Rheinisches Ärzteblatt 8/2024

24 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2024 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 143 Fehler bei Leistenhernien-Operation Bei Operationen zur Behebung eines Leistenbruchs werden je nach Indikation offene oder endoskopische Verfahren angewendet. Abhängig vom Verfahren gibt es – neben typischen Komplikationen – auch eine Reihe von Fehlermöglichkeiten. Besonderes Augenmerk ist daher nicht nur auf die Indikationsstellung und die Auswahl des Operationsverfahrens, sondern auch auf die Anforderungen an die prä- operative Aufklärung und die Nachsorge zu legen. von Jochen W. Erhard, Carsten J. Krones, Burkhard Gehle und Tina Wiesener Die Gutachterkommission hatte sich im Fall einer endoskopischen Leistenhernien-Operation vornehmlich mit der besonderen Bedeutung der Aufklärung über die Art des geplanten Eingriffs und mit der ärztlichen Dokumentationspflicht auseinanderzusetzen. Ärzten einer chirurgischen Klinik wurden Fehler bei einer Operation zur Behebung einer Leistenhernie links vorgeworfen. Bereits in der Operation sei der N. femoralis geschädigt worden. Postoperative Beschwerden, insbesondere Klagen über Taubheit im Bereich des linken Oberschenkels und ein Versagen des linken Beins am Entlassungstag sowie starke Schmerzen seien unberücksichtigt geblieben. Eine weitergehende Diagnostik habe nicht stattgefunden. Die letztlich angewendete Operationsmethode, das TAPP-Verfahren (TAPP, transabdominal präperitoneal), sei zudem nicht Gegenstand der Aufklärung gewesen. Erst bei der hausärztlichen Nachbehandlung und Überweisung zur neurologischen Abklärung sei die Nervenläsion des N. femoralis links festgestellt worden. Sachverhalt Aufgrund einer seit mehr als einer Woche bestehenden Schwellung im Bereich der linken Leiste wurde eine 70-jährige Patientin mit der Diagnose einer (reponiblen) Leistenhernie links in eine chirurgische Klinik zur Leistenhernien-Operation aufgenommen. Als Komorbiditäten wurden im Aufnahmebefund ein arterieller Hypertonus, eine Carotisstenose beidseits und ein Z. n. Bandscheiben-Opesion L3/4 sowie L4/5“ entnommen werden. Es wird erneut berichtet, dass die Patientin einen komplikationslosen postoperativen Verlauf gehabt habe, ergänzt durch die Mitteilung, dass sie eine persistierende Sensibilitätsstörung am linken Oberschenkel beklagt habe, die von den behandelnden Chirurgen auf die vorbestehende Spinalkanalstenose beziehungsweise die oben erwähnten breitbasigen Bandscheibenprotrusionen zurückgeführt worden sei. Auf den Karteikarteneinträgen der Hausärzte der Patientin gab es hingegen keine Hinweise auf das Vorbestehen einer neurologischen Störung im Bereich des linken Oberschenkels oder Beins vor der Operation. Ein Eintrag über eine hausärztliche Konsultation circa zehn Tage nach der Operation dokumentiert allerdings einen „postop. Nervenschaden nach Hernioplastik … Nervenschaden linker Oberschenkel“. In einem neurologisch/psychiatrischen Befundbericht an die Hausärzte der Patientin, erstellt circa einen Monat nach der beklagten Operation, werden als Diagnosen genannt: Vorliegen einer N. femoralis-Läsion links mit inkompletter M. quadrizeps femoris-Parese links, Z. n. Leistenhernien-Operation, chronisches Wurzelirritationssyndrom L4/L5 links, bekannte Spinalkanalstenose, keine Hinweise auf Polyneuropathie. Chirurgische Begutachtung Der chirurgische Gutachter stellte fest, dass bei der Patientin ohne Zweifel eine Leistenhernie links vorgelegen und eine Operationsindikation bestanden habe. Im Aufnahmebefund seien unter anderem Vorerkrankungen einschließlich der Bandscheibenoperation im Jahr 2008 aufgeführt. Eine vorbestehende neurologische Symptomatik sei jedoch weder im Rahmen der Anamneseerhebung und Untersuchung bei der Aufnahme noch in der hausärztlichen Dokumentation beschrieben. In der Aufklärung zur Operation seien das TEP-Verfahren und die Lichtenstein-Methode angegeben, das TAPP-Verfahren hingegen sei durchgestrichen worden. Es handele sich bei den genannten Eingriffen zur Operation der Leistenhernie um erheblich voneinander abweichende Operationstechniken mit unterschiedlichen Operationszugängen, die mit unterschiedlichen Risiken verbunden seien. Mögliche Nervenläsionen würden im vorgedruckten Text zwar erwähnt und bei den händisch ergänzten Risiken mit dem Begriff „Gefühlsstörungen“ ration L5/S1 im Jahr 2008 vermerkt. Es lag ein MRT-Befund der LWS-nativ aus 01/2008 vor. Die Aufklärung zur Operation erfolgte unter Hinzunahme eines Aufklärungsbogens für eine „Leistenhernien-Operation mit Netzimplantation in offener/minimalinvasiver Technik“, ergänzt durch eine händische Schemazeichnung eines Abdomens mit der Markierung von Inzisionen im Nabelbereich und im Unterbauch links. Von den auf der ersten Seite des Aufklärungsbogens dargestellten Abbildungen ist die „offene Netzimplantation nach Lichtenstein“ markiert, das „laparoskopische TAPPVerfahren“ ist durchgestrichen. Markiert sind hingegen die „Bauchwandspiegelung mit Netz-Plastik (TEP-Verfahren)“ und – mit „ggfl.“ gekennzeichnet – die „offene Netzimplantation nach Lichtenstein“. Unter der Rubrik „Arztanmerkungen zum Aufklärungsgespräch“ sind auf der letzten Seite des Bogens zusätzlich eingetragen: „Blutung, Nachblutung, Durchblutungsstörung, Gefühlsstörungen, Wundheilungsstörung, Abszessbildung, Netzinfektion, ggfs. erneute Op und Netzentfernung, Verletzung von Bauchorganen, ggfs. befundorientierte Erweiterung der Op., Rezidivbruchbildung, Netzdislokation, Narbenschmerzen“. Die Operation der Leistenhernie links wird im Operationsbericht als transabdominale präperitoneale Netzeinlage links unter Einbringung eines 10 x 12 cm Ultrapro-Netzes von lateral beschrieben. Komplikationen sind nicht vermerkt. Auch dem Pflegebericht der Normalstation können sowohl für den Nachmittag des Operationstages als auch den Folgetag und den darauffolgenden Entlassungstag, außer einer Schmerzangabe am ersten postoperativen Tag, keine Besonderheiten entnommen werden. Im Kurzarztbrief mit Datum des Entlassungstages wird ein komplikationsloser Verlauf geschildert, hierin jedoch „eine persistierende Sensibilitätsstörung linker Oberschenkel bei vorbestehender Spinalkanalstenose“ beschrieben. Auch dem nach circa drei Wochen folgenden endgültigen Arztbrief kann wiederum unter anderem eine „persistierende Sensibilitätsstörung linker Oberschenkel bei vorbestehender Spinalkanalstenose, Zustand nach NPP-Op (Nucleus-Pulposus-Operation, Anm. d. Verfasser) L5/S1 01/2008, bekannte breitbasige Bandscheibenprotru-

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