Rheinisches Ärzteblatt 9/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2023 19 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 139 Vorwürfe nach Eingriffen an der Wirbelsäule haben an den nordrheinischen Begutachtungen einen Anteil von knapp vier Prozent. Die Quote der festgestellten Behandlungsfehler lag mit knapp 20 Prozent unter dem allgemeinen Durchschnitt von 27 Prozent. Technische Fehler wurden bei elf Prozent der gegenüber 135 Fachärzten beklagten Eingriffe festgestellt, dabei überwiegend bei lumbal vorgenommener Versteifung. Bei 12 Prozent wurden postoperative Fehler festgestellt. von Beate Weber, Viola Bullmann und Hartmut Vatter In den letzten drei Abschlussjahren wurden in 131 Verfahren gegen 135 Fachärzte (72 Orthopäden, 62 Neurochirurgen, 1 Allgemeinchirurg) Behandlungsfehlervorwürfe nach Eingriffen und Revisionsoperationen bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule begutachtet. Festgestellt wurden in 26 Verfahren jeweils 13 Behandlungsfehler von Orthopäden und Neurochirurgen sowie ein Behandlungsfehler eines Allgemeinchirurgen. Weiteren fünf Orthopäden und einem Neurochirurgen wurde zu Unrecht die konservative Vor- beziehungsweise Nachbehandlung vorgeworfen. Die Einzelfehler (maximal vier pro belasteten Arzt) der Begutachtungsjahre 2020 bis 2022 und 2015 bis 2019 werden in der Tabelle vergleichend aufgeführt. Nachfolgend wird auf einige beispielhafte Behandlungsfehler eingegangen. Keine Indikation zum Eingriff In drei Verfahren wurde nach Auffassung der Gutachter von den Patientinnen und Patienten zu Recht beklagt, dass keine Indikation zum Eingriff bestanden habe (siehe Tabelle). Beispielsweise hatte sich eine Ende 30-jährige Patientin im Behandlungsjahr 2018 mit seit einiger Zeit bestehenden Nackenschmerzen und Schwindelgefühl beim belasteten Operateur vorgestellt. Die vom Hausarzt zuvor veranlasste Magnetresonanztomografie (MRT) zeigte multisegmentale Veränderungen bei C4-C6 mit Spondylosis deformans, Uncovertebralarthrosen und Gefügestörung der Halswirbelsäule (HWS) sowie einen umschriebenen medianen Bandscheibenprolaps mit geringer Pelottierung des Myelons bei C4/5 und einen breitbasigen Bandscheibenprolaps bei C5/6 mit mittelgradiger osteodiscogener Foramenstenose. Der Gutachter verwies darauf, dass eine differentialdiagnostische Abklärung des Schwindels sowie leitliniengemäß eine acht- bis zehnwöchige konservative Therapie hätten erfolgen sollen, was man mit der Patientin im Sinne einer therapeutischen Aufklärung präoperativ hätte erörtern müssen. Dagegen indizierte der Operateur behandlungsfehlerhaft bereits bei der Erstvorstellung anhand der MRT vom Vortag unter der aggravierten Diagnose eines „drohenden Querschnittssyndroms bei zwei zervikalen Bandscheibenvorfällen mit massiver Spinalkanalstenose mit Myelonkompression bei C4/5“ eine ausgedehnte ventrale Diskektomie, Spondylodese mit Dekompression und Cage-Fusion, Foraminotomie und Abtragung knöcherner Raumforderungen, die 24 Tage später stattfanden. Laut Gutachten lagen präoperativ weder Brachialgien vor, noch gab es Hinweise auf eine Instabilität oder auf eine Rückenmarksbeeinträchtigung, was einen so ausgedehnten Versteifungseingriff gerechtfertigt hätte. Zudem Fehler bei Eingriffen an der Wirbelsäule bei degenerativen Erkrankungen 2020 – 2022 2015 – 2019 n BF-Quote von n n BF-Quote von n Gesamtzahl der Begutachtungen 3.435 26,9% 8.031 29,8% Patientenfälle mit Wirbelsäuleneingriffen bei degenerativen Erkrankungen (Anteil an n) 131 (3,8%) 281 (3,5%) Festgestellte Behandlungsfehler¹ 26 19,8% 64 22,8% - fehlende präoperative Diagnostik 1 0,8% 5 1,8% - keine Indikation zum Eingriff/Übertherapie 3 2,3% 12 4,3% - zu späte Indikationsstellung / / 3 1,1% - fehlerhafte technische OP-Ausführung 14 10,7% 32 11,4% - Operation in falscher Höhe 2 1,5% 3 1,1% - fehlerhafte postoperative Behandlung 16 12,2% 36 12,8% - keine Revisions-Operation 5 3,8% 6 2,1% - zu späte Revisions-Operation 3 2,3% 2 0,7% - fehlerhafte Infektbehandlung 1 0,8% 3 1,1% - keine therapeutische Aufklärung 3 2,3% 1 0,4% Risikoaufklärungsmangel (bei verneinten BF²) 2 (1) 1,5% (0,8%) 9 (3) 3,2% (1,1%) Dokumentationsmangel bei bejahtem Fehler 6 4,6% 21 7,5% Von der Gutachterkommission festgestellte Fehler bei Eingriffen an der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen ¹ max. 4 Einzelfehler pro belasteten Arzt ² BF= Behandlungsfehler

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