam hinaufklettern, um am Geschehen teilzunehmen. David Hohmann zeichnet für das Bühnenbild der Düsseldorfer Inszenierung von Bertolt Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ verantwortlich. Die Regisseurin Bernadette Sonnenbichler inszeniert das zwischen 1938 und 1940 entstandene Drama in einer Bearbeitung von Tobias Vethake mit der Original-Musik von Paul Dessau. Beinahe unmerklich kippt die Bühnenplatte in Düsseldorf immer weiter, je mehr die Handlung an dramatischer Fahrt aufnimmt. Sie wird für die Protagonisten zur schiefen Bahn, von der sie herunterzurutschen drohen. Die Handlung spielt in der fiktiven Provinz Sezuan. Brecht stellt dem Stück voran, dass dieser Ort stellvertretend für alle Orte stehe, an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden. Damit ist das sozial- und gesellschaftskritische Generalthema gesetzt. Drei Götter haben sich auf den Weg gemacht, um auf der Erde gute Menschen zu finden, denn es sind ihnen Klagen über den Zustand der Welt und der Menschheit zu Ohren gekommen. Falls sie keine guten Menschen finden, kann die Welt nicht so bleiben wie sie ist. Mit überdimensionalen Köpfen und weiß gewandet greifen die drei Götter, gespielt von Kilian Ponert, Belendjwa Peter und Yaroslav Ros, immer wieder in das Geschehen ein. Nach ihrer Ankunft in der Provinz Sezuan suchen die Götter mit Hilfe des Wasserverkäufers Wang, gespielt von Sebastian Tessenow, eine Unterkunft für die Nacht. Niemand will sie aufnehmen. Lediglich die Prostituierte Shen Te, beeindruckend und mit Bedacht gespielt von Minna Wündrich, bietet ihnen eine Unterkunft an, obwohl sie selbst kaum über die Runden kommt und durch ihren Beruf am Ende der sozialen Leiter steht. In dieser selbstlosen Tat erkennen die Götter, dass es doch gute Menschen auf der Erde gibt und sind zufrieden, einen gefunden Schmarotzer in ihre Schranken. Finanziell erneut abgesichert, wird aus Shui Ta wieder die nette, gutmütige Frau Shen Te. Sie verliebt sich in den jungen Piloten Yang Sun, verschlagen aber dennoch sympathisch gespielt von Jonas Friedrich Leonhardi. Er benötigt 500 Silberdollar um eine Fliegeranstellung in Peking zu bekommen. Sie sagt ihm zu, dass ihr Neffe Shui Ta ihm helfen werde. Yang Sun verspricht der jungen Frau die Ehe. Sie verkauft ihren Tabakladen, um das Geld für ihren Geliebten zu beschaffen. Allerdings bringt das Geschäft nicht genügend ein und Yang Sun lässt die Heirat platzen. Jetzt steht die junge Frau, Beeindruckende Inszenierung eines beeindruckenden Stücks Die Götter sind auf der Suche nach dem Guten im Menschen und werden in der Provinz Sezuan mit Unterstützung des Wasserverkäufers Wang, gespielt von Sebastian Tessenow, fündig. Die Götter spielen v.l.n.r.: Kilian Ponert, Belendjwa Peter und Yaroslav Ros. Foto: Sandra Then zu haben. Shen Te weist darauf hin, dass es den Menschen schwerfalle, gut zu sein, wenn sie in Not und Armut leben müssen. Sie fragt: „Wie soll ich gut sein, wo alles so teuer ist?“ Die Götter können oder wollen sich nicht in die wirtschaftlichen Abläufe auf der Erde einmischen, sehen aber das Problem und zahlen der Prostituierten für die Unterkunft über 1.000 Silberdollar. Shen Te nutzt das Geld, um aus ihrer prekären Lage zu entfliehen. Sie kauft einen kleinen Tabakladen, gewährt einer Familie in Not Unterschlupf und spendet Essen für Bedürftige, von denen es in der Provinz mehr als genug gibt. Shen Te wird zum „Engel der Vorstädte“. Aber schon bald wird ihre Mildtätigkeit ausgenutzt und aus Dankbarkeit werden Forderungen. Ein Handwerker und die Vermieterin setzen der jungen Frau besonders zu. Um dem Ruin zu entgehen, wendet Shen Te einen Trick an und verkleidet sich als ihren fiktiven Neffen Shui Ta. Als Mann verwandelt sich ihre Gutmütigkeit in Härte. Sie weist als Alter Ego Shui Ta die Forderungssteller und enttäuscht, mittellos und ohne Verlobten da. Obendrein ist sie schwanger. Damit ihr Kind nicht im Elend aufwachsen muss, verwandelt sich die Frau nochmals in ihren vermeintlichen Neffen Shui Ta und wird in dieser Rolle zu einem erfolgreichen und rücksichtslosen Unternehmer, wenn auch mit nicht ganz legalen Mitteln. Shui Ta wird zum Paradekapitalisten, dessen Reichtum auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebaut ist. Allerdings werden die Bewohner von Sezuan misstrauisch, weil Shen Te monatelang nicht mehr gesehen wurde. Sie bezichtigen Shui Ta des Mordes und es kommt zum Prozess. Hoch über der stark gekippten Bühnenplatte haben die drei Götter den Vorsitz der Verhandlung übernommen, in der die schwangere Shen Te ihr Rollenspiel aufgeben muss. Zufrieden und erleichtert, dass ihr guter Mensch wieder aufgetaucht ist, verlassen die Götter die Erde. Von ihrer Warte aus betrachtet, ist auf der Welt wieder alles in bester Ordnung. Informationen unter www.dhaus.de und unter 0211 369 911.

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