Rheinisches Ärzteblatt 9/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2023 21 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 139 quorverhalt mit Myelonkontusion, die aber keine richtungsgebende Verbesserung für die Patientin mehr erbrachte. Es wurde als grober Befunderhebungsfehler bewertet, dass der Arzt vom Dienst nicht bereits zum Zeitpunkt der beginnenden Querschnittsymptomatik umgehend eine Bildgebung mit schnellstmöglicher Revisionsoperation veranlasst hatte. Zu späte Zementausräumung Nach einer Dekompressionslaminektomie und dorsalen Stabilisierung von LWK 2 bis LWK 5 bei einem Anfang 70-jährigen Patienten mit stark immobilisierenden Lumboischialgien aufgrund einer hochgradigen bandscheibenbedingten Spinalkanalstenose musste zunächst eine erste Revisionsoperation zur Hämatomausräumung am siebten postoperativen Tag erfolgen. Bei ausbleibender Fusion bei L4/5 und Pedikelschraubenlockerung beidseits wurde nach acht Monaten eine zweite Revisionsoperation mit Schraubenwechsel und Zementaugmentation vorgenommen. Nachdem die postoperative Computertomografie am ersten postoperativen Tag ein intraspinales Zementparavasat aufdeckte, wurde am fünften postoperativen Tag eine dritte Revisionsoperation durchgeführt unter Erweiterung der Laminektomie und Verlängerungsspondylodese auf S1. Bei linksbetonter Lumboischialgie zeigte die postoperative Magnetresonanztomograie behandlungsfehlerhaft verbliebene Zementreste intra- und extraforaminal im Bereich der L5-Wurzel links und in Höhe L5/S1 links auf, die zu spät erst nach sieben Tagen statt sofort durch eine vierte Revisionsoperation entfernt wurden, wofür die behandelnden Ärzte haftungsrechtlich einzutreten hatten. Andernorts wurde eine fünfte Revisionsoperation nötig bei CageDislokation und Pedikelschraubenlockerung bei S1 beidseits, die den behandelnden Ärzten, wie auch die drei vorausgegangenen Revisionsoperationen und die verbliebene erhebliche Immobilität sowie chronische Schmerzen, nicht anzulasten waren. Zu späte Infektbehandlung Im Fall eines Anfang 80-jährigen Patienten trat nach behandlungsfehlerfrei durchgeführter Dekompression einer Spinalkanalstenose in Höhe L2/3 und L3/4 am fünften postoperativen Tag eine Wundsekretion auf, wobei differentialdiagnostisch eine Liquorrhoe in Betracht kam. Ein Wundabstrich vom elften postoperativen Tag wies nach zwei Tagen reichlich Staphylococcus aureus mit Resistenz gegenüber Clindamycin nach. Der CRP-Wert war mit 66,8 mg/l (normal < 5 mg/l) deutlich erhöht. Da die Myelografie vom 13. postoperativen Tag eine okkulte Liquorfistel nicht sicher ausschloss, erfolgte anderntags eine erste Revisionsoperation, die unter Überdruckbeatmung ein kleines Duraleck aufdeckte, das versorgt wurde. Der CRP-Wert fiel zwar am Folgetag auf 46,8 mg/l ab, die Sekretion bestand jedoch fort, so dass nach vier Tagen eine zweite Revisionsoperation erfolgte. Drei Tage später stieg der CRP-Wert auf 98,2 mg/l an. Nach weiteren drei Tagen wurde dreimal täglich Clindamycin 600 mg intravenös verabreicht. Trotz einer dritten Revisionsoperation nach weiteren drei Tagen sistierte die Liquorrhoe nicht. Nach dieser dritten Revisionsoperation zeigte sich am zweiten postoperativen Tag eine Wundrötung und es lagen starke Schmerzen vor. Die Patientin wurde vier Tage später in eine andere Klinik zur weiteren Behandlung verlegt. Dort wurde der CRP-Wert am Folgetag mit 117 mg/l bestimmt. Bei trüb-seröser Sekretion zeigte sich magnetresonanztomografisch der Verdacht auf eine tiefe Wundinfektion. Die Revisionsoperation deckte komplett gelockerte Implantate auf. Der Abstrich ergab eine Infektion mit Staphylococcus aureus. Der Gutachter bewertete es als sachgerecht, dass bei erhöhtem CRP-Wert und Verdacht auf eine Liquorfistel eine erste Revisionsoperation erfolgte. Der initiale Nachweis von Staphylococcus aureus wurde als Kontamination interpretiert. Als der CRP-Wert drei Tage später nach Abfall auf 46,8 mg/l erneut auf das Doppelte anstieg, wurde zu spät erst weitere drei Tage später eine Antibiotikatherapie initiiert, allerdings mit dem zuvor resistent getesteten Clindamycin. Ein Reevaluation des verworfenen Keimergebnisses mit einem weiteren Wundabstrich wurde zu keinem Zeitpunkt vorgenommen, auch nicht im Rahmen der Revisionsoperation. Über zehn Tage wurde zudem trotz weiterhin erhöhtem CRP-Wert kein Antibiotikum bis zur Verlegung des Patienten verabreicht. Die starken Schmerzen, durchnässte Verbände und die gerötete Wunde sprachen aber eindeutig für ein lokales infektiöses Geschehen, was erst nach Verlegung in eine andere Klinik aufgedeckt und behandelt wurde. Das Ausmaß der Schmerzen und der verzögerte Heilverlauf waren den belasteten Ärzten als Fehlerfolge anzulasten. Nicht festzustellen war, ob bei sachgerechter Therapie die Revisionsoperation durch die nachbehandelnden Ärzte hätte verhindert werden können und ob die Materiallockerung infektions- oder osteoporosebedingt aufgetreten ist. Keine therapeutische Aufklärung In vier Fällen fehlte es an einer therapeutischen Aufklärung, darunter in einem Fall, in dem es nach ventraler Dekompression und Plattenosteosynthese bei hochgradiger zervikaler Spinalkanalstenose zu einer Schraubenfehllage ohne knöchernen Halt in Höhe des vierten Halswirbelkörpers gekommen war, was mit der Anfang 80-jährigen Patientin postoperativ therapeutisch hätte besprochen und im Abschlussbericht berichtet werden müssen. Als Komplikation perforierte die Schraube nach fünf Monaten den Ösophagus mit für die Patientin schwerwiegenden Dauerfolgen, was durch zeitnahe Schraubenrevision und gegebenenfalls zusätzliche dorsale Stabilisierung hätte verhindert werden können. Haftung für Kausalschaden Aufgrund der festgestellten Behandlungsfehler mussten die in Anspruch genommenen Ärzte bei 25 Patientinnen und Patienten für eingetretene Gesundheitsschäden haften, darunter einer von drei Todesfällen bei zu spät erkannter und behandelter Lungenembolie, zwei von fünf schweren Dauerschäden infolge zu spät erkannter und behandelter Kaudaläsion, sieben von 49 mittelgradigen Dauerschäden und fünfzehn von 64 leichten temporären Gesundheitsschäden. Weiterhin trat ein schwerer temporärer Gesundheitsschaden auf. In 56 Prozent der Fälle (n = 74) waren eine (n = 58, darunter 15-mal mit Haftung) oder mehrere (n = 16) Revisionsoperationen nötig. 35 Patientinnen und Patienten erlitten durch den Eingriff eine Neuropathie: Achtmal kam es zu einem – in vier Fällen inkompletten – Kaudasyndrom, darunter in zwei Fällen mit der Folge der Haftung. Ein Patient verstarb an den Folgen eines hohen Querschnitts bei paralytischem Ileus, ohne dass die Ärzte haftungsrechtlich dafür zur Verantwortung zu ziehen waren. Vier-

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