Rheinisches Ärzteblatt 10/2024

44 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2024 Kulturspiegel Das Theater Bonn zeigt den unvollendeten Roman „Bilder deiner großen Liebe“ in einer Bühnenfassung von Robert Koall mit brillianten Schauspielern. von Jürgen Brenn Vor zehn Jahren veröffentlichten Kathrin Passig und Marcus Gärtner als Herausgeber den Roman „Bilder deiner großen Liebe“. Autor war Wolfgang Herrndorf, der an einem Glioblastom litt und sich deshalb 2013 das Leben nahm. Den Roman konnte er wegen des fortgeschrittenen Stadiums seiner Erkrankung nicht mehr vollenden. Herrndorfs Vertraute Passig und Gärtner überredeten ihn kurz vor seinem Tod zu einem Kompromiss und retteten sein letztes Werk. Sie überarbeiteten den unvollendeten Roman und veröffentlichten ihn posthum als Herausgeber. Herrndorf hatte ursprünglich verfügt, Fragmente sollten weder aufbewahrt noch veröffentlicht werden. Sein Freund und Chefdramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus, Robert Koall, hat die Bühnenfassung für „Bilder einer großen Liebe“ geschrieben, die nun auf der Werkstatt-Bühne des Theaters Bonn zu sehen ist. Laura Ollech gibt mit dem Zwei-Personenstück ihr Regiedebüt. Sandrine Zenner und Daniel Stock zeigen ihr ganzes darstellerisches Können und bringen das gleichermaßen traurige wie witzige Stück zum Schweben. Zenner spielt die 14-jährige Isa. Sie steht im Mittelpunkt des Romans, der auch als weiterer, aber selbstständiger Handlungsstrang von Herrndorfs Erfolgsroman „Tschick“ gesehen werden kann. Sie ist das Mädchen, das Maik und Tschick auf ihrem abenteuerlichen Weg in die Walachei auf einer Müllhalde begegnet. Isa beschreibt, wie sie die beiden 14-Jährigen dabei beobachtet, wie sie erfolglos versuchen, mit einem Schlauch Benzin aus einem Auto in ihren alten Lada zu zapfen. Zenner erzählt die Episode beiläufig mit einem Achselzucken und zieht ihrer Wege. Denn für Isa ist Herrndorfs weiblicher Tschick Daniel Stock und Sandrine Zenner überzeugen in Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“ auf der WerkstattBühne des Theaters Bonn. Foto: Markus J. Bachmann die Begegnung mit den zwei gleichaltrigen Jungs nur eine Episode ihres mäandernden Roadtrips. Am Anfang steht der Ausbruch aus einer psychiatrischen Einrichtung. Verborgen hinter mit Tüchern bespannten Stellwänden, auf die abstrakte Zeichnungen projiziert werden, muss Isa, aufgefordert von Daniel Stock im weißen Arztkittel, immer neue Begriffe zu den Zeichnungen assoziieren. Isa macht sich einen Spaß daraus, überhaupt nicht zu den Zeichnungen passende Begriffe hervorzusprudeln. Langsam kommt sie hinter den Stellwänden zum Vorschein, überwältigt kurzerhand den Arzt, kann aus der Klinik fliehen und beginnt ihre wundersame Abenteuerreise auf bloßen Füßen, ohne Geld, nur mit den Kleidern, die sie am Leib trägt und zwei Tabletten, die sie unbemerkt von den Pflegern, nicht eingenommen hatte. Isa ist verrückt, das weiß sie selbst. „Verrückt sein heißt nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert“, stellt sie klar. Auf diese Unterscheidung legt sie Wert. Sie hat eine psychische Erkrankung, die nicht weiter thematisiert wird, außer, dass Isa sehr intensiv ihr Leben lebt, ihre Umgebung wahrnimmt und sich rückhaltlos in jede Begegnung mit neuen Menschen begibt, ohne Scheu, ohne Zweifel und Sorge, enttäuscht zu werden. So wie sie die Menschen erfährt, denen sie begegnet, so kann sie sich auch in ihrer eigenen Fantasie verlieren. Sandrine Zenner blickt mit weiten, staunenden Augen in die Welt oder in Isas eigene Welt. Daniel Stock schlüpft von Szene zu Szene in immer neue Rollen und wird jeweils zum Konterpart des Mädchens. Manchmal sieht sie sich als Herzogin, die auf ihren Mann wartet, der vom Krieg gezeichnet zu ihr zurückkehrt. Liebevoll streicht Isa ihrem gebeugten Mann im zerlumpten Mantel über den Kopf. Ruppiger geht es auf einem Binnenschiff zu, auf das Isa ungebeten hüpft. In Ölzeug zetert Daniel Stock als Kapitän über den lästigen Gast. Isa bleibt hartnäckig und am Ende gibt er ihr doch Gummistiefel und versorgt ihre vom vielen Barfußlaufen lädierten Füße. Isa bringt durch ihre offene, unbedarfte, manchmal auch leicht schräge Art die Menschen zum Reden. So stellt sich der Binnenskipper als glückloser, aber doch sehr kluger Bankräuber heraus, der zwar genau weiß, wo seine Beute ist, aber sich aus Sorge, erwischt zu werden, nicht traut, das Geld zu holen. Das hat zur Konsequenz, dass er sich über Jahrzehnte eine bürgerliche Tarnexistenz aufgebaut hat, in der er sich eingerichtet hat und eigentlich keine Verwendung mehr für die Beute hat. Auf ihrem weiteren Weg durch Isas Welt trifft sie unter anderem auf einen taubstummen Jungen, mit dem sie sich angeregt unterhält. Elegant fliegen die Zeichen der Gebärdensprache zwischen den beiden hin und her. In einer Ortschaft bietet sie einem Mann an, seinen Rasen zu mähen, um etwas Geld zu verdienen. Da sie ihn an seine Tochter erinnert, bekommt sie von dem Gartenbesitzer, der sich als Schriftsteller entpuppt, neben dem vereinbarten Lohn auch noch Kleider seiner Tochter angeboten. Irgendwann hat Sandrine Zenner eine Pistole in der Hand. Sie sitzt mit Daniel Stock auf einem großen Würfel. Beide sinnieren darüber, wie es wohl wäre, sich von einem Hochhaus zu Tode zu stürzen. Dann stellt sie sich vor, mit der Pistole senkrecht in die Luft zu feuern, und die Kugel fällt exakt wieder in den Lauf zurück. Das kann sie, denn Isa ist die „Herrscherin über das Universum, die Planeten und alles“. Informationen unter www.theater-bonn.de und Tel.: 0288 7780-08.

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