Rheinisches Ärzteblatt 9/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2024 29 Forum richtet. Als Konsens wurde festgehalten, dass Menschen immer das Recht hätten, sich zu FVET zu entschließen und diesen auch umzusetzen, wenn keine schweren Einschränkungen der Freiverantwortlichkeit vorliegen. Aus diesem Recht lasse sich aber kein Anspruch auf eine spezialisierte Palliativversorgung ableiten. Auch wenn Patienten sich ein Rundum-sorglos-Paket wünschten, werde eine prophylaktische Palliativversorgung, bei der FVET im Schutz einer spezialisierten Palliativversorgung begonnen wird, in der Region nicht angeboten. Wenn im Verlauf von FVET Probleme auftreten, könne gegebenenfalls die spezialisierte Palliativversorgung hinzugezogen werden. Diese könne aber nicht als Notfallversorgung erfolgen, sodass außerhalb der regulären Dienstzeiten oder auf der Warteliste ein Restrisiko für die betroffenen Menschen bleibt. Im Kontakt mit Menschen, die FVET für sich erwägen, können einfache Anleitungen zur Kommunikation zu Sterbewünschen hilfreich sein. So gibt es beispielsweise die vom klinischen Ethikkomitee des Universitätsklinikums Bonn entwickelten Anleitungen (www.ukbonn.de/site/assets/ files/43403/sop_suizidhilfe.pdf), die auf dem 6-Schritte-Programm – ansprechen, nachfragen, respektieren, Alternativen anbieten, Beziehung aufbauen und reflektieren – aufbauen. Fazit Mithilfe der ambulanten Ethikberatung können sich Menschen, die FVET für sich erwägen, oder Einrichtungen, in denen diese Menschen versorgt werden, über Möglichkeiten und Grenzen beim FVET informieren. Mit der zunehmenden Wahrnehmung der unterschiedlichen Methoden des selbstbestimmten Sterbens in Deutschland ist damit zu rechnen, dass der Bedarf an solchen Ethikberatungen deutlich steigen wird. Prof. Dr. Lukas Radbruch, Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg Andrea von Schmude, Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg Martina Kern, Netzwerk Hospiz- und Palliativversorgung Bonn/Rhein-Sieg, Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/Rhein-Sieg Frank Peusquens, Dr. Séverine M. Surges, Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn Raya Egri, Dr. Kristina Muscheid, Zentrum für Palliativmedizin, Helios Krankenhaus Bonn/RheinSieg gung vor oder mit dem Beginn von FVET angeboten werden oder erst im Bedarfsfall mit dem Auftreten von Symptomen wie Unruhe oder Verwirrtheit? Hier spielen in erster Linie Fragen zum Selbstverständnis der Palliativversorgung eine Rolle. In der Praxis könnten auch die limitierten Ressourcen in der spezialisierten Palliativversorgung ein Grund sein, warum die Aufnahme von Patienten vor Beginn von FVET abgelehnt wird. In dem geschilderten Fall wurde die Komplexität durch weitere Probleme erhöht. So wurde der Druck auf das Behandlungsteam durch die Patientin verstärkt, indem sie schon vor dem festgesetzten Termin des Ethikkonsils und vor dem bevorstehenden Wochenende mit FVET begonnen hatte. Dieser Druck blieb im Verlauf weiter bestehen und führte zu einer Rollenverletzung des Ethikberaters, der gleichzeitig Arzt im SAPV-Team war, da er im direkten Anschluss des Ethikkonsils palliativmedizinische Behandlungsmaßnahmen (Anleitung Mundpflege, Rezept Lorazepam, ÄNO-Bogen) einleitete. Der hohe Druck beeinträchtigte die Kommunikation im Team, sodass nach dem Wochenende die stationäre Aufnahme veranlasst wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung der alleine lebenden Patientin durch den Neffen, die Nachbarn und einen ambulanten Hospizdienst organisiert worden war. Auf der Palliativstation bestand dann wiederum Unsicherheit im Team über das Behandlungsziel. Die Situation dieser Patientin ist kein Einzelfall im Netzwerk Bonn/Rhein-Sieg. In einer Pflegeeinrichtung wurde im selben Monat ein hochaltriger Patient ohne lebenslimitierende Erkrankung, aber nach mehrfachen Suizidversuchen, mit Wunsch nach FVET im Rahmen einer beschützenden Begleitung auf der Palliativstation angemeldet. Gleichzeitig erfolgte die Beratung einer jungen Frau, die statt der laufenden psychiatrischen Behandlung nun eine Palliativversorgung zur Umsetzung der FVET wünschte, der nicht entsprochen wurde. Diese Erfahrungen dienten als Auslöser für Veranstaltungen in den betroffenen Teams (SAPV, Hospizdienst und Palliativstation) sowie im regionalen Netzwerk der Hospiz- und Palliativversorgung zum Umgang mit FVET. Im Gegensatz zu den ambulanten Hospizdiensten (wer begleitet werden will, bekommt auch eine Begleitung), wurden von den SAPV-Teams und Palliativstationen Probleme mit FVET bei Patienten ohne lebenslimitierende Erkrankung beEinschränkung der Autonomie der betroffenen Person verbunden. Dieser fundamentale Unterschied zwischen Suizid und FVET wird in einem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin als eine Begründung dafür genannt, dass FVET als eine eigene Handlungskategorie (sui generis) und nicht als Suizidform angesehen werden muss (www.dgpalliativmedizin.de/ phocadownload/stellungnahmen/DGP_Posi tionspapier_Freiwilliger_Verzicht_auf_ Essen_und_Trinken%20.pdf). Bei Patientinnen oder Patienten mit weit fortgeschrittener lebenslimitierender Erkrankung mit Sterbewunsch produziert die Entscheidung zu FVET in aller Regel kein ethisches Dilemma und wird vom Behandlungsteam akzeptiert. Informationen über FVET werden in der Palliativversorgung sogar als Option für die Umsetzung eines selbstbestimmten Sterbens angeboten. Bei Patienten ohne lebenslimitierende Erkrankung ist die ethische Bewertung komplizierter und die Entscheidung zu FVET von den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen oft nicht nachzuvollziehen. Allerdings wird der Patient ja nicht die Erlaubnis für Beginn und Durchführung des FVET einholen müssen, da diese Entscheidung alleine beim Patienten liegt und keiner Zustimmung oder Genehmigung von anderen Personen bedarf. Die Bewertung wird sich eher auf relevante Störungen der Freiverantwortlichkeit beziehen, die mehr Informationsbedarf und in extremen Fällen vielleicht sogar Zwangsmaßnahmen nach sich ziehen könnten, und darauf, ob beziehungsweise in welchem Maß eine Begleitung oder Behandlung beim FVET angeboten werden kann und soll. Generell kann deshalb für den Umgang mit FVET wie für andere Formen von Sterbewünschen eine offene und reflektierte Kommunikation empfohlen werden. Eine Ethikberatung kann sinnvoll sein, um mögliche Einschränkungen in der Freiverantwortlichkeit zu überprüfen und Möglichkeiten, aber auch Grenzen in der Begleitung der betroffenen Personen aufzuzeigen. Informationen und Optionen in der Praxis der Palliativversorgung bei Patienten mit FVET wurden von der Sektion Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zusammengefasst (www.dgpalliativmedizin.de/images/ RZ_220713_Broschuere_FVET_ online.pdf). Inwieweit FVET bei Menschen ohne lebenslimitierende Grunderkrankung allerdings eine Indikation für die Palliativversorgung ist, wird kontrovers diskutiert. Sollte eine prophylaktische Palliativversor-

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