16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2024 Spezial Gesundheitsprobleme zu vernachlässigen. In der BMALeitlinie wird auf die Gefahr hingewiesen, dass Ärzte im Krankheitsfall tendenziell die eigene Fachkompetenz überschätzten oder die eigenen Beschwerden verharmlosten. Wie bei der Behandlung von Familienangehörigen oder engen Freunden bestehe das Risiko, bei der Selbstbehandlung die ausgewogene emotionale Distanz zu verlieren und deshalb Symptome zu übersehen, die anderen Ärzten aufgefallen wären. Auch wird als Problem erörtert, dass Ärzte zur Selbstmedikation neigen würden. Schwierig scheint allerdings auch hier eine genaue Definition, wo die Grenze zwischen einer als zulässig erachteten Selbstbehandlung und der Notwendigkeit, kollegiale Hilfe in Anspruch zu nehmen, verläuft. Empfehlungen ärztlicher Organisationen in Deutschland, im Erkrankungsfall von einer Selbstbehandlung abzusehen, gibt es bisher nicht. Der 122. Deutsche Ärztetag befasste sich 2019 insbesondere mit den für die Gesundheit abträglichen Arbeitsbedingungen von Ärzten und formulierte Forderungen zu deren Abbau. Eine Diskussion über die Grenzen ärztlicher Selbstbehandlung fand in diesem Zusammenhang nicht statt. Zunächst einmal selbst behandeln Auch liegen bisher für Deutschland zum Verhalten von Ärzten im Krankheitsfall nur wenige Forschungsergebnisse vor. Eine 2017 veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass hierzulande mit 19 Prozent nur ein vergleichsweise geringer Anteil der in die Untersuchung einbezogenen Hausärzte bei einem anderen Hausarzt in Behandlung war. Viele der Befragten gaben an, im akuten Krankheitsfall zur Selbst-Diagnose und Selbst-Therapie zu schreiten. Unter den Ärzten mit einer chronischen Erkrankung nahm allerdings der Anteil derjenigen, die regelmäßig hausärztliche Hilfe in Anspruch nahmen, mit der Schwere der Erkrankung zu. Eine Auswertung qualitativer Interviews mit Hausärztinnen und -ärzten ergab, dass alle 16 Befragten sich im Krankheitsfall zunächst einmal selbst behandelten. Hierbei umfasste das Spektrum der Selbstbehandlung das eigene Abtasten, das Abhören der Lunge, selbst durchgeführte Blutabnahme oder die Verschreibung von Medikamenten. Als Begründung für die Selbstbehandlung wurde von einigen der befragten Ärzte angeführt, dass sie glaubten, ihre ärztlichen Kollegen erwarteten das. Auch zeigte die Befragung der Hausärzte, dass diese oft die eigenen Krankheitssymptome in ihrer Schwere nicht ausreichend würdigten. Im Gegensatz dazu stand die Wahrnehmung der Befragten, sich auch bei eher einfachen Befindlichkeitsstörungen ihrer Patienten ernsthaft um deren Belange zu kümmern. Ärzte würden zum Negieren eigener Beschwerden tendieren und dazu, krank zur Arbeit zu gehen, sagt Professor Dr. Thomas Kötter vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie des Universitätsklinikums Schleswig- Holstein, Campus Lübeck. Zu befürchten seien so auch negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung. Die Wahrscheinlichkeit für Behandlungsfehler steige in solchen Fällen, während die Empathiefähigkeit sinke. Eine Studie aus der Schweiz auf der Grundlage einer Befragung von 1.784 Hausärzten, Internisten und Pädiatern kommt zu dem Ergebnis, dass diese im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung viel seltener über einen festen Hausarzt als erste Anlaufstelle im Krankheitsfall verfügten (21 gegenüber 92 Prozent). Problematisiert wurde auf der Grundlage dieser Studienergebnisse insbesondere die Selbstverschreibung von Medikamenten, und das nicht nur bei eher harmlosen Erkrankungen. Aufschluss über das Verhalten von Ärzten in Deutschland im Krankheitsfall bieten aktuell die Ergebnisse einer vom Informationsdienst Medscape durchgeführten Befragung, an der 1.037 Ärztinnen (49 Prozent) und Ärzte (51 Prozent) im Zeitraum von April bis Juli 2023 teilnahmen. Auch hier zeigt sich, dass die meisten Ärzte im Krankheitsfall zum Selbstbehandler werden. Nur acht Prozent der Ärzte gaben in der Befragung an, sich grundsätzlich bei einer Erkrankung an andere Ärzte oder Gesundheitsdienstleister zu wenden. Die meisten Befragten (92 Prozent) therapieren sich zunächst selbst, nehmen im Bedarfsfall aber auch die Hilfe von Kollegen in Anspruch. Anders als die bisher vorliegenden Studien vermuten lassen, gaben aber bei der Medscape-Befragung 58 Prozent der Umfrageteilnehmer an, einen eigenen Hausarzt zu haben, was wohl darauf zurückzuführen sein dürfte, dass hier nicht vorwiegend niedergelassene Hausärzte zu Wort kamen. Durchaus unterschiedlich waren die Präferenzen der Ärzte, von wem sie sich im Krankheitsfall am liebsten behandeln lassen wollten. Die meisten Befragten ziehen die Behandlung durch einen Kollegen vor, mit dem sie bereits länger bekannt sind, entweder als Freund (24 Prozent), als Kollege am Arbeitsplatz (14 Prozent) oder als Studienkollege (sechs Prozent). Rund ein Viertel der Ärzte gab dagegen an, sich lieber von einem Arzt behandeln zu lassen, der ihnen persönlich nicht bekannt ist; rund ein Drittel der Ärzte antwortete, sie hätten keine Präferenz, wer sie behandelt. Ärztliches Fachwissen scheint dazu zu führen, dass viele Ärzte (50 Prozent) bei einem Krankenhausaufenthalt eher misstrauisch den Behandlungsablauf verfolgen; viele der von Medscape Befragten (47 Prozent) sind der Meinung, dass ihr Fachwissen die eigenen Ängste im Behandlungsfall noch verstärken würde. Rund drei Viertel (78 Prozent) gaben an, bei einer Pharmakotherapie besonders auf Risiken durch Arzneimittel zu achten. Ob eine generelle Vorgabe für Ärzte, von der eigenen Behandlung abzusehen, nach dem Vorbild internationaler Leitlinien anzustreben ist, bewertet Dr. Friederike Hecker auf der Grundlage ihrer Untersuchung zur „Inanspruchnahme des Gesundheitssystems durch ArztPatienten im eigenen Krankheitsfall – eine qualitative Studie an Hausärzten“ zurückhaltend. Sie kommt zu der Einschätzung, dass „eine kompetente Eigenbehandlung, die ein gewisses Maß nicht überschreitet, keineswegs verwerflich und ökonomisch sinnvoll ist“. Wichtiger als das Formulieren allgemeingültiger Forderungen sei es, das Empfinden der Ärzte im eigenen Krankheitsfall zu schulen und die möglichen Gefahren einer Rollenambiguität für Arzt-Patienten zu verdeutlichen.
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