Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2023 27 klinik erachtet die Gutachterkommission abweichend von den Feststellungen im Erstgutachten als fehlerhaft, ebenso den Verzicht auf eine Visuskontrolle im September 2018, aus der sich erneut die Notwendigkeit einer Therapieerweiterung ergeben hätte. Diese sei dann im Januar 2019 für das Kind, mittlerweile sechs Jahre und fünf Monate alt, durch den Nachfolger in der Praxis des Augenarztes mit Überweisung in eine Sehschule veranlasst worden. Gesundheitsschaden Bei rechtzeitig einsetzender und konsequent durchgeführter Therapie besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, volle Sehschärfe auf dem betroffenen Auge zu erreichen. Diese Chance war zum Behandlungsbeginn beim Kind – auch wenn das Zeitfenster bereits eng war – noch gegeben, wurde aber nicht genutzt. Es herrscht Konsens darüber, dass mit zunehmendem Alter bei Therapiebeginn die Zahl der Therapieversager zunimmt. Bei Behandlungsbeginn in der Augenklinik ab Februar 2019 waren demnach die Erfolgsaussichten gegenüber Juni 2017 deutlich schlechter, und es muss daher offenbleiben, ob die zuletzt im Januar 2020 bei dem Kind dokumentierte Sehschärfe von 0,6p weiter angehoben werden kann, somit verbesserungsfähig ist oder durch Fortsetzung der Okklusionstherapie lediglich auf diesem Niveau stabilisiert werden kann. Insofern weicht die Gutachterkommission von der Einschätzung im Erstgutachten ab, eine unterstellbare zeitliche Verzögerung einer adäquaten Amblyopietherapie habe auf die abschließende Prognose der Sehschärfenentwicklung am betroffenen rechten Auge nur begrenzt Einfluss gehabt. Auch kommt sie hinsichtlich der Feststellung im Erstgutachten, es liege eine relevante Amblyopie nicht mehr vor, zu einer anderen Einschätzung. Nach den Befunden (einschließlich der Befunde der nachbehandelnden Augenklinik) lag im Januar 2020 eine Sehschärfenminderung auf dem rechten Auge vor, die möglicherweise irreversibel ist; die Sehstörung ist also nicht behoben. Dass das alleinige Tragen der Brille nicht ausreichte, um die Amblyopie zu therapieren, hätte der Augenarzt Mitte Dezember 2017 erkennen müssen. Ob eine frühzeitigere Okklusionstherapie den resultierenden Gesundheitsschaden Amblyopie noch hätte vollständig verhindern können, kann nicht mit Sichergesellschaften, des Berufsverbands der Augenärzte und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft zur Amblyopie sehen vor, dass bei einseitiger Amblyopie beziehungsweise bei Amblyopieverdacht bei zentraler Fixation (Prüfung derselben nicht aktenkundig) und ohne Strabismus (im vorliegenden Fall zutreffend) mit alleinigem Refraktionsausgleich zunächst sechs Wochen abgewartet werden solle. Wenn der Visus dann nicht ausreichend angestiegen ist, sollte eine Okklusionstherapie eingeleitet werden. Dieser Zeitraum war Mitte Dezember 2017 mit sechs Monaten weit überschritten. Im September 2018 fand überhaupt keine Visuskontrolle statt, sondern lediglich eine Refraktionskontrolle in Zykloplegie mit Neuverordnung einer Brille. Notiert wurde allerdings, dass die Sehschärfe in fünf Monaten kontrolliert werden sollte. Behandlungsfehler Das Vorliegen einer therapiebedürftigen Amblyopie kann einerseits nach der subjektiv erhebbaren Funktion (Sehschärfe) beurteilt werden, andererseits nach Vorliegen von objektiv erhebbaren Befunden, die zu einer Amblyopie disponieren. Diese Befunde sind: manifestes Schielen, exzentrische Fixation, Anisometropie, deutliche Dominanz eines Auges beim Abdecktest, optische Einschränkungen wie Trübungen der brechenden Medien. Die hier objektiv festgestellte Anisometropie von insgesamt > 2 dpt (RA: + 4.25 - 0.75 160, LA: + 2.0) musste eine Deprivation des rechten Auges verursachen. Allein nach diesem Befund lag eine eindeutige Indikation zur Okklusionsbehandlung des besseren Auges vor, selbst wenn eine Visusprüfung wegen fehlender Mitarbeit des Kindes nicht möglich war. Aber der Eintrag in der Karteikarte (im Juni 2017) „sieht nichts/verschwommen, wenn LA zu ist“ beschreibt ja eine vergleichende Sehschärfeprüfung mit der eindeutigen Feststellung eines schlechteren Sehens auf dem stärker hyperopen rechten Auge. Somit war eine Okklusionsbehandlung zwingend indiziert. Nach den Unterlagen wurde eine Okklusionsbehandlung mit den Eltern nicht besprochen und auch nicht veranlasst. Das Nichteinleiten einer Okklusionstherapie spätestens bei der Wiedervorstellung im Dezember 2017 oder zumindest das Nichtin-Betracht-Ziehen einer solchen Therapie mit Vorstellung des Kindes in einer FachWissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission, Folge 140 was als adäquater Behandlungseinstieg zu bewerten ist. Therapeutische Aufklärung Inwieweit die Behandlungsstrategie, die Relevanz des stringenten Umsetzens derselben – wie das konsequente Tragen der Brille, die Wahrnehmung definierter Kontrolltermine –, Erfolgschancen und gegebenenfalls die Notwendigkeit der Therapieerweiterung in Abhängigkeit von der Visusentwicklung mit den Eltern kommuniziert wurden, ist nicht aktenkundig, hätte aber nach Auffassung der Gutachterkommission in Form einer therapeutischen Aufklärung besprochen und dokumentiert werden müssen. Streitig ist auch, da nicht niedergelegt, ob die verordnete Brille in dieser Zeit konsequent getragen wurde, sodass die Gutachterkommission hierzu nicht Stellung beziehen kann. Auch liegen unterschiedliche Angaben darüber vor, in welchem Zeitraum Kontrolltermine hätten durchgeführt werden sollen. Hierzu sind die Angaben des Arztes – alle zwei bis drei Monate – und andererseits der Eltern – alle sechs bis zwölf Monate – widersprüchlich, was in Ermangelung einer Dokumentation zulasten des Augenarztes zu beurteilen ist. Bei der ersten Verlaufskontrolle – das Kind war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre und vier Monate alt – war die Funktionsbestimmung weiterhin in der Durchführung bei mangelnder Kooperationsbereitschaft des Kindes unbefriedigend, aber in der Aussage der erhobenen Daten ziemlich eindeutig: Der Visus ohne Korrektur betrug am rechten Auge 0,1, am linken Auge 0,4, was das Vorliegen einer Amblyopie am rechten Auge bestätigte. Mit eigener Brille betrug der Visus beidseits 0,1, was den Rückschluss zulässt, dass die Brille zumindest zeitnah nicht getragen worden war. Das linke Auge befand sich zum Untersuchungszeitpunkt im Akkommodationszustand zum Ausgleich der Hyperopie, und das Vorsetzen der Brille war in diesem Augenblick vernebelnd, also die Sehschärfe vorübergehend herabsetzend. Eine vergleichbare Beobachtung wurde auch in der nachbehandelnden Augenklinik Anfang Februar 2019 gemacht. Leitlinien Die Gutachterkommission wies auf Folgendes hin: Die Leitlinien der Fach
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