Rheinisches Ärzteblatt 9/2024

Gesundheits- und Sozialpolitik 50 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 9 / 2024 Dr. Helene Rudolf, Landärztin „Manche Patienten waren schon bei meinem Großvater“ Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind. : Frau Dr. Rudolf, was hat Sie aufs Land gezogen? Rudolf: Ich kenne die Landarzttätigkeit durch meine Eltern, beide waren Hausärzte in Dingden, einem Dorf am Niederrhein, wo ich auch aufgewachsen bin. Dort als Landärztin tätig zu sein, war anfangs überhaupt keine Option. Für mich klang das langweilig und eintönig. Ich habe viele Jahre in Essen gewohnt und in Oberhausen gearbeitet – das Großstadtleben genossen. Als bei meinem Mann und mir die Familienplanung näher rückte, entdeckten wir aber auch die Vorzüge des Landlebens. Zudem litt ich zunehmend unter dem Personalmangel und dem Zeitdruck in der Klinik. Meine Eltern haben mir immer wieder nahegelegt, ihre Praxis zu übernehmen. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht, denn – abgesehen von der Rückkehr aufs Land – konnte ich mir nicht vorstellen, als Einzelkämpferin zu arbeiten. Den Ausschlag für den Wechsel gab dann mein jetziger Praxispartner Dr. Sascha Hey, den ich zufällig über eine Kollegin kennengelernt habe. : Es wird beklagt, dass die ärztliche Versorgungsdichte auf dem Land spärlicher ausfällt als in den Städten. Rudolf: Das stimmt. Für junge, mobile Menschen ist das weniger problematisch. Sie buchen online Termine und nehmen auch weitere Strecken in Kauf – manchmal bis ins Ruhrgebiet. Hier auf dem Land können die Wartezeiten auf Facharzttermine lang sein, und die Auswahl an Ärztinnen und Ärzten ist stark eingeschränkt. Es ist ganz klar von Vorteil, dass wir in Dingden zwischen den Mittelzentren Bocholt und Wesel liegen. Da sind in beide Richtungen Möglichkeiten gegeben, Facharzttermine zu erhalten. Hinzu kommt, dass man sich in der Ärzteschaft untereinander meist kennt und ein kollegialer Austausch vorhanden ist, was in dringenden Fällen hilft. In der Pädiatrie und der Psychiatrie und Psychotherapie herrscht zurzeit der größte Mangel. meinem Großvater in der Praxis waren. Diese Kontinuität wird von vielen besonders geschätzt. Mein Opa war zu seiner Zeit noch Hausarzt für alles, hat auch Geburten begleitet und einige meiner Patienten auf die Welt geholt. Das ist eine schöne Art der Verbundenheit. Unser junges Team gibt gerade den älteren Patienten die Sicherheit, dass wir sie bis an ihr Lebensende hausärztlich betreuen können. Und mit den jüngeren Patienten begegnet man sich durch den geringen Altersunterschied auf Augenhöhe, was auch schön ist. : Sie sind als Hausärzte auch palliativmedizinisch tätig. Wie läuft das auf dem Land? Rudolf: Man kennt auf dem Land meist alle Generationen innerhalb einer Familie. Die Zusammenarbeit mit pflegenden Angehörigen ist enger. Die Familien leben meist im gleichen Ort oder sogar im selben Haus. Es gibt viel Unterstützung durch die Angehörigen, was wiederum bedeutet, dass man sie gut anlernen kann, palliativ zu versorgen. Wichtig ist, dass Angehörige keine Hemmungen haben, Fragen zu stellen und Probleme zu schildern. Das schweißt zusammen und man erhält unendlich viel Dankbarkeit von den Familien. Der persönliche Kontakt bedeutet allerdings auch, dass Schicksalsschläge von Patienten einem nahe gehen. Wir haben als Gemeinschaftspraxis den Vorteil des gegenseitigen Austausches, es hilft, über schwierige Situationen im Team zu sprechen. : Was gefällt Ihnen denn nicht an der Tätigkeit als Landärztin? Rudolf: Wir spüren hier ganz heftig die Unterversorgung mit Hausärztinnen und Hausärzten. Eine ältere Kollegin hört demnächst auf und es gibt keine Nachfolge. Wir können einen Teil der Patienten übernehmen, aber eben nicht alle. Da warten alle Beteiligten noch auf eine zufriedenstellende Lösung. Der Fachkräftemangel ist bei uns deutlich spürbar, auch was MFA und Weiterbildungsassistenten angeht. Was mir auch nicht gefällt, ist die Organisation des Notdienstes. Man hat zwar nicht viele Einsätze, aber wenn man im Rufdienst ist und Hausbesuche machen muss, ist die abzudeckende Region sehr groß. Zum am weitesten entfernten Ort fährt man 25 Kilometer. Man ist zudem im Fahrdienst unbegleitet und auch nachts als Frau alleine unterwegs, was sehr unbehaglich sein kann. Da wäre es schön, wenn wir von einem Fahrer begleitet würden, wie das in anderen Regionen schon der Fall ist. Das Interview führte Vassiliki Temme Foto: privat Dr. Helene Rudolf wurde 1986 in Wesel geboren und wuchs im niederrheinischen Dingden auf. Nach dem Medizinstudium an der Universität Duisburg-Essen begann sie ihre berufliche Laufbahn zunächst als Assistenzärztin in der Urologie des Evangelischen Krankenhauses in Oberhausen. Ihre Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin absolvierte Rudolf am Evangelischen Krankenhaus in Oberhausen und dann in Hünxe im MVZ am Niederrhein und in Dingden in der jetzigen Praxis. Die Praxisübernahme erfolgte zusammen mit Dr. Sascha Hey im Juli 2022. : Wie haben die Patientinnen und Patienten den Generationenwechsel aufgenommen? Rudolf: Die Umstellung wurde durchweg positiv aufgefasst, die Atmosphäre in der Praxis ist sehr familiär. Ich habe Patienten, die noch bei meinen Eltern, oder sogar bei Wir geben den älteren Patienten die Sicherheit, dass wir sie bis ans Lebensende betreuen.

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