20 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2024 Interview „Wir wollen ganz bewusst den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten aus der Praxis vorantreiben“ Seit 20 Jahren untersucht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Nutzen von medizinischen Maßnahmen für Patienten. Seit gut einem Jahr leitet Dr. Thomas Kaiser das auch international anerkannte Institut mit Sitz in Köln. Er hat sich vorgenommen, künftig mit seinen Informationen verstärkt die Ärztinnen und Ärzte zu erreichen, und spricht sich für mehr Evidenzorientierung in der Medizin und eine Forschungskultur aus, die sich am Allgemeinwohl orientiert. : Herr Dr. Kaiser, im Oktober wird das IQWiG 20 Jahre alt – ein Grund zum Feiern? Kaiser: Unbedingt. Das IQWiG hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer national, aber auch international etablierten Institution entwickelt. Der Weg war anfangs nicht ganz einfach, weil das IQWiG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses, des G-BA, Gutachten veröffentlicht hat, die für manche im Gesundheitswesen unerwartet, auch unerfreulich oder unerwünscht waren. Das lag und liegt ganz einfach daran, dass das IQWiG so objektiv wie möglich die Datenlage beschreibt und dabei manchmal auch feststellt, dass diese unzureichend ist. Zumal der G-BA uns anfangs eher mit kontroversen Themen beauftragt hat. : Können Sie ein Beispiel nennen? Kaiser: Ein ganz typisches Beispiel dafür waren die Insulinanaloga. Da ging es um die Frage, ob die Veränderung im Wirkmechanismus, insbesondere der Spritz-EssAbstand, zu einer besseren Therapie und gegebenenfalls zu einer besseren Lebensqualität der Patienten geführt hat. Die Studienergebnisse konnten das damals nicht zeigen. Das Therapieergebnis war nicht besser, und die Lebensqualität war praktisch nicht untersucht worden. Das hat damals, 2006, zu heftigen Kontroversen geführt. Es kam zu einem geplanten Eklat, als während der Anhörung Vertreter der Arzneimittelhersteller und des Diabetiker Bundes den Saal verließen, und es kam zu Demonstrationen vor unserem damaligen Standort. Es gab sogar einen Euthanasievorwurf. Inzwischen haben aber alle Beteiligten erkannt, dass diese Art und Weise der Auseinandersetzung nicht zielführend ist, weil es für die Betroffenen wichtig ist, dass sie eine Behandlung auf der Basis guter Daten bekommen. Sich alleine an Werbebotschaften zu orientieren, ist langfristig kein geeignetes Mittel. Aber je nach Thema kann es immer noch dazu kommen, dass man als Projektleiter einen Bericht zu verantworten und dann mit Presseberichten über dessen negative Folgen für die Patientenversorgung umzugehen hat. Darauf muss man vorbereitet sein. : Sind es nur die anderen, die sich eines Besseren besonnen haben, oder hat auch das IQWiG aus Fehlern der Anfangszeit gelernt? Kaiser: Eine Institution wäre schlecht, wenn sie sich nicht weiterentwickelt. Was das IQWiG sicherlich über die Zeit besser gemacht hat, ist die Kommunikation nach außen. Außerdem haben wir uns natürlich auch methodisch weiterentwickelt, wobei wir immer darauf hingewiesen haben, dass es wichtig ist, auf Endpunkte zu schauen, die die Menschen spüren und wahrnehmen. Eine wirklich disruptive Veränderung hat 2011 das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, das AMNOG, mit sich gebracht. Wir bewerten seither nicht mehr anlassbezogen einzelne Arzneimittel- oder Wirkstoffgruppen auf ihren Nutzen hin, sondern jedes neue Arzneimittel, das in Deutschland zugelassen wird – und zwar in einem engen Zeitrahmen. Das hat jenseits der Wissenschaftlichkeit eine ganz andere Professionalisierung im Projektmanagement geschaffen. : Wie hat das AMNOG den Arznei- mittelmarkt verändert? Kaiser: Aus meiner Sicht nur sehr begrenzt – weniger, als man sich vielleicht davon erhofft hatte. Nach 13 Jahren muss Von Anfang an dabei: Dr. Thomas Kaiser leitete von 2004 bis April 2023 das Ressort Arzneimittelbewertung des IQWiG, dann übernahm er die Leitung des Kölner Instituts. Kaiser war als Systementwickler tätig, bevor er in Köln Medizin studierte und danach mehrere Jahre lang in der Klinik arbeitete. Foto: iqwig
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