Rheinisches Ärzteblatt 9/2023

20 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2023 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 139 wurde der Cage fehlerhaft zu hoch gewählt. Alle Folgen des Eingriffs inklusive der entstandenen Anschlussinstabilität in Höhe C3/4 mit nötiger Revisionsoperation waren dem Operateur nach Auffassung des Gutachters haftungsrechtlich anzulasten. In einem ähnlich gelagerten Fall eines Ende 40-jährigen Patienten mit Zervikobrachialgien erfolgte im Behandlungsjahr 2019 ohne dokumentierte Befunderhebung gegebenenfalls vorliegender sensomotorischer Defizite eine demnach höchst elek- tive ventrale Dekompression mit Cage-Einlage in Höhe Halswirbelkörper (HWK) 4/5 und HWK 5/6. Die präoperative Magnetresonanztomografie zeigte zwar multisegmentale, aber insbesondere in Bezug auf HWK 4/5 nicht sehr ausgeprägte degenerative Veränderungen auf, sodass gutachterlich der Eingriff in dieser Höhe als nicht indiziert bewertet wurde. In Höhe C5/6 lagen dagegen eine mediolateral linksbetonte Bandscheibenprotrusion und neuroforaminale Einengungen mit Bedrängung der Nervenwurzeln vor, sodass nach Auffassung des Gutachters der Eingriff in dieser Höhe nachvollziehbar war. Allerdings wurde die Risikoaufklärungsrüge des Patienten zu Behandlungsalternativen als berechtigt angesehen, da die Leitlinie zunächst eine konservative Therapie fordert. Der unterschriebene Aufklärungsbogen lässt zudem eine Individualisierung vermissen. Als Ursache erneuter Beschwerden postoperativ wurden eine bereits initial erkennbare, im Verlauf zunehmende Implantatfehllage bei HWK 5/6 und eine zunehmende Einsinterung der Grund- und der Deckplatte bei HWK 4/5 bei hoch gewähltem, aber letztlich eingeheiltem Cage dargestellt. In Bezug auf die nichtindizierte Operation der Etage HWK 4/5 war daher außer dem Erdulden des Eingriffs kein Gesundheitsschaden eingetreten. Als weiterer Behandlungsfehler wurde bewertet, dass der komplikativ fehlplatzierte Cage bei HWK 5/6 bei der ersten Revisionsoperation nicht korrigiert worden war. Eine intraoperative Bildgebung zur Erfolgskontrolle war fehlerhaft versäumt worden. Für die nachfolgende Revisionsoperationen musste der Operateur daher haftungsrechtlich eintreten. Die spärliche Dokumentation der klinischen Zeichen, Indikationsstellung, Therapieplanung, bildgebenden Befunde, der Risikoaufklärungen und zum postoperativen Sachverhalt mit Informationspflicht an den Patienten wurde vom Gutachter als mangelhaft gerügt. Technische Fehler Das technische Vorgehen der Operateure wurde vierzehnmal als fehlerhaft bewertet. Als Einzelfehler wurde achtmal das Belassen pathologischer Veränderungen mit Nichterreichen des Operationsziels, dreimal das Belassen erheblicher Schraubenfehllagen (darunter einmal auch beim Revisionseingriff) sowie jeweils zweimal einer deutlichen Schraubenüberlänge und Operation in falscher Höhe festgestellt. Jeweils einmal wurden das vorwerfbare Belassen eines zu hohen Cage, eines fehlplazierten Cage (auch bei der Revisionsoperation), eines Zementparavasats und erheblicher Implantatfehllagen sowie die versäumte Versorgung einer eingetretenen Trümmerfraktur festgestellt. Als in der Summe grober Behandlungsfehler bei einer Ende 50-Jährigen wurde es beispielsweise gutachterlich bewertet, dass die nach vielfachen Voroperationen acht Jahre zuvor (insbesondere ventrale Diskektomien und Cage-Interponate bei HWK 5/6 und HWK 6/7) nunmehr bei therapierefraktären Nuchalgien mit radikulärer Ausstrahlung und Verdacht auf Non-Fusion/Pseudarthrose beider Etagen vorgenommene dorsale Stabilisierung statt in dieser Höhe eine Etage tiefer auf Brustwirbelkörper (BWK) 1 erfolgte und zudem alle Schrauben – teils erheblich – fehlplatziert wurden, darunter eine mit intraspinaler Fehllage. Als Dokumentationsmangel gerügt wurden der knappe Operationsbericht und die fehlende intraoperative Bildgebung. Bei der am Folgetag durchgeführten Revisionsoperation wurde nur die intraspinale Schraubenfehllage korrigiert und die Instrumentierung bei BWK 1 entfernt. Fehlerhaft wurde jedoch nicht das Segment HWK 5/6 stabilisiert, und die übrigen Schraubenfehllagen nicht korrigiert. Bei ansonsten komplikationslosem Verlauf ohne neurologische Defizite wurde aber zum Zeitpunkt der Begutachtung im Jahre 2020 keine gesundheitliche Beeinträchtigung als Fehlerfolge außer dem Erdulden der Revisionsoperation festgestellt. Bei einer Ende 40-jährigen Patientin lagen im Behandlungsjahr 2017 langjährig bestehende, nunmehr seit sechs Monaten akzentuierte Lumboischialgien bei L4/5 bei einer Spinalkanalstenose, eine zunehmende degenerative Skoliose mit Instabilität, eine erosive Osteochondrose und ein breitbasiger, umgeschlagener Bandscheibenprolaps mit starker Höhenminderung vor. Vom Gutachter wurde es als fehlerhaft bewertet, dass statt einer mikrochirurgischen Dekompression des Spinalkanals mit Nukleotomie und einer anschließenden rigiden Fusion des Segments LWK 4/5 nur eine dynamische Stabilisierung und eine partielle Reposition erfolgte. Die Fehllagen zweier Schrauben wurde fehlerhaft weder auf der am zweiten postoperativen Tag gefertigten Röntgenaufnahme noch auf der Computertomografie vom fünften postoperativen Tag erkannt. Eine Erörterung mit der Patientin fand nicht statt. Die fehlende Reaktion hätte zu einem kompletten Implantatversagen führen können. Im postoperativen Verlauf erfolgten mehrfache Nachkontrollen bei ins rechte Bein ausstrahlenden Schmerzen, wobei von den Neurochirurgen Geduld angemahnt wurde. Nach eineinhalb Jahren stellte sich die Patientin mit nach ihren Angaben nicht mehr auszuhaltenden Schmerzen aufgrund einer dann festgestellten Nervenirritation durch eine fehlplatzierte Schraube andernorts vor. Nach Einholen einer Zweitmeinung erfolgte dort der Wechsel auf einen Fixateur interne von LWK 3 bis LWK 5 unter zusätzlicher Implantation zweier intervertebraler Interponate. Postoperative Behandlungsfehler Bei 16 Patientinnen und Patienten wurden postoperative Behandlungsfehler festgestellt, darunter fehlte es dreimal an einer therapeutischen Aufklärung über mitteilungsbedürftige Befunde beziehungsweise zum weiteren Vorgehen. Eine nötige Revisionsoperation wurde dreimal zu spät und fünfmal gar nicht in der belasteten Klinik veranlasst. Nur in einem Fall wurde eine Infektbehandlung als nicht ausreichend bewertet. Zu späte Reaktion auf Lähmungserscheinungen Nach einer zervikalen Nukleotomie bei einer Anfang 60-jährigen Patientin mit Dekompression des Spinalkanals bei HWK 6/7 und Implantation einer Bandscheibenprothese trat am Abend nach der Operation ein inkomplettes beinbetontes Querschnittssyndrom ab Th 7/8 mit unkontrolliertem Harnabgang auf. Erst 24 Stunden später erfolgte nach morgentlicher CT-Untersuchung und Verlegung andernorts zur Magnetresonanztomografie eine operative Freilegung bei epiduraler Blutung und Li­

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