Rheinisches Ärzteblatt 9/2024

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2024 41 Kulturspiegel Das Theater Bonn zeigt eine Bühnenfassung des Romans „Frauen vor Flusslandschaft“ von Heinrich Böll, bei der Jens Groß die Regie führt. von Jürgen Brenn „Wanderer, kommst du nach Spa…“, „Haus ohne Hüter“, „Irisches Tagebuch“, „Billard um halb zehn“, „Ansichten eines Clowns“, „Ende einer Dienstfahrt“ und „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ sind nur einige der bekanntesten Werke des bedeutenden rheinländischen Nachkriegsautors Heinrich Böll. 1972 erhielt der Autor den Literatur-Nobelpreis für sein literarisches Schaffen. Er wurde 1917 in der Kölner Südstadt geboren und starb Mitte 1985 in seinem Haus in der Voreifel. Er galt und gilt als ein kritischer Begleiter vor allem der ersten Jahrzehnte des Nachkriegsdeutschlands. Wenige Wochen nach seinem Tod erschien sein letzter Roman „Frauen vor Flusslandschaft“. Das Werk hat Böll als Dialog- und Monolog-Roman geschrieben. Der Literat stellt darin nicht mächtige und einflussreiche Männer der jungen Bundesrepublik ins Zentrum der Handlung, sondern deren Ehefrauen. Jens Groß, Schauspieldirektor des Theaters Bonn, führt Regie und bringt das Stück in einer Bearbeitung von John von Düffel und Nadja Groß auf die Bonner Bühne. Die Handlung spielt in einem luxuriösen Sanatorium. Dorthin verfrachten wohlhabende und einflussreiche Männer der Bonner Republik ihre Frauen und Lebensgefährtinnen, wenn sie an der Seite ihrer nach Macht und Karriere strebenden Gatten nicht mehr so funktionieren, wie diese das gerne hätten. Männer? Fehlanzeige. Sie existieren im Bühnenbild von Tom Musch lediglich als leere Anzüge, die aufgereiht am rechten Bühnenrand an einem Kleiderständer hängen. Die Szenerie wird ausschließlich von Schauspielerinnen beherrscht. Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen von Politikern oder Bankiers, einer Psychologin und einer Bediensteten. Hier weicht Groß ganz bewusst von der Romanvorlage ab, um den Fokus noch stärker auf die Frauen zu richten, die in Bölls Romanen immer wieder bedeutende und vor allem auch auf Politikergattinnen unter Beobachtung Patientinnen und ihre Betreuerinnen im Luxus-Sanatorium von „Frauen vor Flusslandschaft“, zu sehen im Theater Bonn in Bad Godesberg. Von links nach rechts: Lydia Stäubli als Eva Plint, Sophie Basse als Dr. Dumpler, Trang Dông als Katharina Richter und Birte Schrein als Erika Wubler. Foto: Matthias Jung Veränderung drängende Figuren sind. Es ist kein Zufall, dass die Bedienstete Katharina Richter heißt und damit den gleichen Vornamen trägt wie die Hauptfigur in „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Katharina, gespielt von Trang Dông, gießt Kaffee in elegante Porzellantassen, bedient die nobel gekleideten Frauen und schreibt nebenbei an ihrer Doktorarbeit der Volkswirtschaft. Ungefragt serviert sie den einen oder anderen Ratschlag zum Nachmittagskaffee. Sophie Basse spielt die Psychologin Dr. Dumpler, die das Luxus-Sanatorium leitet. Es bleibt unklar, ob sie den Frauen tatsächlich helfen will, im Auftrag der Ehemänner handelt oder nur ihre sadistische Ader in ihrem Beruf auslebt. Immer wieder sperrt sie eine der Patientinnen in eine Sitzbank und setzt sich darauf, elegant die Beine übereinanderschlagend, nach dem Motto „begraben und vergessen“. Viele Gespräche der Frauen kreisen ums Vergessen oder eben auch um das Nicht- vergessen-können ihrer Erlebnisse im zweiten Weltkrieg, die nicht aufgearbeiteten Traumata von Flucht, Vertreibung, Vergewaltigungen und den Horror, den die Nazis verbreitet hatten. Der eine oder andere stramme Nationalsozialist schickte sich an, in der Bonner Republik wieder Karriere zu machen. Zum Beispiel konnte die Patientin Elisabeth Blaukrämer, gespielt von Ursula Grossenbacher, nicht mehr aufhören zu schreien, als sie den ehemaligen Wehrmachtsgeneral Plietsch, der den Beinamen Bluthund trug, in der Bundesrepublik wiedersah. Der Altnazi, der nun unter dem Namen Plonius lebt, hatte im Krieg Elisabeths Vater gezwungen, unschuldige Kinder und dann sich selbst zu erschießen, als russische Soldaten anrückten. Elisabeth gelang zwar die Flucht gen Westen, sie fiel aber, in Westdeutschland angekommen, auf den Politiker Dr. Blaukrämer herein. Sie erkannte zu spät, dass auch er ein alter Nazi und Karrierist ist. Ihr Zusammenbruch war für den Politiker Grund genug, seine Ehefrau in das LuxusSanatorium abzuschieben, damit dort ihre Erinnerungen „korrigiert“ werden. Die Patientinnen teilen ähnliche Schicksale und sind auf die eine oder andere Weise miteinander verbunden. Entweder besteht die Verbindung über die Männer der Macht und des Geldes oder über die Männer, die Nazis wie Plonius jagen und subversiven Widerstand gegen das Bonner Establishment leisten. Die Rede ist immer wieder von einem Unbekannten, der reihenweise Konzertflügel zertrümmert und wie Brennholz gestapelt zurücklässt. Der Lebensgefährte von Katharina reißt regelmäßig Mercedessterne von den Kühlerhauben der Mächtigen und verkauft diese weiter. „Frauen in Flusslandschaft“ könnte auch der Name eines Bildes sein, in dem Frauen von den Terrassen ihrer Villen zwischen Bonn und Bad Godesberg auf den Rhein blicken, der in seinem schlammigen Bett nicht nur den Nibelungenschatz unauffindbar hütet, sondern auch das eine oder andere Naziemblem vor den Augen der einrückenden Amerikaner verborgen hat. Das Bild hat etwas Statisches, Erstarrtes, so wie Böll die Bundesrepublik 40 Jahre nach deren Gründung wahrnahm. Informationen unter www.theater-bonn.de und Tel.: 0288 7780 08.

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