Rheinisches Ärzteblatt 8/2024

Gesundheits- und Sozialpolitik Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2024 17 Der Öffentliche Gesundheitsdienst gewinnt als „Dritte Säule des Gesundheitssystems“ angesichts wachsender sozialer Ungleichheiten sowie der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und der befürchteten Zunahme von Epidemien zunehmend an Bedeutung, prognostizieren Experten. Wie sich der ÖGD für die Zukunft krisenfest gestalten lässt, war kürzlich Thema einer Fachtagung der Bundesärztekammer. von Marc Strohm Die Coronapandemie katapultierte den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) ins Rampenlicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der knapp 380 Gesundheitsämter in Deutschland ordneten beispielsweise Quarantänemaßnahmen an, übernahmen die Nachverfolgung der Kontaktpersonen Infizierter und erfassten Daten zum Infektionsgeschehen vor Ort. „Zur Pandemiezeit wurde der ÖGD zwiegespalten betrachtet“, erinnert sich Dr. Ute Teichert, Leiterin der Abteilung 6 „Öffentliche Gesundheit“ im Bundesgesundheitsministerium und Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen auf der Fachtagung „Public Health vor Ort: Gegenwart und Zukunft eines krisenfesten Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ der Bundesärztekammer (BÄK), die Mitte Juni in Berlin stattfand. „Auf der einen Seite waren wir Corona-Helden“, berichtet sie. Auf der anderen Seite offenbarte die Pandemie auch die Schwächen des ÖGD: Viele Gesundheitsämter waren personell unterbesetzt und standen unter Dauerbelastung. In den Medien wurde insbesondere die mangelnde digitale Ausstattung der Einrichtungen kritisiert. Die Politik reagierte auf die Situation mit dem am 29. September 2020 beschlossenen „Pakt für den ÖGD“ zwischen Bund und Ländern: Insgesamt vier Milliarden Euro stellt der Bund bis Ende 2026 zur Verfügung, um unter anderem die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzustocken und die Einrichtungen zu digitalisieren. Die Maßnahme zeigte Wirkung: Mit knapp 4.420 besetzten Stellen zum Stichtag 31.12.2023 wurde das Soll-Ziel von knapp 3.600 für das Jahr 2023 deutlich übertroffen, berichtete Teichert. „Unser Wunsch ist, diesen Pakt fortzuführen“, erklärte sie. Gleichwohl erschwert dies die haushaltspolitische Lage des Bundes. So sprach sich beispielsweise der BundestagsHaushaltsausschuss bereits im Frühjahr 2023 dafür aus, die finanzielle Beteiligung des Bundes am ÖGD-Pakt nicht über das Jahr 2026 zu verlängern. Bei der Finanzierung seien nun die Länder und Kommunen in der Verantwortung, wobei sich die Gesundheitsministerkonferenz der Länder bei ihrer jüngsten Sitzung im Juni für eine Verstetigung des Paktes ausgesprochen hat – allerdings gemeinsam mit dem Bund. „Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam aufgefordert, die im Rahmen des Paktes für den ÖGD geschaffenen Strukturen zu sichern und angesichts der vielfältigen Aufgaben in angemessener Weise weiterzuentwickeln“, heißt es in einem entsprechenden Beschluss. Vorbereitet auf künftige Krisen Als „Dritte Säule des Gesundheitssystems“ werde der ÖGD künftig zunehmend wichtiger, prognostizierten die Experten bei der Fachtagung in Berlin, denn seine Aufgabenvielfalt beschränke sich nicht nur auf den Infektionsschutz. So sei ein krisenresilienter ÖGD beispielsweise bei der Bewältigung der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und der sich verschärfenden sozialen Ungleichheiten gefordert, erklärte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Um den ÖGD krisenfester aufzustellen und für die kommenden Herausforderungen zu wappnen, forderte Reinhardt eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dazu gehöre eine auskömmliche Finanzierung ebenso wie eine tarifgerechte Bezahlung der im ÖGD tätigen Ärztinnen und Ärzte. Deren Einkommen müssten an die in der ambulanten und stationären Versorgung angepasst werden. Darüber hinaus schlug er eine Verlängerung des ÖGDPaktes über das Jahr 2026 hinaus vor. Für unabdingbar hält es Reinhardt zudem, dass die Leitung der Gesundheitsämter weiterhin in ärztlicher Hand bleibt. Damit sich die Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst — insbesondere als eine der kleinsten Facharztgruppen — berufspolitisch Gehör verschaffen können, brauche es engagierte Kolleginnen und Kollegen, die in den Verbänden und Ärztekammern für die Interessen des ÖGD einstehen, sagte Dr. Kristina Böhm, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Um dem ärztlichen Nachwuchs das Gesundheitsamt als attraktiven Arbeitsplatz nahezubringen, müssten dort Praktika und Famulaturen sowie Teile des Praktischen Jahres absolviert werden können. Außerdem müssten gute Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Eine attraktive Weiterbildung zum Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen könne insbesondere im Rahmen von Weiterbildungsverbünden umgesetzt werden, erklärte Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ der BÄK. Als Vorbild könnten dabei die hausärztlichen Weiterbildungsverbünde dienen: Hier schließen sich Praxen, Kliniken und andere medizinische Einrichtungen regional zusammen, um angehenden Allgemeinmedizinern sektorenübergreifend eine reibungslose, im Verbund strukturierte Weiterbildung zu ermöglichen, ohne dass diese sich eigenständig für bestimmte Inhalte eine neue Weiterbildungsstätte suchen müssen. In einen Weiterbildungsverbund zum Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen könnten dementsprechend neben den Gesundheitsämtern Praxen, Krankenhäuser und Medizinische Versorgungszentren eingebunden werden. Die Kommunen müssten allerdings garantieren, dass in den Gesundheitsämtern Ärzte mit entsprechender Weiterbildungsbefugnis beschäftigt sind, erklärte Henke. ÖGD – für die Zukunft gewappnet? Während der Coronapandemie übernahmen die Gesundheitsämter eine zentrale Rolle im Infektionsschutz. Auch künftige Herausforderungen erfordern einen krisenfest aufgestellten ÖGD. Foto: Till Erdmenger

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